Pflanzengift in Brasilien: Leichtes Spiel für Agro-Konzerne
Bevor Präsident Lula das umstrittene brasilianische Pestizidgesetz unterschrieb, entschärfte er es. Umweltschützer*innen reicht das nicht.
Die Zulassungen sollen künftig innerhalb kürzerer Fristen erfolgen. Der Gesetzentwurf erlaubt der Industrie die Herstellung von Pestiziden, selbst wenn diese im Ausland verboten sind. Er sieht auch vor, dass das Verbot einzelner Pestizide nur noch auf Bundesebene und nicht mehr auf Landesebene erfolgen kann.
Der Sozialdemokrat Lula legte allerdings mehrere Vetos ein. Er will unter anderem verhindern, dass ausschließlich das Landwirtschaftsministerium Pestizid-Risiken analysiert. Bisher sind auch die Umweltbehörde Ibama sowie die Gesundheitsbehörde Anvisa involviert.
Dem Agrobusiness nahestehende Politiker*innen kritisierten die Vetos als „inkohärent“. Der Gesetzestext sei im Kongress in einer Übereinkunft verschiedener Parteien verabschiedet worden, unter anderen mit Mitgliedern von Lulas Arbeiterpartei PT. Im Februar soll die Abgeordnetenkammer über die Vetos abstimmen.
Kritik von Umweltschützer*innen
Der Verabschiedung ging eine heftige Debatte im Regierungslager voraus. Während viele Abgeordnete das Gesetz unterstützen, hatte Umweltministerin Marina Silva Kritik geäußert. Auch Umwelt- und Gesundheitsorganisationen schlagen Alarm.
„Die Vetos von Präsident Lula waren wichtig, aber sie sind nicht ausreichend, um die schweren Probleme dieses Gesetzes zu lösen“, sagte der Umweltaktivist Alan Tygel dem Online-Magazin Brasil de Fato. „Der aktuelle Gesetzestext ist katastrophal und gefährdet die Gesundheit der brasilianischen Bevölkerung.“ Umweltorganisationen wollen versuchen, das „Giftpaket“ vor dem Obersten Gerichtshof zu stoppen.
In keinem Land der Welt werden mehr Pestizide eingesetzt als in Brasilien. Alleine im Jahr 2023 wurden mehr als 500 neue Pestizide zugelassen. Die Lula-Regierung behält damit das Tempo der Vorgängerregierung des ultrarechten Jair Bolsonaro bei.
Zwischen Umweltpolitik und Agrarlobby
Erst im Oktober 2023 stellte eine im US-Journal PNAS veröffentlichte Studie einen Zusammenhang zwischen dem Anstieg von Leukämiefällen bei Kindern und dem Pestizideinsatz auf Sojaplantagen her. Von den zehn meistverkauften Pestiziden in Brasilien sind vier in der Europäischen Union verboten.
Die aktuelle Debatte zeigt ein grundlegendes Dilemma für Lula auf. Auf der einen Seite hatte der Sozialdemokrat eine radikale Wende der Umweltpolitik angekündigt. Tatsächlich hat seine Regierung Kontrollorgane wie die Umweltbehörde Ibama wieder aufgerüstet, nach einer radikalen Kürzungspolitik durch Bolsonaro.
Auf der anderen Seite ist er auf eine gute Beziehung zum Agrobusiness angewiesen. Brasilien ist einer der weltweit größten Lebensmittelproduzenten, die Agrarlobby ist stark. Während seiner ersten beiden Amtszeiten von 2003 bis 2011 hatte Lula für seine Umweltpolitik den Unmut von Umweltschutzorganisation und Indigenen auf sich gezogen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Streit in der SPD über Kanzlerkandidatur
Die Verunsicherung