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„Wer kriminell ist, ist raus aus dem Diskurs“

Rechtsanwalt Lukas Theune hält die Razzien für politisch motiviert. Die Organisation stelle keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar

Interview Erik Peter

taz: Herr Theune, laut Paragraf 129 Strafgesetzbuch ist eine Vereinigung kriminell, „deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist“. Trifft das auf die Letzte Generation zu?

Lukas Theune: Nein, das trifft nicht zu. Die Letzte Generation hat sich zum Ziel gesetzt, Aufmerksamkeit für die Folgen des Klimawandels zu schaffen und Druck auf die Bundesregierung auszuüben, die Klimaziele, zu denen sie sich nach dem Pariser Klimaabkommen verpflichtet hat, einzuhalten.

Aber um dieses Ziel zu erreichen, begehen sie hauptsächlich Straftaten?

Die allermeisten Aktionen, die im Namen der Letzten Generation verübt werden, sind Straßenblockaden. Ob die eine Straftat sind oder nicht, lässt sich pauschal nicht sagen, da gilt es, den Einzelfall zu prüfen. Für die Blo­ckie­re­r:in­nen spricht die Versammlungs- und Meinungsfreiheit und auch Artikel 20 a des Grundgesetzes, der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen. Dagegen steht das Grundrecht jener, die an der Weiterfahrt gehindert sind. Das muss abgewogen werden.

Bei anderen Aktionen der Letzten Generation, etwa dem Abdrehen von Pipelines, ist die Definition der Straftat eindeutiger. Auch sind das Straftaten, die mit mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind – eine weitere Bedingung für die Ermittlung nach Paragraf 129.

Faktisch sind fast alle Straftatbestände mit mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe bedroht, auch Nötigung. Weil der Tatbestand des Paragrafen 129 so unfassbar weit definiert ist, hat der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung aber klargestellt, dass die Voraussetzungen für Ermittlungen nur dann vorliegen, wenn die Straftaten eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit bedeuten. Und das ist ganz offensichtlich nicht so. Die Aktionen werden mitten am Tag mit Gesicht in der Kamera begangen, um die Bundesregierung anzuhalten, ihrem Verfassungsauftrag nachzukommen. Es geht nicht darum, die Regierung zu stürzen oder Einzelne in ihren Grundrechten zu treffen.

Wie kann es sein, dass die Berliner Staatsanwaltschaft Ihre Argumentation teilt, man das aber in Bayern und Brandenburg anders sieht?

Die Generalstaatsanwaltschaft in Bayern stützt sich ebenso wie die in Brandenburg auf die symbolische Blockade von Ölpipelines. Hier wird die erhebliche Gefahr konstruiert, dass dadurch das Öl nicht in die Haushalte fließen könne. Dabei gibt es zwei Denkfehler. Erstens müsste man sagen, dass sich die Letzte Generation auf solche Aktionen spezialisiert hat. Das ist aber nicht so, es sind vereinzelte Aktionen aus dem Frühjahr vergangenen Jahres. Zweitens unterscheiden beide Staatsanwaltschaften nicht zwischen symbolischem Protest von faktisch wirkendem. Ich kenne den Schwedter Fall: Das führte gerade nicht dazu, dass tatsächlich die Ölzufuhr für die PCK-Raffinerie dauerhaft gesperrt war.

Lukas Theune,36, ist Rechtsanwalt und Geschäftsführer des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins. Er vertritt auch Aktivist:innen der Letzten Generation.

Der Paragraf ist politisch unterschiedlich auslegbar?

Absolut. Paragraf 129 war aufgrund seiner schwammigen Formulierung schon immer politisch sehr auslegbar. Bei Ermittlungsbehörden ist er so beliebt, weil er wahnsinnig umfangreiche Ermittlungsmaßnahmen ermöglicht, die weit über das hinausgehen, was Ermittlungen etwa wegen Nötigung erlauben, etwa Telefonüberwachung, Hausdurchsuchung oder GPS-Peilsender. Ganz selten kommt es zu Anklagen oder gar Verurteilungen, aber darum geht es auch nicht. Vor allem geht es auch um ein Stigma des „Kriminellen“. Damit kann man sich der Erfordernis entziehen, sich inhaltlich mit den Positionen der Gruppe auseinanderzusetzen. Wer kriminell ist, ist raus aus dem Diskurs.

Womit müssen die Betroffenen jetzt rechnen?

Das ist völlig unklar. Die Staatsanwaltschaften haben noch keine Anklagen erhoben. Ich kann mir vorstellen, dass die Verfahren insgesamt wieder eingestellt werden. Möglich ist auch, dass der Vorwurf der kriminellen Vereinigung vor der Anklageerhebung fallen gelassen wird und dann nur einzelne Aktionen angeklagt werden. Die ganzen Ermittlungen wirken chaotisch und konfus, weil gleichzeitig von zwei Staatsanwaltschaften Ermittlungen vorgenommen werden, die sich teilweise überschneiden. Noch vor Kurzem hat die bayerische Generalstaatsanwaltschaft noch keinen Grund für solche Ermittlungen gesehen. Jetzt heißt es, sie habe mehrere Anzeigen von Bürgern bekommen; sie will also zeigen, dass sie im Sinne der wütenden Bevölkerung handelt.

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