piwik no script img

Das Ende der ReiseIch konnte meine Eltern umarmen

Nach 70 Tagen endet die Reise von Klimaforscher Gianluca Grimalda, der seinen Job verlor, weil er nicht fliegen wollte. Dies ist seine letzte Kolumne.

„Seine Wertschätzung ist mir wichtig“: Gianluca Grimalda mit seinem Vater Foto: privat

D er Wissenschaftler Gianluca Grimalda, 52, will nicht mehr fliegen – fürs Klima. Weil er deshalb nicht rechtzeitig von einer Forschungsreise in Papua Neuguinea zurückkam, feuerte ihn das Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW). Die taz begleitete ihn auf seiner Reise per Schiff, Bus und Bahn. Nach über zwei Monaten und knapp 27.000 Kilometern endet die Reise und seine Kolumne mit diesem Text.

Am 25. Dezember bin ich um kurz nach Mitternacht in Mailand angekommen. Eine Woche war ich durch den Iran und die Türkei gereist. Wäre der Zug aus Bari im Süden Italiens nicht verspätet gewesen, hätte ich es sogar noch an Heiligabend nach Hause schaffen können. Nach zehn Monaten konnte ich meine Eltern endlich wieder umarmen.

Ich spielte für meine demente Mutter Klavier, die italienische Pop-Ballade “Almeno tu nell'universo“. Auch wenn sie sich nicht mehr an den Text erinnern konnte, hat sie die Melodie mitgesummt. Ein schöner Moment. Trotzdem war Weihnachten auch traurig. Mein Vater hat zu mir gesagt: „Du entehrst den Namen unserer Familie.“ Das war schwer zu ertragen. Ich liebe meinen Vater, seine Wertschätzung ist mir wichtig.

Gestritten haben wir uns über einen Film über meine Reise und meinen Protest. Der Regisseur kam zu uns, um einen Rohschnitt zu zeigen. Die erste Szene zeigt mich, wie ich in einem weißen Kittel den Privatjet-Flughafen von Mailand blockiere. Zwei Männer halten mich fest, ein Mann entfernt mit einem Bolzenschneider eine Kette von meinem Hals, mit der wir uns zusammengeschlossen hatten. Dann schleifen sie mich zu einem Polizeiauto.

„Wegen solcher Szenen hast du deinen Job verloren“

Es ist eine erniedrigende, unschöne Szene. Ich kann verstehen, dass mein Vater sie nicht gerne sieht. “Du solltest sie löschen“, hat er gesagt. Als Wissenschaftler könne man sich so nicht zeigen. „Wegen solcher Szenen hast du deinen Job verloren.“

Vielleicht hat mein Vater recht und es waren Szenen des Ungehorsams wie diese, die die Leitung des IfW dazu veranlasst hat, mir zu kündigen. Aber ich stehe nach wie vor zu meinem Protest. Nach dem Scheitern der 26. UN-Klimakonferenz in Glasgow 2021 war ich verzweifelt. Wie kann ich der Öffentlichkeit vermitteln, dass wir uns in einer Krise befinden? Für mich war die Antwort ziviler Ungehorsam.

Angesichts der Fernsehsendungen, die mein Vater tagtäglich schaut, bin ich froh, dass er mich noch nicht aus der Wohnung geschmissen hat. Sein Lieblingssender ist “Rete 4“, einer der Sender, die zu Silvio Berlusconis Firmenkonglomerat gehören. Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen wie ich werden in den Shows dort oft als Kriminelle dargestellt, denen das Wohlergehen der einfachen Leute schlicht egal ist.

In den letzten Monaten habe ich mich so verletzlich gefühlt, wie lange nicht mehr. Ich habe meinen Job verloren. Die Rückreise aus Papua-Neuguinea hat mich einen Großteil meines Ersparten gekostet. Ich musste Freun­d:in­nen um Kredite bitten.

Die Bereitschaft, selbst fremden Menschen zu helfen, ist riesig.

Es ist ein Gefühl, dass mir vom Reisen vertraut ist. Immer wieder musste ich mich in die Hände von fremden Menschen begeben, deren Sprache ich nicht sprechen konnte. Die mich bei sich Zuhause schlafen ließen oder mich auf langen Busfahrten “adoptierten“, mich zu den Essenspausen sanft weckten oder mir ein Handyaufladegerät zusteckten, als meins kaputt zu gehen drohte.

Freun­d:in­nen von Scientists Rebellion haben Spenden für mich gesammelt, insgesamt über 1700 Euro. Menschen haben mich ermutigt, mir geschrieben, dass sie mich unterstützen, auch wenn sie selber nicht die Zeit und die Ressourcen haben, dasselbe wie ich zu tun. Auch für sie habe ich weiter protestiert, bin ich weiter gereist.

Wenn ich eins aus dieser Reise mitnehme, dann ist es das: Die Bereitschaft, selbst fremden Menschen zu helfen, ist riesig. Überall ist sie mir begegnet. In China, in Turkmenistan, im Iran. Was den Klimawandel angeht, fehlt es oft an Wissen und Mut, das Notwendige zu tun. Trotzdem bin ich heute zuversichtlicher denn je, dass wir Menschen zusammenarbeiten können, um die Klimakrise anzugehen.

