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Rammstein-Konzerte in Berlin„Manche führen, manche folgen“

Die umstrittene Band Rammstein spielte zum zweiten Mal in Berlin. Fans kamen zuhauf, manche machten sich Gedanken. Inzwischen wurden weitere Vorwürfe laut.

Manche glauben, manche zweifeln: zwei Rammstein-Fans vor dem Konzert am Samstag Foto: Fabian Sommer/dpa

Das italienische Paar ist aus Österreich angereist, wo die beiden leben. Sie haben Tickets für das zweite Berliner Konzert von Rammsteins Europe Stadium Tour am Sonntag. Er trägt ein weißes T-Shirt, auf dem die Band im Stil der Animationsserie The Simpsons gezeichnet ist. Das sieht niedlich aus.

Haben die italienischen Medien über die Vorwürfe gegen Till Lindemann berichtet? „Ja“, sagt er. Haben die beiden darüber nachgedacht, deswegen nicht zu kommen? „Nein. Wir sind wegen der Musik hier. Solange nichts bewiesen ist…“, sagt er. Seine Partnerin ergänzt: „Aber wenn es stimmen würde, dann wäre das schrecklich.“ Wenn es stimmte, würden sie auf ein Rammstein-Konzert gehen? „Nein“, sagt sie, „das würde ich nicht.“

Lieder von Gewalt und Missbrauch

Tags zuvor haben einige hundert Menschen vor dem ersten Konzert im Olympiastadion demonstriert. „Gegen Machtmissbrauch. Vor Gericht statt auf die Bühne. Keine Show für Täter“, war zu lesen. Am Sonntag gibt es keine Demo. Einige Fans tragen schwarze Rammstein-T-Shirts, auf denen vorn in weißer Schrift zu lesen ist: „Manche führen.“ Auf der Rückseite steht: „Manche folgen.“

Die Ästhetik von Rammstein, ihr Auftreten, ihre Slogans und Lyrics, stehen in der Tradition emanzipatorischer Popkultur. Rammstein wollen satirisch gelesen werden. Manche Texte Lindemanns lehnen sich an den Stil Grimm'scher Märchen an und handeln von Gewalt und Missbrauch. Lindemann spielt darin den gewalttätigen Mann und Täter. Nun aber stehen Rammstein-Fans vor der Frage, ob ihre Helden möglicherweise ein Verhalten an den Tag legen, das sie in ihren Texten beschreiben.

Wer den Clip von Kayla Shyx gesehen hat, in dem die YouTuberin ein System zur Rekrutierung junger Frauen für After-Show-Partys und Sex beschreibt, mag zum Schluss kommen, dass bei dieser Art von „Casting“ – jenseits von Fragen von strafrechtlicher Relevanz – ethische Grenzen überschritten wurden.

„Wir haben Angst und sind allein“

Unten im Olympiastadion haben sich zu zehntausenden die Hardcore-Fans versammelt und feiern die Band, auf der Haupttribüne sitzt und steht ein Publikum, das man so auch in der U-Bahn antreffen könnte. Zwar sind die meisten zwischen vierzig und fünfzig und es gibt einen leichten Männerüberhang, um mich herum finden sich aber viele Paare, darunter eine afrodeutsche Frau mit ihrem Freund, Frauen in Sommerkleidern, und eine vierköpfige Familie. Die jüngste, ein blondes Mädchen mit Gehörschutz, scheint der größte Fan in der Familie zu sein, sie singt manche Lieder mit.

Ich will, dass ihr mir glaubt, singt Lindemann. Die Fans jubeln

Wer sie hört, hat heute aber vielleicht andere Assoziationen als früher: „Wir haben Angst und sind allein“, singt Lindemann in „Engel“. Das Bild, das mir dazu in den Sinn kommt, sind Kayla Shyx und ihre Freundin, auf einer Ledercouch sitzend. Als „Ich will“ an der Reihe ist, singt Lindemann: „Ich will, dass ihr mir vertraut. Ich will, dass ihr mir glaubt.“ Die Hardcorefans unten jubeln, sie glauben gern.

