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Daniel Donskoy über Schauspielerei„Kunst wird dem Publikum oft nicht zugetraut“

In der Serie „A Small Light“ verkörpert Daniel Donskoy den SS-Mann, der Anne Frank verhaftete. Er erzählt, wie es ist, als Jude einen Nazi zu spielen.

„An der Leugnung des Holocaust kann kein Entertainment-Format etwas ändern“ Foto: Miriam Klingl
Konstantin Nowotny
Interview von Konstantin Nowotny

Daniel Donskoy ist schwer zu fassen. Der Schauspieler und Musiker pendelt zwischen Israel, England und Deutschland, modelt zwischendurch in Mailand. Und wie er lebt, so redet er auch – mit gelegentlichen Versatzstücken in anderen Sprachen und vor allem: schnell und viel. An den geplanten Fototermin in einer hippen Berliner Innenstadtbar kann sich am angedachten Tag dort keiner mehr erinnern. Kein Problem für Donskoy: Er fühlt sich überall vor der Kamera wohl, auch mit der Kunstblumenwand eines Hotels im Rücken.

wochentaz: Herr Donskoy, als ich das Interview bei Ihrem Management angefragt habe, fiel der Satz: „Sie wollen aber hoffentlich nicht nur mit ihm darüber sprechen, dass er Jude ist.“ Ist das bei jedem Interview das dominierende Thema?

Daniel Donskoy: Das ist nur in Deutschland so. In England kann es auch mal vorkommen, aber eben nicht laufend. Hier ist das halt klar ein Thema, auch durch meine Arbeit in den letzten Jahren, mit meiner Talkshow „Freitag Nacht Jews“. Danach kamen plötzlich Anfragen für Filme und Serien mit so wundervoll klingenden Titeln wie „Schlamassel“, „Alles koscher im Kästchen“ und natürlich für Krimis und Kommissare mit gefühlt erzwungenem jüdischem Anteil.

Aber Ihnen war klar, dass das passieren würde, wenn Sie eine Late-Night-Show kreieren, in der die jüdische Identität des Hosts und der Gäste bewusst im Mittelpunkt steht.

Im Interview: Daniel Donskoy

Der Mann

Daniel Donskoy wurde 1990 in Moskau in eine ukrainisch-russisch-jüdische Familie geboren. Kurz nach seiner Geburt kamen seine Eltern als Kontingentflüchtlinge nach Deutschland. Donskoy hat in London Schauspiel und Musical studiert und arbeitete primär fürs Theater, bevor er mehrere Rollen in deutschen Fernsehfilmen und -serien annahm.

Der Schauspieler

Bekanntheit erlangte er in Deutschland mit seiner Rolle als kleinkrimineller Pfarrer in der RTL-Produktion „Sankt Maik“. Jüngst spielte er in der Netflix-Serie „Barbaren“ mit und gewann die 7. Staffel der ProSieben-Show „The Masked Singer“. Darüber hinaus schreibt und veröffentlicht er Musik. „Ein Funken Hoffnung“ bzw. „A Small Light“ erschien am 1. Mai auf Disney+.

Ja, schon. Das Gute ist: Man gibt ja nicht einfach so seine Identität an die Medien ab und hat sie nicht mehr. Ich kann immer noch selber kontrollieren, ob ich darüber sprechen möchte, ob ich Filme mit diesem Thema annehme. Und ob ich weiter „Freitag Nacht Jews“ mache – hier war die klare Entscheidung: Nein.

Warum haben Sie damit aufgehört?

Weil das Format für mich auserzählt war. Das Interessante daran war, dass eine Grenze durchbrochen wurde – vielleicht mehr als eine. Aber ich bin auch ein ungeduldiger Mensch, ich spiele gern. Vor allem brauche ich ständig neue Herausforderungen. Ich glaube, es war richtig, mit den „Freitag Nacht Jews“ aufzuhören.

Es war eine recht ungewöhnliche Show. Sie haben Ihr eigenes Intro eingespielt, es wurde gekocht und getrunken, Sie hatten verschiedene jüdische Gäste eingeladen, erst deutsche, später internationale. Kein klassisches deutsches Talkformat. Und das im WDR.

Antisemitismus ist nun kein Thema, mit dem sich Leute grundsätzlich gern beschäftigen, und es ging ja zum Glück auch nicht nur darum, sondern eben um lebendiges Judentum. Ich war dann mit Frank-Walter Steinmeier in Israel, wir haben noch einen Podcast gemacht – aber mir war es dann zu viel, weil alles nur noch jüdisch war. Ich fand es extrem wichtig, dass wir diese Talkshow trotz aller Widerstände gemacht haben, auch wenn es vielleicht kein großer kommerzieller Erfolg war. Ich glaube aber, wir haben es geschafft, das Thema so sexy wie möglich anzugehen. Denn egal, über welche Minderheitenperspektive du sprichst, es gibt halt nur eine gewisse Anzahl an Menschen, die das interessiert.

„In seichtem Entertainment allein sehe ich für mich nicht die Zukunft“ Foto: Miriam Klingl

Und deswegen hatten Sie jetzt also Lust, einen Nazi zu spielen? In der Disney+-Serie „A Small Light“, in der es um die Hel­fe­r*in­nen von Anne Frank geht, spielen Sie den SS-Oberscharführer Karl Josef Silberbauer, den Mann, der Anne Frank verhaftete.

Ich wollte das immer schon machen. Was ist das ultimativ Prekärste, was man als jüdischer Schauspieler spielen könnte? Den Nazi! Im Ernst: Tatsächlich war der Dreh zwar herausfordernd und bizarr, aber viel schlimmer war, wie ich es jetzt bei der Premiere wahrgenommen habe. Ich hab gesehen, was ich da spiele. Es ist grausam, aber gleichzeitig spiele ich auch noch einen ganz menschlichen Nazi, eben nicht ein Monster. Überhaupt nicht dieses Klischee, kalt und tot, sondern jemanden, der in der Niederländerin Miep Gies, die die Familie von Anne Frank versteckt hat, einen Menschen sieht. Umso grotesker ist es dann zu sehen, dass jemand in der Lage ist, zwar menschlich zu fühlen und zu denken, dann aber solche Gräueltaten zu begehen. Was man nie vergessen darf: Nazis waren Menschen. Das sage ich nicht, weil man das Positive daran finden soll, sondern: Menschen haben das gemacht.

Umso schlimmer?

Umso schlimmer, genau.

Wie bereitet man sich auf so eine Rolle vor? Silberbauer gehört nicht zu der Sorte Nazi, von der man etliche Tonaufnahmen oder gar Videos findet.

Ja, das war hier kaum der Fall. Zum einen hat Miep Gies über ihn geschrieben, und es gibt weitere Aufzeichnungen und Notizen über ihn. Er war sehr, sehr ambitioniert, zudem einer der jüngsten in so einer Position und ein wirklich flammender Nationalsozialist. Ein totaler Ideologe, der war vollkommen überzeugt von dem, was er gemacht hat. Und er war auch sehr erfolgreich dabei, wenn man das so sagen kann. Das habe ich mitgenommen: ein ambitionierter, politisch überzeugter Mensch. Du musst alles Schlimme entfernen, sonst kannst du den nicht spielen.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Und das geht einfach so?

Klar gibt es den Moment, da stehst du in der Garderobe und hast den SS-Totenkopf auf der Uniform und findest es amüsant und verstörend zugleich. Dann wollte ich mich auch selbst synchronisieren, für die deutsche Fassung. Später fiel mir auf, dass ich das ja auf Österreichisch machen muss, weil Silberbauer doch Österreicher war. Und auf einmal stehst du im Studio und fragst: „War das jetzt gut so mit dem Akzent, ‚Wir müssen die Juuuuuden jetzt alle finden‘?“ Solche Momente haben eine unfreiwillige Komik und eine Art Absurdität, die ich schätze. Zynismus und Ironie sind mir lieb, und ich habe während der Vertonung wirklich viel gelacht. Die Eltern meines Stiefvaters sind beide Holocaustüberlebende, ich habe mit ihnen in dieser Uniform telefoniert und dann erst gemerkt, wie absurd das ist. Umso schöner finde ich, dass ich diese amerikanische Produktion mitmachen durfte und machen konnte. Ich glaube, das wäre in Deutschland so nicht passiert.

Warum nicht?

Da hätten viele Angst gehabt. Es wäre zu kontrovers gewesen.

Haben Sie mit Ihren Eltern über die Rolle gesprochen?

Ja, habe ich. Die fanden’s eigentlich ganz amüsant, also so amüsant, wie man das eben finden kann. Meine Mutter präferiert romantische Komödien, glaube ich, aber man dreht ja nicht für seine Mutter.

Der Nazijäger Simon Wiesenthal wollte Karl Silberbauer unbedingt finden. Er dachte: Wenn ich den finde und beweisen kann, dass er Anne Frank verhaftet hat, dann kann niemand mehr behaupten, dass es den Holocaust nicht gegeben hat. Kann die Serie so etwas auch leisten?

Nein, da ist der Zug abgefahren. An der Leugnung des Holocaust kann kein Entertainment-Format etwas ändern, keine Disney+-Serie und kein „Freitag Nacht Jews“. Persönliches Leid kann dazu führen, dass Leute umdenken. Aber das Läutern ist schwierig. Ich habe da meine Erfahrungen mit Attila Hildmann und Konsorten gemacht, als ich neben „Freitag Nacht Jews“ parallel „Schlafschafe“ gedreht habe – eine ZDF-Miniserie über Verschwörungsideologien. Mein Postfach war voll mit Antisemitismus und anderem Gedankengut von rechts bis – ich weiß nicht, wo man das verorten soll. Aber ich glaube, viel problematischer als das Leugnen ist, dass Menschen den Holocaust gar nicht mehr als so schlimm empfinden. Diese Nonchalance, mit der man dem begegnet.

Nach dem Motto: „War halt so, weiter geht’s“?

Das, oder geschichtsrevisionistsche Vergleiche: Ja, es gab den Holocaust, aber es gab auch dies und das. Die Singularität von verschiedenen Ereignissen sollte nie gegeneinander ausgespielt werden, egal ob es der Holocaust ist, die deutsche Kolonialgeschichte, die Ausbeutung von unzähligen schwarzen Menschen, die Sklaverei – das sollte nie gegeneinander aufgewogen werden, weil das niemandem hilft. Man sollte viel mehr über die einzelnen Themen lernen, aber darauf hat keiner Lust, weil wir in einer Gesellschaft der schnellen Informationen leben.

Deswegen ist eine Geschichte wie „A Small Light“ wichtig, weil sie die junge Generation an das Thema eben nicht aus einer Opfer- oder Täterperspektive heranführt, weder aus einer nationalsozia­listischen noch aus einer jüdischen, sondern aus der einer Helferin, die eigentlich nichts damit zu tun hat. Warum hilft Miep Gies der Familie Frank? Sie ist Holländerin und Nichtjüdin! Das ist das, was die Leute hoffentlich emotionalisieren wird. Gies hat gesagt, dieses „kleine Licht“, das sieht man überall und in jedem Menschen soll man eigentlich das Gute sehen. Auf Deutsch wurde das übrigens übersetzt als „Ein Funken Hoffnung“.

Das entspricht nicht so ganz dem Wortsinn.

Nicht ganz. „Ein kleines Licht“ finde ich fast schöner, aber: Jemand ist ein kleines Licht …

… das könnte man auch missverstehen.

Da gibt’s diese wunderschöne Anekdote von dem britischen Comedian David Baddiel und seinem Buch, „Jews don’t count“. Dem haben sie nicht erlaubt, „Juden zählen nicht“ als Titel in Deutschland zu machen.

Stimmt, wie hieß das hier nochmal?

„Und die Juden?“ Baddiel meinte, das klingt viel mehr nach dem SS-Mann, der an die Tür klopft und sagt: „Und die Juden?“

„A Small Light“ wurde an vielen Originalschauplätzen gedreht. Wo waren Sie überall?

Vorwiegend in Amsterdam und Prag. Die beste Anekdote ist: Ich wurde in den Niederlanden an eine falsche Location gebracht, und stand mit einer Zigarette im Mund vor einer Kirche, in SS-Uniform. Da kamen zwei Touristen vorbei und fragten mich, wo das Anne-Frank-Haus ist. Und ich meinte: „Das weiß ich nicht, aber wenn Sie es finden, sagen Sie mir bitte Bescheid.“ Das war vielleicht das Witzigste, andererseits war es auch total skurril, durch das abgesperrte Amsterdam zu fahren, mit Nazi-Fahnen am Auto. Viele Leute waren massiv irritiert. Andere fanden es wiederum lustig und haben uns zugewunken.

In den Niederlanden gab es zur NS-Zeit breite Widerstandsbewegungen. Das hat Spuren bis in die Gegenwart hinterlassen.

Absolut. Auf der anderen Seite gibt es Geert Wilders und relativ viel anderes nationales Gedankengut. Aber rechte und nationale Ideologien sind ja jetzt nicht mehr nur vereinzelt anzutreffen, sondern in ganz Europa, West, Nord und Süd, verankert.

Haben Sie manchmal Sorge, dass mit den wachsenden rechten Bewegungen die Welt immer verschlossener werden könnte? Immerhin pendeln Sie recht regelmäßig zwischen Berlin, London, Tel Aviv.

