Lachtrainerin Carmen Goglin: Die an der Lachkurbel dreht
Carmen Goglins Videos haben Kultstatus. Sogar Personalabteilungen bringt sie zum Wiehern. Zuvor aber musste sie das Weinen lernen.
Zuallererst soll es hier um Tränen gehen. Nicht um Lachtränen, sondern um das Original. Denn mit einem Gefühlsstau hat für Carmen Goglin alles angefangen. Dass ihr das Weinen mal genauso leicht fallen würde wie das Lachen, hätte sie lange nicht für möglich gehalten. Viele Jahre habe es gebraucht, bis ihr klar geworden sei, dass sie die Tränen einfach fließen lassen könne. Sich gegen den Drang zu wehren, loszuheulen, ließe das Gesicht anschwellen und die Schläfe pochen. Ein unbequemer Zustand, viel unbequemer, als hier und da mal ein bisschen zu schluchzen. Heute findet Goglin: „Jedes Gefühl ist wichtig, jedes Gefühl darf da sein und sich ausbreiten.“ Mittlerweile könne sie der Verlockung widerstehen, einfach anzulachen gegen Emotionen, die ihren rechtmäßigen Platz beanspruchten. Und das ist wirklich eine Leistung, denn Lachen ist Carmen Goglins leichteste Übung.
Die 57-Jährige ist Lachyoga-Trainerin und damit enorm erfolgreich. Wohin man auch zappt oder scrollt, Carmen Goglin lacht: mit Jan Böhmermann im „ZDF Magazin Royale“, mit Klaas Heufer-Umlauf bei „Late Night Berlin“, im SAT.1-Frühstücksfernsehen, auf dem Sofa der Youtube-Sendung „World Wide Wohnzimmer“, in der RTL-Spielshow „Fünf gegen Jauch“ und jeden Tag zusammen mit ihren 145.000 Follower:innen auf Instagram. Sie lacht auch analog: auf Weihnachtsfeiern, Junggesell:innenabschieden, Teambuilding-Events, in Selbsthilfegruppen. Als Lachtrainerin gibt sie TED Talks, hat ihre Memoiren geschrieben und eine Lachschule im schwäbischen Reutlingen gegründet.
Seit im November 2020 einige ihrer Lachyoga-Übungsvideos viral gingen, ist Carmen Goglin von heute auf morgen sehr sichtbar geworden. Zwar eher unfreiwillig und ganz bestimmt nicht in ihrem Tempo, aber inzwischen hält sie mit der eigenen Popularität Schritt. Und lässt sich ein auf alle möglichen Anfragen – auch wenn sie oft erst gründlich recherchieren müsse, um herauszufinden, was von dieser Influencerin oder jenem Twitch-Streamer zu halten sei, der neuerdings mit ihr kollaborieren wolle.
Während sie das erzählt, sitzt Carmen Goglin auf einem Schreibtischstuhl, der sehr ergonomisch aussieht und den Stadtwerken Stuttgart gehört. Dort hat sie aktuell ein Büro. Allerdings nicht, um gute Laune zu verbreiten, sondern als Interimsmanagerin in der Personalabteilung. Zeitlich befristet hilft Goglin Unternehmen bei Lohn- und Gehaltsabrechnungen. Aktuell hat sie keine Pläne, das aufzugeben und vom Lachen allein zu leben. Stattdessen genießt sie den Kontrast. Seit 16 Jahren macht sie diesen Bürojob, ist dafür schon in ganz Deutschland im Einsatz gewesen und generell sehr gefragt. Das sei nicht immer so gewesen, erzählt sie. Gerade der Beginn ihrer Selbstständigkeit habe ihr einiges abverlangt. Sie gestand sich kaum Pausen ein, wollte alles perfekt erledigen. Irgendwann fiel es ihr immer schwerer, Antrieb zu finden, sie erkannte sich in ihrer Lethargie kaum wieder.
„Mich nicht mehr auf mich selbst verlassen zu können, hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen“, so beschreibt sie es heute. Goglin wuchs in der Nähe von Meißen auf, ist also DDR-sozialisiert. Ihr Gemütszustand widerspricht den Glaubenssätzen, mit denen sie groß wurde: „Immer funktionieren, immer nützlich sein, bloß niemandem zur Last fallen.“ Auch wenn die Wende damals, Ende der nuller Jahre, schon einige Jahre zurückgelegen habe und sie längst in Reutlingen lebte, präge einen das ja. Ein Arzt diagnostiziert Depressionen, sie nimmt Medikamente und macht eine Therapie. Doch so richtig besser wird es nicht.
Also sucht sie weiter. Probiert autogenes Training, progressive Muskelentspannung, Klopfakupressur und entdeckt irgendwann – „wie eine kleine Insel!“ – Lachyoga. Zum ersten Workshop nimmt sie ihre Tochter mit, die der Mutter zwischendurch zuraunt: „Sind die hier alle bescheuert?“ Doch Carmen Goglin spürt beim gemeinsamen Lachen, wenn auch nur kurz, wieder so etwas wie Glück. Beim Lachen werden Endorphine ausgeschüttet, und dafür ist es erst mal nicht so wichtig, ob man lacht, weil etwas lustig ist oder weil eine Übung das so vorgibt.
