Die Wintersonnenwende Schab-e Yaldā: Die Nacht der Geburt
Heute, am kürzesten Tag des Jahres, feiern die Menschen in vielen Ländern Schab-e Yaldā, die Wintersonnenwende. Es ist ein Fest der Hoffnung.
Heute erreicht die Sonne über der nördlichen Hemisphäre den niedrigsten Mittagsstand über dem Horizont – der Winter beginnt. Es ist Schab-e Yaldā, wörtlich die „Nacht der Geburt“. Die Sonnenwende ist in Europa nicht weiter spektakulär, während die längste Nacht des Jahres für Kulturen mit zoroastrischer Geschichte zu den wichtigsten im Jahr gehören. Familien kommen an dem Tag zusammen und feiern die gesamte Nacht.
Sowohl in Iran, Afghanistan als auch Tadschikistan und vielen anderen Ländern der Welt werden die ab morgen heller werdenden Tage als Sieg über die Dunkelheit gefeiert – ein Zeichen wieder steigender Hoffnung. Das Yaldā-Fest ist schon in der Zeit von 550 bis 330 Jahre v. Chr. belegt.
Auf dem Tisch liegen Granatäpfel, Melonen, es brennen Kerzen oder ein Feuer. Getrocknetes Obst und Milchreis mit Safran wird an Nachbarn verschenkt. Ein Hafiz-Band, das Buch eines der bekanntesten Dichter Irans, liegt in der Mitte des Tisches. Die Farbe Rot symbolisiert das Leben und das Licht. Sie verkörpert Barmherzigkeit und den Glauben an eine bessere Zeit.
Als Kind saß ich bei der Yalda-Feier still da und schlug mit geschlossenen Augen den Diwan, einen Gedichtband, auf. Fāl-Nāma ist eine Art Zukunftsvorhersage, bei der ein zufälliges ausgesuchter Verse von Hafiz Aussichten auf die kommenden Monate liefern soll.
Ein Fest des Widerstands
Vergangenes Jahr um diese Zeit fanden die ersten Hinrichtungen seit dem Tod Jina Aminis im Iran statt. Als Reaktion auf die großen Protestwellen antwortete das Regime mit der Todesstrafe. Die Journalistin und Iran-Aktivistin Sara Mohammadi sagt in einem gemeinsamen Gespräch: „Vor allem im letzten Jahr war die Winterzeit sehr belastend für mich, Yalda zu feiern bedeutet daran festzuhalten, dass wir am Ende über das Regime siegen werden.“
Die islamische Republik, aber auch die Taliban versuchen seit Jahren Feste wie Yaldā oder Nouruz (das Frühlingsfest) zu verbieten. Vor allem in Afghanistan ist es illegal, nicht muslimische Feste zu feiern.
„Die Menschen treffen sich trotzdem, aber eben heimlich“, beschreibt die afghanische Künstlerin Farila Neshat im Interview: „Yalda ist ein wichtiger Tag in Afghanistan. Auch, wenn wir den Tag nicht zelebrieren dürfen, kommen meine Cousinen zusammen, für mich ist das eine Art Widerstand.“ Yaldā bedeutet, sich zu erinnern, es bedeutet dem Vergessen den Rücken zu kehren und nicht nur an einem kulturellen Brauch, sondern an einer Geschichte der Hoffnung festzuhalten.
Heute betrauern wir eine große Anzahl Menschen, die getötet wurden, weil sie während der feministischen Revolution gegen diktatorische Regime wie die Taliban und die islamische Republik protestierten. Während sich an den Lebensbedingungen im Iran kaum was geändert hat, wurden seit September mehr als 170.000 afghanische Schutzsuchende aus Pakistan vertrieben.
Zusammen die Sonnenwende zu feiern heißt, die Dunkelheit dieser Geschichten in eine Erzählung des Widerstands und des Lichts umzuwandeln und damit das ewige Opfer-Narrativ herauszufordern. Wir kommen also auch nach mehr als 1000 Jahren zusammen, denn unsere Geschichten sind verbunden, sie sind trotz der uns trennenden Kilometer verstrickt. Vielleicht formt sich der Knoten, den sie bilden, irgendwann, bei einem Sonnenaufgang, zu einem unzerstörbaren, nicht zu durchtrennenden Netz der Solidarität.
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