„Unsinnige Castor­transporte stoppen“

Unnötig und gefährlich seien die in Nordrhein-Westfalen geplanten Atommülltransporte, sagen BUND-Landesvize Kerstin Ciesla und Anti-AKW-Aktivist Matthias Eickhoff

Ein falsches Atommüllfass anlässlich einer Demonstra­tion vor dem ehemaligen Atom­kraft­werk Würgassen in Nordrhein-Westfallen Foto: Angela to Roxel/imago

Interview Andreas Wyputta

taz: Frau Ciesla, Herr Eickhoff, Umweltverbände und Anti-Atom-Initiativen protestieren in NRW seit Monaten gegen die offenbar in diesem Jahr geplanten Castortransporte vom rheinischen Jülich ins münsterländische Ahaus. Warum?

Kerstin Ciesla: Weil die Transporte gefährlich sind. Es geht um hochradioaktiven Atommüll aus dem Reaktor des ehemaligen Kernforschungszentrums Jülich, der zwei Jahre lang fast jede Woche auf mehr als 170 Kilometern über Autobahnen mitten durch die am dichtesten besiedelten Regionen Nordrhein-Westfalens gefahren werden soll – etwa durch den Düsseldorfer Flughafentunnel oder über die marode „Berliner Brücke“ der A59 mitten in meiner Heimatstadt Duisburg. Dabei könnte jede Beschädigung der Castoren zum Austritt von Radioaktivität führen.

Matthias Eickhoff: Außerdem ist der Atommüll im Zwischenlager Ahaus kein bisschen sicherer als in Jülich.

Das müssen Sie erklären.

Eickhoff: Das Zwischenlager Ahaus ist fast 40 Jahre alt. Den heutigen Sicherheitsstandards entspricht es längst nicht mehr. Etwa gegen Flugzeugabstürze ist es nicht gesichert. Außerdem gibt es dort im Gegensatz zu Jülich keine „heiße Zelle“, in der defekte Castorbehälter repariert werden könnten. Dazu kommt: Die Genehmigung des Zwischenlagers Ahaus läuft 2036 aus – und die ersten Jülicher Castorbehälter werden schon 2032 ans Ende ihrer 40-jährigen Lebenszeit kommen. Das bedeutet: Wer heute Atommüll nach Ahaus karrt, kann gleichzeitig schon den Abtransport beantragen – zurück nach Jülich oder wohin auch immer.

Wieso sollen die Castoren dann überhaupt nach Ahaus?

Ciesla: Auch in Jülich liegt der Atommüll in einem Zwischenlager. Dessen Betriebsgenehmigung ist aber schon 2013 ausgelaufen. 2014 hat Nordrhein-Westfalens einstiger SPD-Wirtschaftsminister Gar­relt Duin dann die „unverzügliche Räumung“ des Zwischenlagers Jülich angeordnet – wegen angeblicher Erdbebengefahr.

Wieso angeblich?

Ciesla: Weil das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung 2022 zu der Einschätzung gekommen ist, dass es für den Atommüll keine Gefahr durch Erdbeben gibt. Der Öffentlichkeit mitgeteilt wurde das aber erst im Oktober 2023 – vom NRW-Wirtschaftsministerium als Atomaufsicht, das von der grünen Vize-Ministerpräsidentin Mona Neubaur geführt wird.

Was fordern Sie von ihr?

Eichhoff: Das sie die unsinnigen geplanten Castortransporte stoppt und wie im schwarz-grünen Koalitionsvertrag versprochen für den Neubau eines neuen Zwischenlagers in Jülich sorgt, das den heutigen Sicherheitsanforderungen entspricht.

Neubaur argumentiert, die Entscheidung liege nicht bei ihr, sondern bei der Jülicher Entsorgungsgesellschaft für Nuklearanlagen, kurz JEN. Die wiederum verfolge alle Optionen, sowohl Transporte nach Ahaus wie den Bau eines neuen Zwischenlagers in Jülich.

Ciesla: Das stimmt aber ganz offensichtlich nicht. Obwohl die Genehmigung der Atommülllagerung in Jülich schon 2013 ausgelaufen ist, hat die JEN bis heute keinen Antrag auf Bau eines neuen Zwischenlagers gestellt. Nicht umsonst sind bereits Probetransporte ohne radioaktives Material von Jülich nach Ahaus gerollt – der letzte als „Kalthandhabung“ genannte Generalprobe unter Beteiligung der NRW-Atomaufsicht.

Eickhoff: Um es klar zu sagen: Mit dem Argument, die Entscheidung über die Zukunft des Atommülls liege bei der JEN und die verfolge weiterhin zwei Optionen, wird der Öffentlichkeit Sand in die Augen gestreut. Die JEN ist schließlich keine gewöhnliche Firma.

Sondern?

Eickhoff: Die JEN wird vom FDP-geführten Bundesforschungsministerium finanziert – und von Neubaurs NRW-Wirtschaftsministerium. Im JEN-Aufsichtsrat ist außerdem das Bundesfinanzministerium von Christian Lindner vertreten.