Andere Fans geben in den sozialen Medien zu Protokoll, dass sie Rammstein-Songs in ihrer Playlist inzwischen überspringen. Nach dem Konzert unterhält sich ein Vater im Band-Shirt mit seiner erwachsenen Tochter. Er sinniert über den narzisstischen Charakter von Popstars und ist sich sicher, dass großer Erfolg die Persönlichkeit verändert.

Neue Vorwürfe, nun gegen Flake

Am Montagmorgen sehen sich Rammstein-Fans mit einer Recherche von NDR und Süddeutscher Zeitung konfrontiert. Darin wird beschrieben, dass das „Casting“-System größere Ausmaße hatte als bisher angenommen. Zitiert wird außerdem eine Frau, die schwere Vorwürfe gegen Rammstein-Keyboarder Christian „Flake“ Lorenz erhebt.

Außerdem wurde am Montag bekannt, dass während des Konzerts am Sonntag zwei Personen von der Polizei abgeführt wurden. Eine dritte Frau habe sich unerkannt entfernen können, wie die Nachrichtenagentur dpa meldete. Laut Angaben einer Polizeisprecherin hatte Sicherheitspersonal beobachtet, wie sie sich während des Konzerts an Kabelschächten zu schaffen machten, die zu Lautsprecherboxen führten. Die Motive seien noch unklar. Die Polizei leitete Ermittlungen wegen versuchter Sachbeschädigung ein.

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15 Kommentare

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  • Ich habe viele Platten, aller Genres, aber mit Lindemann habe ich Probleme. Ich wusste nie was er mir sagen will. Das war wohl Absicht. Mein Bauchgefühl trog mich wohl nicht.

  • Rammstein ist doch nur ein Beispiel für die misogynen Strukturen in der Kulturbranche. Das Strafrecht spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle. Es ist bedrückend, wie vielen Menschen diese Stukturen egal sind und sie diese durch ihr Handeln letztendlich rechtfertigen und unterstützen.



    Die Bandmitglieder einschließlich Herrn Lindemann könnten sagen, ja, dies uns das hat stattgefunden .... sie können sich dazu äußern, anstatt immer zu sagen, nein, so war es alles nicht. Aus meiner bescheidenen Sicht sind die Ergebnisse der investigativen Recherchen erdrückend. Diesbezüglich auf das Strafrecht, ein Urteil zu warten, sagt nicht mehr und nicht weniger als, wir können machen und tun was wir wollen, solange uns keine Person anzeigt, kein Richter, keine Richterin etwas anders sagt. Geht es noch?

  • Rammstein haben auch ein Lied, in dem es heißt "Du willst mein Herz am rechten Fleck." Dabei ist rechts hier durchaus doppeldeutig gemeint, also als Anspielung auf die politische Gesinnung.

    • @Kommen Tier:

      Wie man mit Verkürzung lügen kann:

      "Du willst mein Herz am rechten Fleck,



      doch schau ich dann nach unten weg



      DA SCHLÄGT ES LINKS."

      Ihr Posting unterbietet Bild-Niveau.

      • @Kabelbrand Höllenfeuer:

        Die beinharten Fans tragen leider ihre Bucket Hats ohne Deutschlandfahnendekor. Da fehlt wohl noch etwas Mut zum Selbstverständnis.

      • @Kabelbrand Höllenfeuer:

        Ihr Versuch die Band links zu verorten schlägt fehl. Der Text bedient eine ambivalente Haltung bzw. eine oportune, nämlich wie es gerade passt. Am Zenit des Seiens vor allem gen Hirnverödung und Kapitalhorizont, wo für den der Differenzierung Mächtigen kein Land zu gewinnen ist. Rammland ist abgebrannt. Der Stein des Anstoßes rollt.

        • @G. Schmitt:

          "Im Gespräch mit ROLLING STONE ließ Lindemann keinen Zweifel an der antifaschistischen Einstellung der Band. „Wir kommen aus dem Osten und sind als Sozialisten aufgewachsen. Wir waren früher entweder Punks oder Gruftis – wir hassen Nazis!”, so der Sänger."

  • Waren schon immer widerlich diese Typen.

