Gescheiterter Klima-Volksentscheid: Es gibt noch sehr viel zu tun

Auch wenn solche Kritik zuletzt fast als anrüchig galt: Es gab gute Argumente gegen ein „Ja“ beim Volksentscheid.

Schornsteine rauchen vor orangem Abendhimmel

Rauchen sollen auch die Köpfe beim Nachdenken übers Klima – ein Kurzschluss bringt aber nichts Foto: picture alliance/dpa | Patrick Pleul

Eine Woche ist seit dem gescheiterten Volksentscheid „Berlin 2030 klimaneutral“ vergangen. In den Kreisen der BefürworterInnen wurden derweil Wunden geleckt, Narrative neu justiert und Parolen zum Weiterkämpfen ausgegeben. Ein interessantes Phänomen war dabei auch im taz-Kosmos zu beobachten: Wer sich in den Wochen und Tagen rund um die Abstimmung als SkeptikerIn outete, wurde von manchen fast schon als KlimaleugnerIn behandelt und mit spitzen Fingern angefasst. Dabei gab es genügend Gründe, nicht für das vorgelegte Gesetz zu stimmen.

Zunächst einmal zum Framing des Ergebnisses, das die InitiatorInnen des Volksentscheids betreiben: Das Quorum sei nicht zustande gekommen, weil die Abstimmung nicht zusammen mit der Wahl am 12. Februar habe stattfinden dürfen. Das ist mehr als fraglich. Zwar hätte in diesem Fall das Quorum keine Rolle gespielt, es wäre aber auf die Verteilung der „Ja“- und „Nein“-Stimmen angekommen. Und es ist keine gewagte These zu behaupten, dass das „Nein“ gewonnen hätte.

Nur zur Erinnerung: Am 12. Februar gab es einen konservativen Backlash, und allein die Stimmen für CDU, FDP und AfD – alle mit höchster Wahrscheinlichkeit keine „Ja“-Stimmen – beliefen sich auf rund 42 Prozent. Für die fehlenden 8 Prozentpunkte hätten Kreise in der SPD und der Linken, sicherlich aber auch bei den Grünen locker gesorgt. Auch wenn die Trennung der Termine keine gute Entscheidung für die direkte Demokratie war, bekam der Klimaentscheid höchstwahrscheinlich erst durch sie seine Chance.

Aber hat Berlin mit dem Sieg bei den abgegeben Stimmen „ein Zeichen um die Welt gesendet“? So lautete ein weitere Interpretation der Initiative. Auch das ist mehr als fraglich – nicht nur, weil die Mehrheit für das 2030-Gesetz hauchdünn war, sondern weil jenseits der Stadtgrenzen oder gar im Ausland wirklich niemand mit der Lupe hinschaut. Verloren ist verloren, erst umgekehrt wird leider ein Schuh draus. Es ist zu befürchten, dass die nun ausgesandte Botschaft lautet: Sooo wichtig ist Klimaschutz den Menschen auch wieder nicht.

Hätten schon deswegen alle, denen Klimaschutz am Herzen liegt, die aber dieses Gesetz nicht für sinnvoll hielten, gegen ihre Überzeugung mit „Ja“ stimmen sollen? Das kann es nun auch nicht sein. Schon gar nicht hätten sie es tun sollen, um „Schwarz-Rot damit ultimativ zu ärgern“, eine Ansicht, die zuletzt auch nicht ganz unpopulär war. Für solche Spielchen ist das Thema dann doch zu ernst.

Ein Gesetz mit der Brechstange

Dass es mit einer Zustimmung am 26. März doch eigentlich „nichts zu verlieren“ gegeben hätte, wie es auch oft hieß, das stimmt einfach nicht. Auf dem Spiel stand nicht zuletzt die Seriosität der Klimabewegung: Weil ein Brechstangengesetz wie das nun abgelehnte im schlimmsten Fall jede Menge Verwaltungschaos und soziale Verwerfungen produziert, Berlin aber am Ende trotzdem böse die tiefergelegte CO2-Latte gerissen hätte.

Wie Bernd Hirschl, einer der Autoren der Studie „Berlin paris-konform machen“, im taz-Interview erläutert, hätte beispielsweise ein „Scharfstellen“ der neuen Klimaziele eine hausgemachte Inflation provozieren können: Weil es auf Jahre hinweg zu wenig Fachkräfte gibt, die Wärmepumpen einbauen, Häuser dämmen und Solaranlagen installieren, aber auch Radwege planen oder Fernwärmeleitungen verlegen können, ja weil es noch nicht einmal ausreichend Materialien und Geräte gibt, wären die Preise für solche und verwandte Dienstleistungen explodiert – und der ganze Prozess hätte sich prompt festgefahren.

Dass es nicht einfach schnell-schnell gehen kann, nur weil es vermeintlich schnell-schnell gehen muss, zeigt Hirschl auch am Beispiel der notwendigen Wärmewende. Sinn machen in der Fläche eigentlich nur die hocheffizienten Bodenwärmepumpen, aber diese in Berlin einzusetzen, kollidiert erst mal mit dem Grundwasserschutz. Wer hier zu sehr aufs Tempo drückt, riskiert entweder massive Umweltschäden oder aber (indem man auf die weniger effizienten Luft-Wärmepumpen setzt) ein Wärmesystem, das um Längen mehr Strom frisst als nötig. Letzterer muss im Übrigen zu wachsenden Teilen importiert werden, weshalb Berlin seine CO2-Bilanzen gar nicht allein in der Hand hat.

Der Druck auf die Politik muss bleiben

Aber vielleicht ist es nach einer oder zwei Wochen dann auch genug mit dem gegenseitigen Aufrechnen. Der Druck auf die Politik muss sehr hoch bleiben, und das geht nun mal besser, wenn er nicht ständig an Ultimaten und hyperambitionierte Ziele geknüpft wird. So erfreulich es wäre, wenn das kleine Berlin schon in ein paar Jahren klimaneutral wäre und der Welt als Leuchtfeuer der Nachhaltigkeit den Weg wiese.

Wobei, aufgepasst: Im engeren Sinne „klimaneutral“ wäre Berlin 2030 auch bei Erfolg und Umsetzung des Volksgesetzes keineswegs gewesen. Nicht weil es da immer noch den zähen 5 Prozent-Rest gibt, sondern weil der Klima-Fußabdruck der BerlinerInnen bei Weitem nicht nur vor Ort erzeugt wird. Unser Waren- und Lebensmittelkonsum – vom argentinischen Steak bis hin zum Lithium für die E-Bus-Batterie – erzeugt einen riesigen Batzen an klimaschädlichen Emissionen, nur eben anderswo. Wie man sieht, gibt es noch viel, sehr viel zu tun.

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Jahrgang 1969, lebt seit 1991 in Berlin. Seit 2001 arbeitet er mit Unterbrechungen bei der taz Berlin, mittlerweile als Redakteur für die Themen Umwelt, Mobilität, Natur- und Klimaschutz.

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