Sie nannten ihn Mr. Calypso

Harry Belafonte war Sänger, Schauspieler, Bürgerrechtler. Ein Sozialist ohne falsche Geste vor den Thronen. Nun ist er mit 96 Jahren gestorben

Harry Belafonte 1981 auf einer Friedensdemo in Bonn mit über 300.000 Menschen Foto: Klaus Rose/imago

Von Jan Feddersen

Es liegt kein falscher Zungenschlag in der Feststellung, dass dieser Mann, eine Ikone sowohl des kulturellen wie politischen Lebens (beileibe nicht nur) in den USA, im Alter ein auskömmliches, ja, wohlhabend bürgerliches Leben führen konnte: Er hatte, mit seinen Mitteln, viele Jahre für seinen Erfolg gearbeitet und Jahrzehnte daran gearbeitet, dass dieser Platz an der Sonne ihm nicht wieder genommen wird.

Harry Belafonte, den mögen Jüngere allenfalls durch eilige Zugriffe ins Internet kennen, Mittelalte indes aus seiner Zeit in der europäischen Friedensbewegung, als er in den frühen Achtzigern prominentester Teil des Line-ups vom Friedenskonzert gegen die Nato-Nachrüstung im Hamburger Millerntorstadion war, als er vor der FDJ der DDR performte und dieses Event veredelte: Belafonte war ein Star dieser Bewegung, denn er kannte keine Scheu, dass mit der Kritik an hochmilitärischer Nachrüstung auch sein Heimatland, die USA, gemeint war.

Belafonte, der war ein Weltbürger, wie er selbst sagte, zu Hause in erster Linie unter seinen Freundinnen*, ob in der Bundesrepublik, Südafrika, Nigeria, Japan, der Sowjetunion, Kanada oder eben den USA.

Er war zeitlebens ein Fellow der Demokratischen Partei in den USA, und er verabscheute zugleich mit jeder Faser, so sagte er es in einem Telefonat vor 25 Jahren, Politikerinnen* der Republikaner, hießen sie nun Bush sr., Bush jr., Trump, den sowieso, oder andere mehr oder weniger verkappte Rassistinnen*.

In einer seiner letzten Filmrollen, in Emilio Estevez’ „Bobby“ (2006), der die Ermordung des heißen Präsidentschaftskandidaten Bobby Kennedy Ende der sechziger Jahre zum Thema hatte, spielt der gebürtige New Yorker einen sehr altersweisen, fast lakonischen Schachspieler … als ob er es selbst wäre: Ein Mann, der seinen Teil dazu beigetragen hatte, Rassismus, Ungerechtigkeit und Diskriminierung von Schwächeren (in welcher Weise gedemütigt, geschwächt auch immer) nicht zu verschweigen – und hofft, dass eben Bobby Kennedy Präsident der USA, der gute Hirte des Landes werden würde.

Ein nachgerade krasser Ehrgeiz

Belafonte, im März 1927 geboren, fast vaterlos groß geworden in New York, zeitweise bei Verwandten in Jamaika in Pflegschaft, muss über einen nachgerade krassen Ehrgeiz früh verfügt haben, um seinen Weg aus den Wohnvierteln der armen Schwarzen heraus­gehen zu können. Eine gute High School, Schauspielunterricht, Kontakt auch zu einem deutschen Regisseur (im Exil) wie Erwin Piscator, Kontakt zu Kollegen wie Marlon Brando, Tony Curtis oder Walter Matthau.

Erste Erfolge auf der Bühne hatte Be­la­fonte weniger am Theater oder beim Film, vielmehr mit Musik – mit Varianten karibischer Musik, die er durch seine Interpretationen buchstäblich zu Welterfolgen machte: „Jamaica Fare­well“, „Mary’s Boy Child“, „Banana Boat Song“, „Mama Look at Bubu“, „Cocoanut Woman“ oder die unverwüstliche Schnulze „Island in the Sun“ – alles Chartkracher der fünfziger Jahre, die ästhetischen Spitzenangebote jenseits des wachsenden Einflusses des Rock, später des Beat.