Der portugiesische Lyriker José Saramago, der sein Heimatland einst mit den Augen eines Fremden bereiste, schrieb: “Das Ende einer jeden Reise ist schlicht der Beginn einer Neuen“. Für mich endet diese Reise hier. Und doch geht sie weiter. Wahrscheinlich werde ich dieses Jahr für ein weiteres Forschungsprojekt nach Papua-Neuguinea zurückkehren. Wieder ohne zu fliegen. Denn ich will zeigen, dass wir empathische, offene, wissenshungrige Menschen bleiben können. Auch ohne unseren Planeten zu zerstören.

Protokoll: Mitsuo Iwamoto

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • Hätten Sie gerne einen solchen Selbstdarsteller als Arbeitskollegen?

  • Vielen Dank, Herr Grimalda. Bleiben Sie konsequent in der Sache, aber gönnen Sie sich auch das, was Ihnen gut tut. Alles Gute!

  • Zu schön, um wahr zu sein…



    Denkfehler und Systemfehler

    Er nutzt keine Mitflug-Gelegenheiten, okay. Dennoch nutzt er andere Ressourcen-Verbraucher wie Bahn, Bus und sicher auch mal weitere motorisierte Mitfahrgelegenheiten; so beruht sein Reise-Komfort doch wieder „auf dem CO2-Dreck der anderen“, den er selbst stolz vermeidet.

    Zum anderen seine, pardon: unaufrichtigen Unterstützer, „auch wenn sie selber nicht die Zeit und die Ressourcen haben, dasselbe wie ich zu tun.“ Sollen sie sich die Zeit doch nehmen und aufrichtig und kraftvoll, entschlossen und geduldig die Konsequenzen ertragen, wie er auch!

    Sollte man seinem Beispiel folgen… wirklich? Eine Million? Zehn Millionen? Wären eine Milliarde gutmeinende Arbeitnehmer und Reisende überzeugt und täten es ihm gleich, würde das ganze Ideal zusammenbrechen, denn als romantisch verklärtes Märchen taugt es nur für wenige, für Aussteiger, nicht für Massen.

    Die Menschheit würde ihm kaum darin folgen, schlicht den Rückweg in vor-industrielle Zeiten anzutreten; vielmehr sollte sie sich fortentwickeln hin zu neuen, gering-belastenden Technologien, und zwar schleunigst, nicht zu Fuß.

    Er hätte sich konsequenter für die Wiederbelebung der epochalen, maximal CO2-neutralen Standard-Reisemittel für Asien-Reisen aussprechen sollen: das Segelschiff zu Wasser und zu Land die Karawane.

    • @Allesheuchler:

      "so beruht sein Reise-Komfort doch wieder „auf dem CO2-Dreck der anderen“, den er selbst stolz vermeidet."



      das stimmt so nicht ganz, da Herr Grimalda auf diese Weise wesentlich weniger und nicht so klimaschädliches CO2 für die Reise nutzte. Es sit wissenschaftlich erwiesen, dass CO2 in Flughöhe ausgestossen 10x klimaschädlicher ist, als das am Boden der Fall ist. Obwohl er so lange unterwegs war, wird er - das ist nur eine Schätzung - ca. ein Zehntel der CO2-Emissionen verbraucht haben, die bei einem Flug angefallen wären.

  • Die eigentliche Frage war doch: Warum müssen Wissenschaftlerinnen aus Mitteleuropa in weit entfernte Länder reisen, um ihre Forschung durchzuführen? Gibt es dort keine Kolleginnen, mit denen man zusammenarbeiten kann und die vor Ort (oder jedenfalls deutlich näher dran) sind für die Datenerhebung etc.?

    • @Django:

      Die Frage ist zwar berechtigt, aber der Geist der Wissenschaft lebt vom internationalen Austausch. Besser wäre es, wenn Forschungsreisende

      A. genauso leicht aus den Ländern des Südens in die Länder des Nordens reisen könnten.

      B. Zeit und Geld für langsames, umweltfreundlicheres Reisen erhielten.

      Wissenschaft bedarf neben der reinen Statistik und Datenzauberei auch das Erfahren der Materie - und verschiedene Forschungstraditionen ergänzen sich. Forschung ist international. Was stimmt: Man kann sicher auf die ein - oder andere Reise verzichten und tatsächlich sollte man grundsätzlich mit Wissenschaftlern der Forschungsregion zusammenarbeiten.

  • Ist dann auch genug von dem Selbstdarsteller,

    wenn sein Anliegen wirklich ernst nehmen würde wäre er gar nicht erst hingeflogen. Dann hätte wahrscheinlich sogar noch sein Arbeitsplatz - wäre allerdings um ein paar erlebnisreiche Wochen ärmer und könnte sich nicht öffentlich als Opfer präsentieren.