Behörde wird neue Zulassung empfehlen: EU-Kommission will weiter Glyphosat
Die Brüsseler Behörde will vorschlagen, die Zulassung des Pestizids zu erneuern. Um die Folgen für die Natur sollen sich die Mitgliedsländer kümmern.
Glyphosat ist der weltweit meistverkaufte Pestizidwirkstoff. Die Internationale Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation WHO bewertete ihn 2015 als „wahrscheinlich krebserregend“. Denn mit Glyphosat gefütterte Ratten und Mäuse hatten Tumore entwickelt. In den USA verurteilten daraufhin mehrere Gerichte einen der Hersteller, die deutsche Bayer AG, zu hohen Schadenersatzzahlungen an Kläger, die ihre Krebserkrankung auf das Mittel zurückführen. Bayer beruft sich dagegen auf verschiedene Zulassungsbehörden, die Glyphosat als sicher einstufen. Das Gift tötet so gut wie alle nicht gentechnisch veränderten Pflanzen und damit auch Nahrung für Vögel und Insekten. Deshalb gilt es Umweltschützern als Gefahr für die Artenvielfalt.
Doch wie diese indirekten Auswirkungen zu analysieren sind, dafür gebe es „derzeit keine vereinbarten harmonisierten Methoden“, erklärt die EU-Kommission in ihrem Berichtsentwurf. Die zuständige EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) hat in ihrer Abschlussanalyse zu Glyphosat kritisiert, dass die Pestizidhersteller keine systematische Literaturzusammenstellung zum Thema geliefert hätten, obwohl dies angefordert worden sei. Aus diesen Gründen seien „keine eindeutigen Schlussfolgerungen“ dazu möglich, wie der Unkrautvernichter sich auf die Artenvielfalt auswirkt.
Umweltschützer: EU-Kommission unverantwortlich
Dennoch ist die Kommission offenbar der Meinung, dass die Mitgliedsländer das Problem leichter in den Griff bekommen können als die EU und die Efsa: „Aufgrund der komplexen und multifaktoriellen Elemente sind die Mitgliedstaaten am besten in der Lage, die indirekten Auswirkungen auf ihr Hoheitsgebiet unter Berücksichtigung ihrer nationalen und regionalen Umweltbedingungen zu bewerten“, schreibt die Brüsseler Behörde. Sie könnten dann gegebenenfalls auch Bedingungen für die Anwender festlegen, um das Risiko zu reduzieren. Die Kommission nennt als Möglichkeiten zum Beispiel Pufferzonen, spezielle Düsen, die Abdrift des Pestizids mindern, und Feldränder etwa mit Hecken.
Die Efsa hatte noch auf weitere Fragen hingewiesen, die sie nicht klären konnte: Dazu zählt „die Bewertung des ernährungsbedingten Risikos für Verbraucher und die Bewertung der Risiken für Wasserpflanzen“. Ungewiss ist laut Efsa zudem, wie giftig ein bestimmter Stoff ist, der produktionsbedingt Glyphosat verunreinigt. Klar sei bereits, dass bei 12 von 23 vorgeschlagenen Verwendungen von Glyphosat „ein hohes langfristiges Risiko für Säugetiere“ bestehe.
Auch die Reaktion auf diese Probleme will die Kommission dem jeweiligen EU-Staat überlassen. Er solle diesen Punkten „besondere Aufmerksamkeit“ schenken, wenn er die fertigen Pestizidprodukte zulasse. Das ermöglicht der Kommission auch ihr Fazit, „dass glyphosathaltige Pflanzenschutzmittel die Sicherheitsanforderungen weiterhin erfüllen werden“. Die Krebsvorwürfe sieht die Efsa ohnehin für widerlegt an.
Die Umweltorganisation Pestizid-Aktionsnetzwerk (PAN) kritisierte, die Kommission weigere sich, die Verantwortung für den Schutz der Bürger und der Umwelt zu übernehmen. „Stattdessen versucht sie, die Last auf die Mitgliedstaaten abzuwälzen, die nun mit den peinlichen Efsa-Ergebnissen zur Toxizität des Herbizids umgehen sollen“, sagte der Geschäftsführer von PAN Europa, Martin Dermine. Die EU-Kommission ging in einer Stellungnahme für die taz nicht konkret auf die Vorwürfe ein. Sie schrieb im Wesentlichen nur, dass regulatorische Entscheidungen auf der Basis von Wissenschaft und Evidenz fielen.
Nun müssen EU-Staaten entscheiden, ob sie die Glyphosat-Zulassung erneuern, die am 15. Dezember abläuft. Bundesagrarminister Cem Özdemir sieht die Efsa-Untersuchung kritisch. Sie berücksichtige die Auswirkungen auf die Natur nicht ausreichend, sagte er vor kurzem in Brüssel. „Das ist, wie wenn Sie ein Fahrzeug fahren und auf alles testen, außer auf die Bremse“, so der Grünen-Politiker.
Sein Koalitionspartner FDP dagegen hat sich für eine Neuzulassung ausgesprochen. Im Koalitionsvertrag der Ampelparteien steht: „Wir nehmen Glyphosat bis 2023 vom Markt.“ Wenn sich die Ampelkoalition nicht einigen kann, muss sich Deutschland bei der Abstimmung in Brüssel enthalten. Das könnte sich am Ende wie eine Zustimmung auswirken.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen