Abschiebestopp umgangen

Mehr als 150 Menschen im Winter abgeschoben. Grüne kritisieren weitreichende Ausnahmeregelungen

Von Marie Frank

Trotz Winterabschiebestopps hat die SPD-geführte Innenverwaltung zwischen Dezember und Ende März 157 Menschen aus Berlin abgeschoben. Das geht aus einer Antwort des Senats auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen-Abgeordneten Jian Omar und Vasili Franco hervor, die der taz exklusiv vorliegt.

Die rot-grün-rote Landesregierung hatte zuvor vereinbart, in der kalten Jahreszeit aus humanitären Gründen vom 1. Januar bis 31. März auf Abschiebungen zu verzichten. Ausgenommen sind Dublin-Rückführungen in EU-Länder sowie Straftäter*innen, worunter alle Menschen fallen, die zu mehr als 50 Tagessätzen verurteilt wurden.

„Die hohen Zahlen der Abschiebungen trotz Winterabschiebestopp in Berlin zeigen, dass Ausnahmeregelungen zu weit gefasst sind“, sagt der migrationspolitische Sprecher der Grünen, Jian Omar. Insbesondere die Grenze von 50 Tagessätzen kritisiert er als zu niedrig. Dies führe dazu, dass bereits wegen Bagatelldelikten wie Ladendiebstahl – aber auch Schwarzfahren – der Abschiebestopp nicht greift.

Vor dem Hintergrund, dass die Leistungsauszahlung für Geflüchtete in den ersten Wochen oft nicht funktioniere und viele anfangs ohne Geld dastehen, sei diese Praxis besonders fragwürdig, kritisiert Georg Classen vom Berliner Flüchtlingsrat. Auch weil die Familieneinheit nicht beachtet werde. „Das führt zu knallharten Familientrennungen wegen geringfügiger Straftaten“, sagt Classen zur taz.

Welche Straftaten genau dazu geführt haben, dass die Betroffenen trotz Abschiebestopp zur Ausreise gezwungen wurden, wird laut Senatsinnenverwaltung statistisch nicht erfasst. Auch nicht, ob es dabei zu Familientrennungen gekommen ist. „Anscheinend möchte man nicht, dass das Parlament genauer auf die Schicksale der Betroffenen schaut“, kritisiert der innenpolitische Sprecher der Grünenfraktion, Vasili Franco.

Die Intransparenz bei der Anwendung der Ausnahmeregelungen hält er für keinen Zufall. „Es stellt sich die Frage, ob die Innenverwaltung bewusst Schlupflöcher zur Umgehung des Abschiebestopps gesucht hat“, sagt Franco. Immerhin habe Innensenatorin Iris Spranger (SPD) den vereinbarten Abschiebestopp zunächst blockiert.

Spranger wollte ursprünglich bis Ende März 600 Menschen, ein Großteil davon Rom*­nja, nach Moldau abschieben, um in den Unterkünften Platz für Kriegsflüchtlinge aus Moldaus Nachbarland Ukraine zu schaffen. Nach Protesten der Koalitionspartner Linke und Grüne musste sie jedoch zurückrudern. Aus den Zahlen der Innenverwaltung geht nun hervor, dass bis Ende März 46 Mol­dau­er*in­nen abgeschoben wurden.

„Hunderttausende Geflüchtete aus der Ukraine sind nach Moldau geflüchtet und die Infrastruktur, vor allem die Versorgung mit Strom, ist nicht mehr sichergestellt“, sagt Jian Omar. Abschiebungen im Winter nach Moldau seien „Abschiebungen ins Elend“.