Verharmlosung von Rammstein: Eiertanz ums Eiserne Kreuz
Die Provokation gehört genauso zur Band wie die Feuershow. Doch nicht nur der #MeToo-Skandal verdeutlicht, was an ihr problematisch ist.
Deutschland, Dein Rammstein. Die einen lieben, die anderen hassen die Ostberliner Jungs für ihre kühne Gratwanderung im Gleichschritt durch kontroverses Territorium, mit kalkulierten Fehltritten bis ins Skandalöse. Polarisierung bringt Publicity, sprich Geld. Bad Boys, aber mit dem Herzen am rechten, Pardon: linken Fleck? Aktuell ist die Sechserbande wieder auf Eroberungsfeldzug durch die Stadien Europas als Kulturbotschafter der Neuen Deutschen Härte.
Zwar ist Rammsteins Musik für fröhlich Zurückgebliebene nicht unbedingt bemerkenswert, doch das visuelle Spektakel der Liveauftritte im XXL-Format zieht – zumindest noch. In ihrer monumentalen Überwältigungsästhetik liefern die Shows eine Feier flammenumspülter Menschenmassen als aktualisierte Inszenierungsstrategien der NS-Propagandisten Leni Riefenstahl und Albert Speer und imitieren diese Vorbilder unter dem Insignium der musikalischen Stoßtruppe, einem Eisernen Kreuz.
Ab Mittwoch wird das Parteitagstreffen der Rammstein-Jünger an vier Abenden im Münchner Olympiastadion abgehalten. Rammsteins Rückkehr ins hassgeliebte Vaterland dürfte sich jedoch keineswegs als Triumphzug erweisen.
Wenn der soeben explodierende Skandal angesichts des behaupteten Musters sexueller Übergriffe durch Frontmann Till Lindemann gegen junge weibliche Fans weitere Substanz gewinnt, wären Rammstein erneut Nummer eins in Deutschland, allerdings im größten #MeToo-Fall.
Umsatzträchtiger Hausdichter
Kerstin Wilhelms, Immanuel Nover, Eva Stubenrauch, Anna Seidel, Melanie Schiller, Matthias Schaffrick, Christoph Jürgensen, Jan Herbst, Lea Espinoza Garrido, Thomas Ernst, Moritz Baßler: „Rammsteins ‚Deutschland‘. Pop – Politik – Provokation“. Metzler Verlag, Heidelberg 2022. 198 Seiten, 14,99 Euro
Über die Vergewaltigung einer mit Drogen betäubten Frau hat Lindemann bereits 2020 in seinem Poem „Wenn du schläfst“ fantasiert. Damals verteidigte Lindemanns vormaliger Verleger seinen umsatzträchtigen Hausdichter; die neue Verlegerin, Kerstin Gleba (Kiwi), wartete erst ab, bevor sie am Freitag die Reißleine zog und den Verseschmied nun rauswarf.
Rammstein-affine Germanist:innen begnügten sich bislang damit, auf die Weisheit von dem Unterschied zwischen lyrischem Ich und Privatperson des Dichters zu verweisen. Weil nicht sein kann, was nicht sein durfte? Wie akademische Verharmlosung funktioniert, demonstriert auch eindrücklich der Reader „Rammsteins ‚Deutschland‘. Pop – Politik – Provokation“. Er präsentiert das Ergebnis kulturwissenschaftlicher Forschung zu Rammsteins mit faschistoider Ästhetik, rechter Ikonografie und sexuellen Gewaltfantasien durchsetztem popkulturellen Gesamtkunstwerk.
Aber Entwarnung! Alles ganz harmlos, denn die sechs Ostdeutschen würden lediglich mit rechter Ikonografie „spielen“, in Form „komplexer Kunstwerke, deren spezifische Ästhetik auf dem Dreiklang von Pop, Politik und Provokation“ beruhten. Leider gemahnt das von elf Geisteswissenschaftlern verfasste Werk inhaltlich teils an eine dürftige Magisterarbeit, ist zudem zumeist dröge und jargonalhaft im Stil.
Im ewigen Zitatkartell
Dabei wagt das Bändchen auch durchaus Reizvolles. So das Experiment einer Kollektivmonografie, in der die Kapitel nicht nach deren Einzelverfasser ausgewiesen sind. Dass man die elf Abschnitte dennoch den diversen Beiträgern und Verfasserinnen leicht zuordnen kann, liegt nicht zuletzt daran, dass sie sich gern selbst zitieren.
