Psychoanalytiker über Dummheit: „Immer eine Frage der Perspektive“
Dummheit ist eigentlich kein Begriff der psychoanalytischen Arbeit. Torsten Maul macht sich trotzdem Gedanken darüber und lädt ein zu einer Diskussion.
taz: Herr Maul, macht Dummheit glücklich?
Torsten Maul: Vielleicht wirkt Dumm-Sein oft leichter, weil es von bestimmten Anstrengungen befreit. Mitunter ist der Verstand einfach nicht stark genug, um kurzfristige Triebbefriedigung zugunsten nachhaltiger Lösungen aufzuschieben.
Was genau ist Dummheit?
Im sozialen Miteinander wird der Vorwurf meist gebraucht, um andere zu beschämen, zu diskreditieren oder um sich lustig zu machen. Etwas als „dumm“ zu bezeichnen, ist aber auch immer eine Frage der Perspektive. Was aus einer Sicht sinnvoll scheint, gilt aus anderer Blickrichtung vielleicht als dumm.
Wann zum Beispiel?
Wenn jemand sein letztes Geld für einen Lottoschein verschwendet oder wenn jemand aus Wut auf die gesellschaftlichen Verhältnisse eine Partei wählt, die erst recht alles kaputtmachen wird. Aber auch ungesundes Essen, Verschwörungstheorien, Drogen, umweltzerstörerisches Verhalten: alles nicht so schlau. Aber Verzicht ist schwer. Und dass der Mensch es damit so schwer hat, ist auch irgendwie dumm. Ist aber so.
Wie blickt Psychoanalyse auf dummes Verhalten?
Wir Menschen sind in Bezug auf uns selbst ziemlich unwissend. Wo kommen unsere Ideen, unsere Gefühle, unser Empfinden eigentlich her? Das ist aber nicht Dummheit, das ist der Normalfall. Deswegen gibt es den Begriff „dumm“ in der analytischen Arbeit eigentlich nicht. Weil wir uns für den Sinn auch von scheinbar dummem Verhalten interessieren. Als Analytiker frage ich nicht: Wie dumm ist das denn?
*1961, Psychoanalytiker und Maler, hat 2015 den Psychoanalytischen Salon Hamburg gegründet.
Sondern?
Welchen Sinn macht es für die Patient*innen, sich so zu verhalten? Oder: Wie kriegen sie es hin, so zu sein? Oder auch: Welchen unbewussten Gedanken und Fantasien folgt das, was sie da tun?
Weil auch Dummheit einen Sinn hat?
Auch dumm scheinende Dinge haben oft einen Sinn, ein Motiv – und einen Zusammenhang, in dem sie stattfinden. Wenn Kinder an schulischen Aufgaben scheitern und sich daraufhin zurückziehen oder sozial auffällig werden, kann das bei oberflächlicher Betrachtung dumm wirken. Aber oft ist das der Ausdruck tiefer seelischer Irritation und Verzweiflung. Und das Verhalten dient häufig der Aufrechterhaltung des inneren Gleichgewichts. Die scheinbare Dummheit ist das Symptom, und weniger die Ursache.
Psychoanalytischer Salon mit Heidi Kastner und Torsten Maul, (Moderation: Torsten Michels): Mo, 27. 11., 20 Uhr, Thalia Theater/Nachtasyl (Eintritt frei)
Was erhoffen Sie sich von den Gesprächen im Psychoanalytischen Salon?
Wir haben das Format ins Leben gerufen, weil wir einen Raum für gemeinsames Nachdenken und Diskussionen schaffen wollten. Der Salon ist ausdrücklich nicht der Versuch, Psychoanalyse zu „erklären“. Es geht darum, verschiedene Perspektiven einzubringen, aus anderen Fachrichtungen und natürlich aus dem Publikum.
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