Chilenische Band Armadillo Cactus: Bevor die Gesellschaft austrocknet

Armadillo Cactus suchen mit Musik nach sinnstiftendem Leben. Mit ihrem Label machen sie auf Sexismus und Wasserknappheit aufmerksam.

Eine vierköpfige Band (zwei Frauen, zwei Männer) jamt in einer ausgetrochkneten Lagune

Folgen von Klimawandel und Avocado-Anbau: Armadillo Cactus in der aus­getrockneten Laguna de Aculeo Foto: Atacama Records

Rissiger Boden, dazwischen verdorrtes Gras, Knochen ragen aus dem, was mal der Grund eines Sees war. So beginnt „Ausencia del agua“ (Wasserknappheit), ein Dokumentarfilm des chilenischen Labels Atacama Records. „Gleichgültigkeit und Trägheit sind Merkmale der neuen Modernität“, erscheint in weißen Lettern auf den Bildern, die den Blick über die Laguna de Aculeo streifen lassen.

„Wir hören auf zu fühlen und zu sehen. Es ist die Ära der Sinnesknappheit. Was passiert, wenn wir den Sinn verlieren?“ Im Off beginnt eine Stimme zu erzählen, was es auf sich hat mit diesem ausgetrockneten See. Es spricht die Stimme von Véronica Barriga, Mitbegründerin von Atacama Records, Gitarristin und eine der beiden Sän­ge­r:in­nen der Band Armadillo Cactus.

Gemeinsam mit Schwester Magdalena steht sie für Tropical Indie, einen Sound, den die Band für sich reklamiert und nach dem sie ihr kommendes Album benannt hat. „Seit Bandgründung 2012 haben wir musikalisch einen Prozess durchlaufen“, sagt Barriga der taz. Eine Prise Indie-Pop, ein bisschen Rock ‚n‘ Roll, so präsentierte sich das Quintett bereits auf Tour in Mexiko und Europa.

Zu E-Gitarren, Schlagzeug, Synthesizer und der subtilen Bassline mischen sich auch elektronische Sequenzen – und, dank des Percussionisten Diego Sanhueza, traditionelle Afrolatin-Rhythmen. So entsteht Musik, die einen in die magische Wüstenwelt im Norden Chiles bis hin zu den saftig-grünen Berglandschaften im Süden versetzt. Musik, die vor allem in Stücken wie „Carita“ und „Respirar“ an die kolumbianische Band Bomba Estéreo erinnert.

Misogynie in der neoliberalen Musikszene

Armadillo Cactus veröffentlichen ihre Musik unabhängig vom Mainstream – auf ihrem eigenen Label. „Atacama erschafft einen kollaborativen Raum, um Erfahrungen und Ressourcen zu teilen und einen Beitrag zur chilenischen Musikindustrie aus weiblicher Perspektive zu leisten“, sagt Véronica Barriga.

Das Leben als Künst­le­r*in im neoliberalen Chile ist schwer: Staatliche Unterstützung für kulturelle Projekte gibt es kaum, der Weg dorthin wird durch Bürokratie erschwert. Die regionale Musikindustrie stützt sich zudem auf Machismo und Sexismus, beides wird in den beliebten Musikrichtungen Trap und Reggaeton zu misogynen Botschaften verpackt. Ein Gegengewicht dazu aufzubauen, ist quasi unmöglich.

Neben der Musik arbeiten die Barrigas als Architektin und Grafikdesignerin. „Kunst wird hierzulande durch Eigenengagement aufrechterhalten“, sagt Barriga. Die Schwestern verstehen ihr Label als Kooperative, „damit nutzen wir unser musikalisches Talent als Werkzeug für eine soziokulturelle Transformation“. So fördert „Hijas del ritmo“ („Töchter des Rhythmus“), eines der Unterprojekte von Atacama Records, etwa chilenische Mu­si­ke­r*in­nen wie Camila Vaccaro, Yinyer und Geonautas, damit neben dem Mainstream auch andere Musik existiert.

Jenseits der soziokulturellen Ebene wollen Véronica und Magdalena Barriga mit Atacama Records auch sozio-ökologisch etwas verändern und auf Missstände in Chile aufmerksam machen. Im Dokumentarfilm „Ausencia del agua“ kommen neben Armadillo Cactus vier weitere Musikgruppen zu Wort. Ihre Musik in der ausgetrockneten Lagune ist ein Anfang. „Während das Land austrocknet, überleben die Künste die Gleichgültigkeit. Das Wasser ist für das Land wie die Kultur für das soziale Gefüge“, spricht Barriga aus dem Off.