Die JEN sagt, der Transport nach Ahaus sei 25 Millionen Euro billiger als ein auf 100 Millionen Euro geschätzter Neubau in Jülich. Das Finanzministerium dürfte davon in Zeiten knappster Kassen ziemlich angetan sein, oder?

Foto: F.: BUND Nordrhein-Westfalen

Kerstin Ciesla

57, ist stellvertretende Landesvorsitzende des Umweltschutzverbands BUND in Nordrhein-Westfalen. Sie engagiert sich seit Anfang der achtziger Jahre in der Anti-Atom-Bewegung.

Ciesla: Es ist ein schlechter Witz, dass plötzlich mit der Finanzierung argumentiert wird. Der Jülicher Hochtemperaturreaktor hat Hunderte Millionen Euro Steuergeld verschlungen – und jetzt, wo es um die Sicherheit von Millionen Menschen im am dichtesten besiedelten Bundesland geht, sollen auf einmal Kosten eine Rolle spielen. Aber selbst das Bundesumweltministerium kommt inzwischen auf mindestens 100 Millionen Euro für den reinen Transport. Da wurden die massiven Polizeikosten noch gar nicht eingerechnet – und die können sich schnell auf einen zwei- bis dreistelligen Millionenbetrag summieren.

Eickhoff: Noch einmal: Wir reden über rund 300.000 hoch-radioaktive Brennelemente, die in 152 Castoren lagern – und die möglicherweise über Jahre in gefährlichen Autobahn-Einzelfahrten mitten durch die Landeshauptstadt Düsseldorf und durch das Ruhrgebiet gekarrt werden sollen. Deshalb fordern wir von der gesamten schwarz-grünen Landesregierung, also von CDU und Grünen, dass sie diese unsinnigen und unnötigen Transporte verhindert.

Steht das überhaupt in der Macht der Landesregierung?

Eickhoff: Eindeutig ja. Das Land NRW hat alle Fäden in der Hand. Die Landesregierung kann die Anordnung zur „unverzüglichen Räumung“ des Jülicher Zwischenlagers, die Ex-Wirtschaftsminister Duin 2014 angeordnet hat, jederzeit zurücknehmen. Dafür ist allein das Land und in Person konkret die amtierende grüne Wirtschaftsministerin Neubaur zuständig. Und ohne diese Räumungsanordnung gäbe es keine Notwendigkeit für die Atommülltransporte von Jülich nach Ahaus.

Ciesla: Mona Neubaurs Argumentation, ihr seien die Hände gebunden und die Entscheidung über die Transporte liege bei der JEN, grenzt an Desinformationspolitik. Als Chefin der NRW-Atomaufsicht kann sie jederzeit eine befristete Duldung für das bisherige Zwischenlager Jülich aussprechen. Damit wäre Ahaus als Option hinfällig. Und dann muss sie endlich zu einem Spitzengespräch einladen und Ver­tre­te­r:in­nen der Bundesministerien für Umwelt, Forschung und Finanzen sowie der JEN an einen Tisch bringen, um möglichst schnell den Bau eines neuen, nach aktuellen Standards gesicherten Zwischenlagers in Jülich anzugehen. Es ist ein Skandal, dass es seit 10 Jahren kein einziges solches Spitzengespräch gegeben hat.

Foto: privat

Matthias Eickhoff

57, ist Politikwissenschaftler und Übersetzer – und einer der Sprecher des Aktionsbündnisses Münsterland gegen Atomanlagen.

Was tun Umweltverbände und Anti-Atom-Initiativen, wenn die Atommülltransporte dennoch rollen?

Ciesla: Zu massiven Demonstrationen entlang der Transportstrecke aufrufen, bereits am 14. Januar in Ahaus – gemeinsam mit Land­wir­t:in­nen vor Ort. Außerdem klagt die Stadt Ahaus noch vor dem Oberverwaltungsgericht Münster. Nicht einmal diese Entscheidung wollen Bund und Land abwarten.

Hat die Anti-Atom-Bewegung denn überhaupt noch die Mobilisierungsfähigkeit, genug Leute auf die Straße zu bringen, damit die Proteste zu einem politischen Problem werden?

Ciesla: Ein Transport quer durchs Ruhrgebiet wird mit Sicherheit ein Politikum. Gerade Social Media ermöglicht uns eine viel schnellere und größere Mobilisierung als etwa 1998 – und da haben wir allein in Ahaus mehr als 10.000 Menschen auf die Straße gebracht.

Eickhoff: Wenn die Castoren wirklich rollen sollten, wird es massive Proteste geben, auch von Landwirt:innen. Die haben bereits gegen die Probetransporte demonstriert. Viele Menschen beginnen gerade zu verstehen, welche gefährliche Fracht da an ihnen vorbeirollen soll. Deshalb verstehe ich auch die Zögerlichkeit der schwarz-grünen Landesregierung nicht: Die Atomfrage galt doch als befriedet – umso unverantwortlicher ist es, alte Gräben wieder tief aufzureißen.