Im besten Fall funktioniert das „Fake it till you make it“-Prinzip: Das künstliche Lachen geht irgendwann in echtes, herzhaftes Lachen über. Man lacht sich in einen kleinen Rausch hinein. Das reduziert Stress und stärkt das Immunsystem. Was es nicht kann: Depressionen heilen. Und, eben auch wichtig: Angst, Trauer, Zorn müssen manchmal sein. Ihr habe Lachyoga aber eine Form der Selbstwirksamkeit wiedergegeben, sagt Carmen Goglin. „Lachen gilt als etwas Passives. Menschen warten drauf, dass lustige Dinge passieren oder jemand kommt, der sie zum Lachen bringt.“ Lachyoga habe ihr gezeigt, dass eine Ressource in ihr schlummere, die sie nur zu aktivieren brauche.
Das erste Mal seit Langem habe sie sich wieder richtig für etwas begeistern können. Und wenn Carmen Goglin von etwas begeistert ist, dann sollen das alle wissen. Also gründet sie ihren eigenen Lachtreff, lässt sich vom indischen „Guru des Kicherns“, Madan Kataria, in Österreich zur Lachyoga-Trainerin ausbilden, filmt Übungsvideos und lädt sie bei Youtube hoch. Sie heißen Lachkurbel (Goglin dreht an einer imaginären Kurbel neben ihrem Kopf und lacht immer lauter, je schneller sie kurbelt), Gorillalachen (sie klopft sich auf die Brust und lacht bei jedem Klopfen), oder Lachen rund um den Baum (Goglin steht im Wald, lugt abwechselnd links und rechts neben einem Baumstamm hervor und lacht dabei) und gelten heute bereits als Internetklassiker. Goglin strahlt darin eine solche Ungeniertheit und Nonchalance aus, dass man nicht anders kann, als aus ganzem Herzen mitzulachen oder zumindest mal anerkennend mit den Mundwinkeln zu zucken.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
So oder so ähnlich wird es auch dem Deutschrapper Finch gegangen sein, als er im November 2020 beschließt, das „Lachen rund um den Baum“ zu parodieren. Carmen Goglin kann sich erst überhaupt nicht erklären, woher die Abertausenden von Klicks plötzlich kommen, doch als sie dann auf Finchs Video stößt, wird ihr heiß und kalt vor Scham. „Die Frau gehört weggesperrt“, liest sie in der Kommentarspalte. Sie fühlt sich furchtbar bloßgestellt und missverstanden. „Auf eine Weise hat es mich in meine Kindheit zurückgeworfen“, erzählt sie. Die älteren Halbbrüder hätten sie häufig verspottet, Goglin habe meist mit Tränen reagiert und „das führte dann zu noch mehr Spott“. Als junges Mädchen erlegt sie sich selbst ein Weinverbot auf, bloß nie wieder Schwäche zeigen, sich nicht angreifbar machen. Einer der Gründe für den „Gefühlsstau“, von dem sie glaubt, dass er viele Jahre später ihre Depression auslöste.
Im Zuge des Parodie-Shitstorms muss sie lernen, dass sie keine Kontrolle darüber hat, wie andere sie wahrnehmen. Dass diese plötzliche Sichtbarkeit zwar Schmerz mit sich bringt, aber auch eine Chance. Nicht nur Hater kapern ihre Social-Media-Profile, sondern auch Menschen, die mit ihren Übungen etwas anfangen können. Sie sträubt sich gegen den Impuls, einfach aufzuhören, und veröffentlicht nur Tage später das „Bürostuhl-Schaukel-Lachen“, das „Sich-ins-Fäustchen-Lachen“ und ihren alljährlichen Lachadventskalender.
Sie bekommt erste Medienanfragen, wird auf der Straße erkannt und bemerkt, dass die Teilnehmer:innen ihrer mittlerweile auf Zoom stattfindenden Lachtreffs nicht nur mehr, sondern auch jünger werden. Unter ihren Instagram-Posts häufen sich heute Nachrichten wie „Schönste Konstante in meinem Leben“, „Purer Segen“, „Meine Begleiterin in schweren Zeiten.“ Wenn alles nichts helfe, gebe es ja immer noch Carmen Goglin, schließt kürzlich Miriam Davoudvandi, Host des Mental-Health-Podcasts „Danke, gut“, ihren Talk mit Bill Kaulitz. Der schreit auf: „Die ist so toll, ich liebe sie einfach“, und dann steigen Davoudvandi und Kaulitz gemeinsam aufs Lachmotorrad.
Im Grunde ziehe sich das durch ihr Leben, „dieser Wunsch, Menschen in Selbstverantwortung zu bringen“. Goglin tat das als Lehrerin in der DDR, als Selbstständige, wenn sie beim Umbau von Personalabteilungen hilft, und eben als Lachyoga-Trainerin. Mittlerweile, so erzählt sie, fragten sie Unternehmen sogar für beides an, Lachen und Lohnbuchhaltung. Sozusagen als Interimsmanagerin für die Seele? Carmen Goglin lacht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos