Theresa Hannig
Über Morgen
: Zeit ist relativ. Auf dem Mond vergeht sie zum Beispiel schneller als auf der Erde. Zumindest ein kleines bisschen. Warum wir bald die lunare Standardzeit brauchen

Foto: privat

Eine Szene durfte in actiongeladenen Filmen aus dem letzten Jahrtausend, in denen Bomben entschärft oder Raketen ins All geschickt wurden, nicht fehlen: der Uhrenvergleich. Meist mit einer Einstellung, die aneinandergehaltene Armbanduhren zeigte.

Ob die Ver­tre­te­r*in­nen von ESA, NASA und weiteren Weltraum­agenturen, die sich vergangenen November im Europäischen Weltraumforschungs- und Technologiezentrum in den Niederlanden trafen, auch so einen Uhrenvergleich machten? Wahrscheinlich nicht. Immerhin synchronisieren heutzutage Smartphones ihre interne Uhr ständig mit der koordinierten Weltzeit.

Das funktioniert aber nur, solange sich die Uh­ren­be­sit­ze­r*in­nen auf der Erde treffen. Bei den anstehenden Expeditionen zum Mond wird das schwieriger. Denn alle Mond­missionen, egal ob von der amerikanischen, europäischen oder chinesischen Raumfahrtbehörde, bringen bisher ihre eigene Zeit mit in den Weltraum. Die anderen Nationen müssen nachrechnen, wer wann welches Shuttle nach oben schießt.

Na gut, könnte man denken, sollen sie sich halt einen Kalender schnappen und miteinander die Routen und Termine absprechen, damit sich die Raumschiffe nicht in die Quere kommen. Aber da hat Einstein noch ein Wörtchen mitzureden. Wir erinnern uns: Zeit und Raum sind relativ. Aufgrund der geringeren Gravitation des Mondes im Vergleich zur Erde vergeht die Zeit dort ein klitzekleines bisschen schneller als bei uns. 56 Mikrosekunden in 24 Stunden, um genau zu sein. Leute, zu deren besten Freun­d*in­nen die Snooze-Taste des Weckers gehört, mag eine solche Abweichung nicht weiter beunruhigen. Wer aber mit LunaNet Navigationssysteme mit mond­umkreisenden Satelliten aufbauen will, hat ein Problem. Denn satellitengestützte Navigation, wie zum Beispiel GPS, funktioniert so, dass Satelliten ihre Position und Uhrzeit als Radiosignal zur Erde senden. Der Empfänger, zum Beispiel ein Handy, berechnet die Entfernung zu allen Satelliten, deren Signale er empfängt und ermittelt daraus seine Position. Um auf dem Mond eine ebenso exakte Navigation zu ermöglichen, braucht es also eine einheitliche Zeit – am besten unabhängig von der Erde.

Aber welche Uhrzeit nehmen wir auf dem Mond? Die Coordinated Universal Time? Greenwich Mean Time? Und das alles mit 56 Mikrosekunden Abweichung? Sie sehen, es ist überfällig, dass der Mond seine eigene Zeit bekommt, damit sich niemand darüber streiten muss, ob nach dem Fünf-Uhr-Tee noch gelandet werden darf, oder der Moonwalk an einem stillen Feiertag erlaubt ist. Und natürlich geht es darum, die zahlreichen geplanten internationalen Mondmissionen zu koordinieren. Genauso wie sichergestellt werden muss, dass die Raumfähre auch nach zehn Jahren noch an der Landestelle aufsetzt, die dafür konzipiert wurde und nicht im Krater daneben.

Wer eng mit der Snooze-Taste befreundet ist, dem sind 56 Mikro­sekunden egal

Und der Mond ist erst der Anfang: Wenn die Menschheit eines Tages zu weiteren Expeditionen aufbricht und den Mars oder die Jupitermonde besiedelt, müssen auch diese Himmelskörper eine eigene Zeit bekommen. Früher war es das Ideal der Könige, ein Reich zu beherrschen, in dem die Sonne niemals untergeht. Heute leben wir in einer Welt, in der es darauf ankommt, die eigenen Maßstäbe zurückzustellen und sich gemeinsam auf einen vernünftigen Kompromiss zu einigen, den die Wissenschaft vorgibt. Schon das hört sich utopisch an.

Theresa Hannig, 38, ist Science-Fiction-Autorin, Politikwissenschaftlerin, Grünen-Stadträtin und ehemalige Softwareentwicklerin.