„Wir bleiben, bis wir sterben“

Rund 30 Lkw-Fahrer in Gräfenhausen sind im Hungerstreik. Sie fordern etwa 500.000 Euro Lohn ein. Deshalb hat Arbeitsminister Heil jetzt die polnische Regierung kontaktiert

Ein Mann vor blauen Lkw

Harrt mit anderen Streikenden seit mehr als 7 Wochen aus: georgischer Lkw-Fahrer Foto: Boris Roessler/dpa

Von Johanna Treblin

Die rund 30 Lkw-Fahrer im hessischen Gräfenhausen, die am Dienstagnachmittag in den Hungerstreik getreten sind, hielten ihren Protest auch am Mittwoch weiter aufrecht. Das sagte Edwin Atema von der europäischen Transportarbeitergewerkschaft, der für die Fahrer vermittelt, der taz. Sie fordern den ihnen zustehenden Lohn ein.

Insgesamt harren rund 100 Lkw-Fahrer aus Usbekistan, Kasachstan, Tadschikistan, der Ukraine und der Türkei seit über sieben Wochen auf den Raststätten Gräfenhausen Ost und West aus. Die polnische Mazur-Gruppe, zu der die Unternehmen Lukmaz, Agmaz und Imperia gehören, soll ihnen insgesamt etwa eine halbe Million Euro schulden. Die Firma bestreitet das. Es ist der längste bekannte Streik von Truckern in Europa.

„Ein Fahrer hat hier gerade gesagt, sie bleiben, bis sie sterben“, sagte Atema am Mittwochvormittag. „Sie sind verzweifelt und wissen sich nicht anders zu helfen.“ Im Hessischen Rundfunk sagte ein Fahrer aus Georgien, seine Familie hungere seit Monaten und warte auf das Geld, das ihm zustehe. Deswegen gehe auch er jetzt in den Hungerstreik.

Am Mittwoch verabschiedete zunächst der Verdi-Bundeskongress eine Solidaritätsadresse an die streikenden Fahrer. Darin heißt es unter anderem: „Das schamlose Ausnutzen und Brechen von EU-Regeln durch die Unternehmen muss endlich ein Ende haben.“

Nachmittags äußerte sich auf dem Kongress auch Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) dazu. Er sprach von einer „beschissenen Situation“ und erklärte: „Wir werden da nicht tatenlos zusehen.“ Er habe am Mittwoch mit der polnischen Arbeitsministerin Kontakt aufgenommen, damit auch sie sich des Themas annimmt. Heil sieht aber auch die deutschen Großunternehmen in der Pflicht, die Kunden von Mazur sind. „Die Frage von Menschenrechten ist keine Frage von Freiwilligkeit.“

Bereits am Freitag hatte der Minister in der Frankfurter Rundschau gesagt: „Lkw-Fahrer halten unser Land und unsere Wirtschaft am Laufen. Sie um ihren hart verdienten Lohn zu betrügen, dulden wir nicht. Die verzweifelten Lkw-Fahrer in Gräfenhausen brauchen unsere Unterstützung.“ Atema begrüßte im Gespräch mit der taz, dass sich der Bundesarbeitsminister eingeschaltet hat. Er hofft: „Das sind sicher keine leeren Worte.“

„Ich mache diese Arbeit schon lange, so etwas ist mir neu“

Vermittler Edwin Atema

Die blauen Lkw fahren fast ausschließlich in Westeuropa. Auftraggeber sind Unternehmen unter anderem aus Deutschland und Österreich. Zwischen ihnen und der Mazur-Gruppe liegen oft mehrere Subunternehmen. Die Fahrer hatten kürzlich Namen von Firmen und Marken öffentlich gemacht, deren Waren sie geladen haben oder die als Logistikunternehmen an der Lieferkette beteiligt sind; darunter waren Unternehmen wie DHL, Ikea, DB Schenker, Obi und Bauhaus. Die Firmen bestritten auf Anfrage der taz, Mazur beauftragt zu haben oder von Aufträgen in ihrer Lieferkette zu wissen. Heil hatte am Freitag angekündigt, an der Mazur-Lieferkette beteiligte Unternehmen im Rahmen des Lieferkettengesetzes einer Sonderprüfung zu unterziehen. Zuständig für Verstöße gegen das im Januar in Kraft getretene Gesetz ist das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle. Dieses habe Auskunftsersuchen an Unternehmen eingeleitet, die laut Berichterstattung als Auftraggeber mit der Mazur-Gruppe in Verbindung gebracht werden.

Atema hofft, dass die Auftraggeber sich nun bewegen. „Wenn die Fahrer eine Perspektive erhalten, dann wird der Hungerstreik sicher bald enden.“ Der Gewerkschafter schien von der Situation selbst etwas überfordert. „Ich mache diese Arbeit schon sehr lange, aber so etwas habe ich noch nicht erlebt.“