Böhmermann-Beitrag zu Bosnien in der Kritik: Ćevape-Gefühle
Jan Böhmermann hat sich über den deutschen Boss von Bosnien lustig gemacht. Kritiker werfen ihm unsaubere Arbeit vor. Der Sieger des Ganzen: Bosnien.
Fast immer, wenn es hierzulande um DEN BALKAN geht – also die Region des ehemaligen Jugoslawiens oder einfach „da unten“ –, fühlt sich jeder, der sich noch so ernsthaft ums Verstehen bemüht, wie durch den Fleischwolf gedrehte Ćevape.
Welcher Onkel von wessen Tochter genau hat nun mit den Kumpels von der Cousine des Taufpaten den Nachbarn der Stiefmutter angegriffen und welche Präsidentin hat welchem stellvertretenden Direktor die Touristen vom Boot oder die Wahlstimmen in der Urne geklaut? Wer leugnet gerade welches Verbrechen, wen unterstützen die Deutschen und wo kann ich unterschreiben, weil Bosnien, schlimm, aber ich hab gehört, Ćevape gibt’s da immer noch nicht vegan?
Diese Unübersichtlichkeit, so meinen es viele „Balkan-Experten“, sei der Überheblichkeit des Westens geschuldet. Man konstruiere bewusst oder unbewusst das Bild vom undurchdringlichen Dschungel, um sich nicht weiter damit beschäftigen zu müssen. Das Image des Wild West in the East haftet an der Region „da unten“ wie die Zwiebel an Ćevape.
Dass der Balkan aber eine Erfindung des Westens sei, ist so wie alles andere auch natürlich nicht die ganze Wahrheit. Den muss er nämlich gar nicht erst erfinden. Denn selbstverständlich gibt es hier hausgemachte Kriegsverbrecher, nach altem Rezept hergestellte Korruption, Lobbyisten, Parteien, Idioten, Querulanten, Geschäftemacher und EU-finanzierte Solarpaneele, Kinderspielplätze und zivilgesellschaftliche Projekte. So wie in Bayern. So wie in Niedersachsen So wie überall in der EU.
Bosnien, Bayern, Brüssel
Was der Westen aber sehr wohl erfunden hat, ist das komplizierte Staatengebilde Bosniens mitsamt dem Amt des Hohen Repräsentanten. Eingeführt mit dem Dayton-Friedensvertrag 1995 steht sowohl der Staat als auch dieser von der UN mit halbwegs renommierten Diplomaten besetzte Posten symbolisch für die Einschätzung des Westens, den Haufen da unten nicht sich selbst überlassen zu können. Der Hohe Repräsentant in Bosnien hat Befugnisse, für die Wladimir Putin ein paar Legislaturperioden und ein paar Fensterstürze brauchte: Er kann gewählte Politiker entlassen und Gesetze erlassen, wie es ihm passt, er ist niemandem Rechenschaft schuldig.
Seit 2021 hat das Amt der ehemalige deutsche Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) inne. In der Kritik steht er in Bosnien, unter anderem von der dortigen EU-Vertretung, weil er am Wahltag selbst die Wahlgesetze geändert hat. Auch repräsentiert er das Bild vom hässlichen Deutschen, der Journalistinnen in schlechtem Englisch autoritär anbrüllt, weil ihm eine Frage nicht passt. Dass sich ein deutscher Satiriker über diese Person lustig macht, ist überaus naheliegend.
Nun aber raunen seit einer Woche alle über die „ZDF-Magazin Royal“-Sendung von Jan Böhmermann über Bosniens Boss – Oder war es Kroatien? Ne, Serbien? Warte, ging es nicht um den König von Bosnien? Oder doch um Bayern? – sie sei voller Fehler. Geraunt wurde, weil auf Twitter ein Journalist und Politikberater mit Bosnienhintergrund dem Entertainer mit Recherchehintergrund vorwarf, nicht ganz die Wahrheit getroffen zu haben. Einige namhafte Journalist*innen verbreiteten diesen mehrteiligen Tweet, andere lobten hingegen des Entertainers Recherche.
Rücktritt! Rauswurf! Pfui!
Die FAZ schließlich behauptete, einen Beweis in den Händen zu haben, der Böhmermann der Falschaussage überführen sollte. Und also schlagzeilte schließlich die Bild: „Hat Böhmermann bewusst Tatsachen verfälscht?“ Dazwischen mischte noch ein Bundestagsabgeordneter mit „Da unten“-Hintergrund die Festspiele im Ankack-Überbietungswettbewerb auf und von allen Seiten ging man aufeinander los: „Aktivist“, „Lobbyist“, „Strohmann“, „Genozidleugner“, „Nationalist“, „Vollhorst“, „Faschist“, „Tschetnik“, „Lügner“, „Rücktritt!“, „Rauswurf!“, „Pfui“.
Aber natürlich behauptet jeder, komplett sachlich gewesen, zu Unrecht beschimpft und Opfer fieser Unterstellungen zu sein. Um was ging es noch mal? Egal, denn alle Journalisten wissen, dass das Twitterspiel so funktioniert wie der Balkan. Man ballert, bis der Krankenwagen kommt, mal wird man mit gebrochenem Arm und Blaulicht abtransportiert, mal kommt man mit blauem Auge oder sogar einer Homestory in einem großen Magazin davon.
Im Fokus in diesem Fall allerdings nur noch: Böhmermann. Nicht Bosnien. Unterdessen hat es der aktuelle Hohe Repräsentant schon lange vor der Böhmermann-Sendung in den Auswärtigen Ausschuss geschafft, der sich mit der Personalie Schmidt beschäftigt. Grund: Beschwerden von Personen mit diplomatischem Hintergrund.
Den anfänglich beteiligten Kritikern an der Böhmermann-Sendung ging es übrigens nie darum, die Person Schmidt im Besonderen und das Amt des Hohen Repräsentanten im Allgemeinen vor Kritik zu schützen. Es ging um Details, in denen es Böhmermann verkürzt oder übertrieben haben soll: Wollte Schmidt die Pressefreiheit einschränken oder hat er sich bloß über ein Leak beschwert?
Empörung akkumulieren
Hat Schmidt dem Team Böhmermann nicht geantwortet oder nur nicht konkret auf eine konkrete Frage? Hat Schmidt das bosnische Wahlgesetz so verändert, dass Nationalisten etwas weniger oder etwas mehr Einfluss bekommen? Es ging also um Kritik, die man in einem unaufgeregten Text mit entsprechenden Nachweisen in einer ordentlichen Zeitung hätte sachlich vorbringen können. Allein, auf Twitter lässt sich schneller Empörung akkumulieren.
Aber man kann die ganze Affäre auch sehr positiv sehen. Denn all die Aufregung um Böhmermann könnte am Ende dazu führen, dass ein paar mehr Menschen als vorher bei Google eingeben: „Böhmermann Bosnien Boss was da los, Bruder? Warum noch nicht EU?“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier von Christian Lindner
Eine gefährliche Attacke
Felix Banaszak über das Linkssein
„Für solche plumpen Spiele fehlt mir die Langeweile“
Nach Diphtherie-Fall in Berlin
Das Problem der „Anthroposophischen Medizin“
Geschlechtsidentität im Gesetz
Esoterische Vorstellung
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod