: Etikettenschwindel?
Alle Fraktionen im Abgeordnetenhaus wollen das Paket für mehr Klimaschutz – außer der AfD. Klima-Initiativen üben jedoch Kritik
Von Claudius Prößer
Um fünf Milliarden Euro für mehr Klimaschutz geht es am Mittwoch im Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses. Der befasst sich mit dem sogenannten Errichtungsgesetz für das „Sondervermögen Klimaschutz, Resilienz und Transformation“ des Senats. Außer der AfD stehen alle Fraktionen diesem Vorhaben positiv gegenüber – die CDU und SPD sowieso, aber auch die Oppositionsparteien Grüne und Linke.
Auch viele Klima-Initiativen finden es grundsätzlich gut, dass das Land viel Geld für Klimaschutz in die Hand nehmen will – aber sie melden schwere Bedenken beim Einsatz der Mittel an.
„Wir begrüßen diese Maßnahme sehr“, heißt es in einem offenen Brief an den Regierenden Bürgermeister Kai Wegner, Finanzsenator Stefan Evers sowie Klimaschutz-Senatorin Manja Schreiner (alle CDU). „Jedoch fehlen bei der Ausarbeitung des zugrundeliegenden Gesetzes bisher Transparenz, wissenschaftliche Expertise sowie eine angemessene Beteiligung der Berliner*innen.“ Bei der Zusammensetzung des Lenkungsausschusses, der die Mittel vergibt – und bei den Kriterien, nach denen er das tut –, „sehen wir dringenden Handlungsbedarf“.
Unterzeichnet ist das Schreiben von der Initiative Klimaneustart Berlin, dem Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), Fridays for Future und vielen anderen Gruppen. Sie fordern den Senat auf sicherzustellen, dass das Sondervermögen kein „Etikettenschwindel“ werde.
Laut Errichtungsgesetz sei das Sondervermögen für Investitionen in fossilfreie Wärmeerzeugung und Mobilität, Maßnahmen zur Erhöhung der Energieeffizienz von Gebäuden und zur Anpassung an den Klimawandel gedacht. Laut den Unterzeichnenden dürften aber Ideen wie die Sanierung von Polizeiwachen aus dem Klimatopf nicht weiterverfolgt werden. Auch sei es nicht in Ordnung, Posten aus dem regulären Haushalt auszulagern.
Berlin Klimaneutral und Co. kritisieren weiterhin, dass der im Gesetzentwurf verankerte Lenkungsausschuss aus den Reihen der Senatsverwaltungen besetzt werden soll. Somit sei unklar, „woher die nötige Expertise kommen soll“.
„Völlig unklar“ sei, warum der Lenkungsausschuss nicht vom Berliner Klimaschutzrat beraten werden solle. Dieses 18-köpfige ExpertInnengremium wurde schließlich vom Senat selbst einberufen – freilich zu Beginn der Legislatur, als die Farben noch Rot-Grün-Rot lauteten.
„Wir stehen jetzt vor diesem großen Koffer mit Geld, der eine große Wirkung erzeugen könnte, gleichzeitig sehen wir Zeichen eines politischen Rollbacks“, begründete BUND-Klimaschutzreferent Matthias Krümmel in einem Hintergrundgespräch, warum es dringend notwendig sei, die Zivilgesellschaft einzubeziehen.
Kräftigen Gegenwind bekommt der Senat am Mittwoch wohl von Karin Klingen, der Chefin des Berliner Rechnungshofs. Sie hatte schon per schriftlicher Stellungnahme klargemacht, dass ihre Behörde starke Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Sondervermögens hat.
Zwar teile der Rechnungshof „grundsätzlich“ die Einschätzung des Senats, dass es Handlungsbedarf gebe, um die Klimakrise abzuwenden, allerdings sehe man die milliardenschwere Kreditermächtigung „mit Sorge“.
„Dadurch würde sich die im Vergleich der Bundesländer bereits überdurchschnittlich hohe Verschuldung des Landes um mehr als 7 Prozent erhöhen“ und der Berliner Haushalt werde „noch anfälliger für Zinserhöhungen“, heißt es in der Stellungnahme. Das aber belaste die zukünftigen Generationen.
Der Rechnungshof habe zudem Zweifel an der Begründung: „Weder der Klimawandel noch die Reduzierung der energiepolitischen Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen stellen eine außergewöhnliche Notsituation im Sinne der Schuldenbremse dar.“ Dafür sei beides schon zu lange absehbar gewesen.
Die Berliner Grünen begrüßen die Pläne des Senats, fordern jedoch einen Verwendungsschwerpunkt des Sondervermögens auf die Sektoren Wärme- und Mobilitätswende. Auch solle der Lenkungsausschuss durch ein unabhängiges Expert*innengremium aus Wissenschaft, Verbänden und zivilgesellschaftlichen Initiativen ersetzt werden.
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