Wenn man sich die Gegenwart anschaut, dann kann man leicht den Eindruck bekommen, dass sich die Geschichte von vor hundert Jahren heute ähnlich wiederholt. Und wenn ich mir das vergegenwärtige, dann bin ich mir ziemlich sicher, dass wir ganz schön in der Scheiße sitzen. Man schaue nur mal, was die evangelikale Rechte in den USA so macht. Oder nach Brasilien, Ungarn, Polen, Finnland. Auch um Israel mache ich mir Sorgen. Das wird nicht besser. Ich glaube, dass es weiterhin eine liberale, demokratische Gesellschaft geben wird. Ich glaube aber auch, dass wir noch viel mehr gespalten sein werden. Doch selbst in den schlimmsten Zeiten gab es zum Glück immer noch die Kunst, gab es frei denkende Menschen.

Ist Ihre Kunst, vom Schauspiel bis zur Musik, aus diesem Grund in den vergangenen Jahren politischer geworden? Als Russland in die Ukraine einfiel, haben Sie einen Song auf Russisch veröffentlicht: „ нет войне “, „kein Krieg“.

Übersetzt fängt der Refrain vom Song so an: „Hier in Russland ist es nicht einfach, überall laufen nur noch Patrioten rum. Bevor euch das Hirn zu Brei geschlagen wird, steht doch lieber auf und hebt eure Hand für den Frieden.“ Das zu singen war mir ein Bedürfnis. Aber dann wurde mir klar: Wenn ich jetzt weitermache, muss ich mich zu Maischberger setzen, und da ich mich auf jeden Fall nicht zum Thema Russland und Ukraine zu Maischberger setzen will, blieb es dabei.

Gab es Reaktionen auf den Song?

Ja, viel Negatives, auch aus Russland. Man hätte mich in Buchenwald verbrennen sollen, „es war klar, dass der Nazi die Nazis unterstützt“. Wo soll man da anfangen? Also, wenn Selenski ein Nazi sein soll und ich auch und ich brennen soll – dann hat da jemand im Fach Geschichte aber nicht so gut aufgepasst. Manchmal habe ich dann auf Politisches keinen Bock mehr und hab Lust, in einem Maulwurfskostüm Céline Dion zu singen oder mir in Mailand eine Fashion-Show anzusehen. Das macht mich auch nicht zu einem weniger politischen Menschen.

Haben Sie Angst, als zu politisch wahrgenommen zu werden?

Nein. Teil meines Jobs ist es, es auszuhalten, eine Projektionsfläche zu sein. Wenn man, bevor die Schublade, in die man gesteckt wird, zugeht, seinen Finger durchsteckt, bricht der zwar, aber man kommt im Zweifel wieder aus der Schublade heraus. Als Schauspieler ist man nun mal davon abhängig, dass jemand glaubt, dass man eine Rolle spielen kann.

Sie scheinen ja doch Leute gefunden zu haben, die Ihnen das definitiv glauben.

„A Small Light“ mit Tony Phelan zu drehen war total geil, sehr amerikanisch: Komm, zeig mir, wie sich die Träne in deinem Auge bildet – wirklich amerikanisches Drehen, I love it. Aber ich drehe dieses Jahr auch noch zwei deutsche Produktionen, beide historisch, auf die ich mich auch sehr freue und die ganz anders sind.

Sie machen zudem Ihre eigene Musik. Weil Sie dabei von niemandem abhängig sind?

Ja, genau deswegen liebe ich diese Kunstform, in der ich mich frei ausdrücken und entwickeln kann so. Leider hat mich die Pandemie musikalisch ausgebremst, doch seit gut einem Jahr schreibe ich wieder täglich an neuen Songs, und es wird dieses Jahr auf jeden Fall mindestens eine Veröffentlichung geben. Und keine Sorge, es wird auch nicht zu politisch. Das sage ich, obwohl meine Arbeit für mich zum Teil politisch sein muss. In seichtem Entertainment allein sehe ich für mich nicht die Zukunft.

Beim Blick auf Ihre jüngsten Produktionen kann es einem so vorkommen, als hätten Sie sich eher vom deutschen Fernsehfilm wegentwickelt.

Es gibt Projekte in Deutschland, die wahnsinnig faszinierend sind. Dazu gehört oftmals deutsche Literatur, die modern verfilmt wird. Mein Fokus liegt gerade auf internationalen Produktionen, aber es gibt ja auch aus Deutschland heraus internationales Denken. Selten zwar, aber es gibt’s, und da würde ich gern teilnehmen. Kunst wird dem Publikum oft nicht zugetraut, es wird für dumm verkauft, alles muss dreimal erklärt werden. Ich würde mich wahnsinnig freuen, wenn ich neben Antisemitismus-Aufklärung hier vielleicht auch noch was anderes platzieren könnte, das künstlerisch dazu führt, dass Menschen sich mit sich selbst, der Liebe und dem Verständnis von Menschlichkeit auseinandersetzen.

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