Ein Statement, das die komplizierte Lage für Kultur außerhalb des Mainstreams benennt. Und „Ausencia del agua“ macht damit auch auf die Misswirtschaft mit natürlichen Ressourcen aufmerksam, die der Privatisierung des Trinkwassers zu verdanken ist.

Ausbeutung von Wasserressourcen

Eine Autostunde von Santiago entfernt, in der Nähe der Stadt Paine gelegen, war die Laguna de Aculeo beliebtes Ausflugsziel für Hauptstädterinnen, bis sie 2018 austrocknete. Als ausschlaggebend galt eine jahrelange Dürre, die in den zentral gelegenen Regionen des Landes anhält und für die zunächst ausschließlich klimatische Veränderungen verantwortlich gemacht wurden.

Eine 2022 veröffentlichte Studie offenbarte jedoch einen weiteren Aspekt für die Wasserknappheit: Neben der um 30 Prozent gesunkenen Niederschlagsrate gilt auch die Ausbeutung der Wasserressourcen als maßgeblich für die Austrocknung. Speziell der Anbau von Avocados verlangt Unmengen von Wasser, weshalb ganze Flüsse umgeleitet und Seen angepumpt werden. Das Gesetz hierzu stammt noch aus der Pinochet-Diktatur und sollte die Export-orientierte Agrarwirtschaft fördern.

Die meisten Wassernutzungsrechte liegen in Chile bei Großkonzernen, die unabhängig vom Trinkwasserbedarf Wasser abschöpfen können. Dem Staat verkaufen diese Konzerne Wasser, mit denen der wiederum die Bevölkerung versorgt. Nicht nur die Existenz von Kleinbauern ist so gefährdet, gerade der indigenen Bevölkerung wird durch zunehmende Abholzung für den Agrarsektor die Lebensgrundlage entzogen.

Die Texte von Armadillo Cactus enthalten eher subtile Botschaften. Sie erzählen von einer Sehnsucht danach, in Ruhe leben zu können, sich mit seiner Umgebung und den Menschen in ihr verbunden zu fühlen und nicht mehr angstgetrieben in einer Leistungs- und Konsumgesellschaft sein zu müssen. Im Video zu „Dime“ schweben die Schwestern durch die ausgetrocknete Lagune. Es scheint, als könnten sie nirgendwo mehr andocken in dieser unwirtlichen Gegend.

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„Me perdí cuando iba a partir / Busco, donde estar / Busco, despertar /Busco vida más allá / Donde los miedos no me puedan encontrar“, singen die beiden in „Luna“ über treibende Gitarrenriffs und fordernde Percussion. Die Dringlichkeit, mit der nach einem sinnstiftenden Leben gesucht wird, ist förmlich zu greifen, besonders, wenn es gegen Ende heißt: „Vidaaaa, dónde estás Luna?“.

Ängste hängen im neoliberalen Chile oft unmittelbar mit Wohlstand zusammen. In einem Land, in dem neben Wasser auch Kranken-, Rentenversicherung sowie das Bildungssystem privatisiert sind, sexualisierte Gewalt eine große Rolle spielt und der Zugang zu Abtreibungen verwehrt wird, wachsen sie rasant, die Ängste vorm Krankwerden, vor Armut und sozialer Segregation.

Der Traum wäre es, von der Kunst leben zu können, darin sind sich die Schwestern einig. „Die Gesellschaft in unserem Land ist von Angst getrieben“, weiß Véronica Barriga; Angst, die eng mit Chiles Geschichte zusammenhängt. Die Frustration hört man der Musik von Armadillo Cactus glücklicherweise nicht an.

„Musik ist für mich eine transformative Sprache“, sagt Véronica Barriga. „Musik hat das Potenzial, sowohl pädagogisch, therapeutisch als auch spielerisch zu wirken und so nicht nur der Erinnerung zu dienen, sondern als wichtiges Zeitdokument“, sagt die 43-Jährige. Sie müsse aber auch gehört werden. Um das zu erreichen, wurde Atacama Records gegründet.

Nach einem Starkregen konnte sich kürzlich erstmals seit 2018 wieder Wasser in der Laguna de Aculeo sammeln. Dass dieses nicht endlos ist, seine Ausbeutung sichtbare Schäden hinterlässt, davon zeugt „Ausencia del agua“ sowie die Musik einer neuen Generation von Chilen*innen.

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