Zielführender wäre gewesen, auf existierende akademische Publikationen über Rammstein zurückzugreifen. So erschien bereits vor zehn Jahren ein US-Sammelband, der aber nahezu unbeachtet blieb. Die 17-seitige Bibliografie listet nun gerade mal eine Handvoll angloamerikanischer Quellen auf; offenkundig interessiert die Außenperspektive auf Rammstein nicht sonderlich.
Ähnlich insular wie das germanistische Süppchen, das das Bändchen kocht, ist das methodologische Vorgehen. Zwar wird ein interdisziplinärer, multiperspektivischer Blick auf das opulente „Deutschland“-Video von 2019 geworfen, den hermeneutischen Zirkel lässt man jedoch eher eingeklappt. Der geschmacklose Teaser, in dem vier Rammstein-Musiker sich mit bodenlosem Zynismus als KZ-Insassen bei einer Hinrichtung inszenieren, kommt zur Sprache. Andere wesentliche Kontexte und Modelle bleiben außen vor.
Provokation mit Marketingknowhow
So lässt sich die perfide Verwendung faschistischer Ikonografie durch Rammstein erst durch einen Vergleich mit dem slowenischen Künstlerkollektiv Laibach genauer bewerten. Doch Laibach, von denen Rammstein nahezu ihre gesamte Ästhetik abgekupfert haben, bleiben eine Leerstelle. Ignoriert wird ebenso das Ökonomische, war doch die berechnete Provokation mit „Deutschland“ offenkundig eine marketingtechnische Entscheidung, um die Ostberliner Gruppe nach einer Dekade der Absenz wieder paukenschlagsmäßig in die Charts zu hieven.
Und – nicht ganz unwichtig –, wer oder was genau ist überhaupt gemeint, so das Kollektivautorensubjekt wissenschaftlich von „Rammstein“ spricht? Die sechs Altpunker aus der Ex-DDR als private oder als öffentliche Personen?
Hat der kaufmännische Apparat von Rammsteins Rundumschlagmanagement und Universal Music mitgeredet, als es um die Entscheidung ging, ob das Tragen von KZ-Drillichen finanziell zuträglich, obwohl moralisch indiskutabel ist? Wer besitzt die künstlerische Urheberschaft am Untersuchungsgegenstand „Deutschland“-Video? Ist es der bandexterne Regisseur? Oder die künstlerische Persona „Rammstein“ als Kollektivakteur? Wissenschaftlich wäre es, hier zu differenzieren.
Was ist mit ethischen Fragen?
Um das zentrale Problem wird ein für die germanistische Branche der Popmusikforschung typischer Eiertanz aufgeführt: Wie ist politisch einzuordnen, dass Rammstein künstlerisch eine rechte Ästhetik propagieren – selbst wenn die sechs Privatpersonen angeblich alles Rechte ablehnen? Ethische Fragestellungen interessieren das Kollektivautorensubjekt kaum.
Ansonsten könnte man sich wohl nur noch schlecht hinter der Ausflucht verstecken, Rammstein seien halt ein komplexes, widersprüchliches Popphänomen, und ihr Zitier- und Referenzexzess verunmögliche es, sie auf eine eindeutige Lesart festzulegen.
Nix Genaues weiß man nicht, wenn hier elf kluge Köpfe über den rechts kodierten „Sound of Germany“ nachdenken. Vielleicht auch eine Art intellektuelles Kollektivversagen.
Eine peinliche Selbstinszenierung des Kollektivverfassersubjekts dokumentiert der als Vorspann abgedruckte Claim #RelevanteLiteraturwissenschaft. „Relevant“? Rechter Populismus vergiftet die Gesellschaft und bedroht die Demokratie.
Es scheint offenkundig, dass das ambivalente Spiel der Pyrorocker mit teutonischer Symbolik und Naziversatzstücken immer schon ein „Spiel mit dem Feuer“ war. In der Masse der Rammstein-Jünger dürfte es immer schon genug „Rezipienten“ gegeben haben, die eine popkodierte Ironisierung des Nationalismus bewusst missverstanden haben, nämlich als Ermunterung.
„Relevant“ wäre eine Literaturwissenschaft, die diesen Aspekt der sich als harmlose Biedermänner inszenierenden Brandstifter Rammstein problematisierte. Aber nun erst einmal XXL-#MeToo.
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