  • Es mag Zufall sein das die Totenköpfe auf den Tshirts der Fans aussehen wie bei der Söldnertruppe Wagner. Jedenfalls ist es typisch für toxische Mänlichkeit ( Verzeiht mir Cypress Hill;)

  • Wenn es den deutschsprachigen Medien ernst wäre mit der moralischen Haltung, könnten sie zu Rammstein in Ermangelung von Neuigkeiten auch einfach einmal schweigen, statt ständig neue Artikel der Art „RAMMSTEINFANS gehen immer noch hin! RAMMSTEIN RAMMSTEIN RAMMSTEIN“ auf den Startseiten zu plazieren.

    Einerseits argumentiert man, die Sache ginge über das Strafrechtliche hinaus ins Moralische, andererseits versucht man aber selbst immer noch den letzten Klick mitzunehmen.

    • @Paul99:

      Die Idee, gezielt und organisiert das Machtverhältnis zwischen Star und Fans für sexuelle Handlungen auszunutzen war absolut toxisch und übergriffig. Die ganze Art und Weise wie die jungen Frauen und Mädchen rekrutiert wurden war hochgradig manipulativ und korrumpierend. Sie aufzureihen, zu fotografieren, vorzuführen und anzubieten war übelst respektlos, erniedrigend und Würde nehmend. Sie gezielt abzusondern, von Ihren Freund*innen zu trennen, ihnen die Handys abzunehmen und sie an Orte zu führen in denen ihnen Rückzugswege vielleicht nicht verwehrt, aber ganz klar erschwert und verstellt wurden war selbstverständlich hochgradig verunsichernd und einschüchternd. Sie dann in in einen Raum mit Lindemann zu schupsen, damit er sich »erleichtern« kann war einfach nur widerlich und abstossend.

      Dieses ganze System war (ist?) übelst toxisch und zutiefst frauen- und auch ganz grundsätzlich einfach Menschenverachtend. Und da nichts davon juristisch oder sonst wie strittig ist, bricht sich auch niemand einen Zacken aus der Krone, das einmal anzuerkennen.

      • @Tim Klabim:

        Da mögen sie vielleicht es mit den richtigen Worten beschrieben haben, aber dafür gibt es doch im Straftrecht keinen §.

        • @HAHABerlin:

          Das ist doch genau mein Punkt: Komplett unabhängig davon, ob das was da passiert auch trafrechtlich relevant (und beweisbar) ist, kann doch jede*r toxisches, übergriffiges, manipulatives, respektloses, erniedrigendendes, einschüchterndes, widerliches Verhalten auch ganz einfach so ablehnen und verurteilen. Zumal -- soweit ich weiss -- nichts davon von er Band oder Lindemann ersthaft bestritten wird. Und jede*r kann mit denjenigen fühlen denen sowas passiert ist, die auf diese Weise behandelt wurden. Dazu braucht niemand ein Gericht, ein Urteil, oder eine Urteilsbegründung dafür reicht einfach nur etwas Empathie und Solidarität.

          • @Tim Klabim:

            Soviel ich weiß, waren es bisher nur zwei weibl. Personen die eine Aussage machten und die Staatsanwaltschaft auf den Plan riefen. Wo ist der Rest de Frauen die sich dort aufgehalten haben?



            Mir scheint das Frau sich durch naive Art in eine missliche Position gebracht hat. Weder die Band noch Hr. Lindemann müssen etwas zugeben.Persöhnlich möchte ich mich da erstmal neutral verhalten.

            • @HAHABerlin:

              Dieses »System der Anbahnung« ist durch investigative Recherchen bereits sehr gut belegt. Mehr als ein Dutzend Frauen und Mädchen haben ausführlich darüber berichtet, es gibt Aussagen von Zeuginnen an Eides statt sowie zahlreiche Chat-Protokolle. Und weder Lindemann noch Rammstein bestreiten das.

              Dazu kann (und sollte) man also problemlos Stellung beziehen. Und noch viel wichtiger: Sich mit den jungen Frauen und Mädchen solidarisieren die durch dieses System schreckliche, traumatisierende Erfahrungen machen mussten.