Harry Belafonte, den sie „Mr. Calypso“ nannten, war ein Star geworden: Er sah vorzüglich aus, aus jenen Jahren wird überliefert, dass er, ein formidabler Tänzer, als Wunschkandidat sehr, sehr vieler Zuschauerinnen für sehr vieles galt.

Engagiert an der Seite von Martin Luther King

Dass er deshalb seinen Mund zu halten wusste, ist nicht das, was ihn auszeichnete. Belafonte wusste sehr wohl, dass er ein ebenso guter Schauspieler wie hellsthäutige Kollegen war – aber für gewisse Rollen nie infrage kommen würde. Politisch engagierte er sich an der Seite der Bürgerrechtsbewegung mit Martin Luther King, hielt sich in der öffentlichen Rede wider Rassismus, Segregation und Gewalt gegen Schwarze Menschen nicht zurück. Er habe selbst so viel Niedertracht durch andere erlebt, dass man ihm keine Würde mehr nehmen könnte – er wisse, was seine Dignität ausmache, und die könne ihm niemand absprechen, da lache er doch nur.

In den sechziger Jahren sah man ihn auch im bundesdeutschen Fernsehen, damals, als die ARD noch wusste, dass internationale Entertainer ihr Publikum auch hierzulande haben können: Nina Simone, Miriam Makeba, Esther & Abi Ofarim, Caterina Valente, Nana Mouskouri, Nina & Frederik – und auch Harry Belafonte waren die ästhetischen Signaturen einer TV-Kultur, die noch nicht nur im eigenen deutschen Saft zu schmoren beliebte.

Konzerte waren eilends ­ausverkauft

Konzerte mit Harry Belafonte verhießen frühes Anstehen für Tickets, denn sie waren, nicht nur hierzulande, eilends ausverkauft. Dass die Linken und Friedensbewegten ihn besonders liebten, weil er deren faktischen Antiamerikanismus mit bediente, störte weder diese noch den Sänger selbst. Er hatte Gründe, sein Heimatland nicht bruchlos für „God’s own country“ zu halten, sondern vielerorts für den Vorhof zur Hölle.

So lobte er Kuba (und dessen damaligen Chef Fidel Castro), sagte: „Es dürfte schwer sein, ein Land zu finden, das mehr Wert legt auf die Kultur seiner Menschen und die Entwicklung dieser Kultur als Kuba.“

Oder er nannte Colin Powell, den Außenminister George W. Bushs, „Haussklaven“ des Präsidenten, weil er die entscheidende Lüge wider das irakische Saddam-Regime vor der UN formulierte.

Sein liebstes Hobby

2006 wurde Belafonte gefragt: „Sie sind ein überzeugter Gegner des Irakkrieges, kämpfen offensiv gegen George W. Bush.“ Woraufhin der Entertainer, keineswegs altersmilde geworden, erwiderte: „Das ist mein liebstes Hobby. Wer gibt uns das Recht, die Menschen im Irak zu töten? Bush behauptet, dass Amerika zum ersten Mal Terroristen jagt – dabei ist Terrorismus ein Teil des amerikanischen Systems. Amerika hat ein ganzes Volk vernichtet, die Indianer. Das ist Terror.“

Dass ihn die Republikaner hassten, verstand sich von allein. Belafonte, der Sänger, der für einen „Hamlet“ oder andere weiße Paraderollen immer übersehen wurde, der Schauspieler, der sich trotzdem weitschweifenden Partys und Liebesaffären hingab, ein Hedonist, wie es sich nur ziemte, ist am 25. April in der Upper West Side, New York City, gestorben – ein Mann, ohne den es die Bewegungen gegen Rassismus, ohne den es #BLM, Black Lives Matter, so nicht hätte geben können.