Film „Das Lehrerzimmer“ über Schulalltag: Sie meint es alles gut
İlker Çatak stellt in „Das Lehrerzimmer“ eine junge Lehrerin in den Mittelpunkt. Bei der Suche nach einem Dieb eskaliert die Situation.
Eng sind die Bilder von „Das Lehrerzimmer“. Sie sind im altmodischen 4:3-Format gefilmt, das in den letzten Jahren, gerade bei jüngeren Filmemacher:innen, wieder verstärkt in Mode gekommen ist und auch in den Filmen dieser Berlinale oft verwendet wird. Manchmal etwas willkürlich, aber manchmal ganz bewusst, zur Unterstützung der künstlerischen Absicht.
So wie bei İlker Çataks neuem Film, einer im Ansatz einfachen Geschichte, deren moralische Komplexität sie jedoch zu einem dichten Psychogramm macht. In jeder Szene ist die Hauptfigur Carla Nowak zu sehen, nie weiß der Zuschauer mehr als sie, was dazu zwingt, sich mit dem Denken dieser Person, dieser Lehrerin auseinanderzusetzen.
Diese Carla Nowak wird gespielt von Leonie Benesch, einer der Entdeckungen der diesjährigen Berlinale, die auch bei einer der „Berlinale-Serien“, in der Beststeller-Verfilmung „Der Schwarm“, mitspielt. Nowak ist 29 Jahre jung, hat vermutlich gerade ihr Referendariat beendet und nun ihre erste Stelle an einer Schule, wo sie Sport und Mathematik unterrichtet.
Als Neue im Kollegium kennt sie sich mit den Gepflogenheiten der Schule noch nicht aus, schaut deswegen nur erstaunt zu, als ihr Kollege Thomas Liebenwerda (Michael Klammer) auf, vorsichtig gesagt, ungewöhnliche Weise versucht, einen Dieb ausfindig zu machen, der an der Schule sein Unwesen treibt.
Denunziation eines Schülers
Zwei Schüler werden mehr oder weniger dazu genötigt, einen Mitschüler, den vermeintlichen Dieb, zu denunzieren. Als dieser türkische Schüler vor versammelter Klasse dann auch noch gefilzt und aus der Klasse geführt wird, hat Carla Nowak genug. Zumal sich herausstellt, dass der Junge unschuldig ist, die Direktorin aber wenig Anstalten macht, die unberechtigte Verdächtigung geradezurücken.
20. 2., 10 Uhr, Cubix 7
21. 2., 20.30 Uhr, Blauer Stern
25. 2., 18.30 Uhr, Cineplex Titania
Aus gutem Grund mag Carla Nowak diese Ungerechtigkeit nicht einfach hinnehmen, versucht mit einer Webcam und bewusst im Portemonnaie zurückgelassenem Geld den Dieb oder die Diebin zu stellen und überschreitet damit selbst (ethische) Grenzen. Ihr detektivisches Vorgehen bringt sie auf die Spur der Sekretärin Frederike Kuhn (Eva Löbau), doch die streitet überraschenderweise alles ab.
Und zu allem Überfluss ist auch noch ihr Sohn in der Klasse von Carla Nowak. Einer Klasse, die angesichts der sich verschärfenden Situationen zunehmend in rivalisierende Blöcke zerfällt.
Nach und nach lässt İlker Çatak die Situation nun eskalieren, zeigt eine junge, engagierte, es ganz ohne Frage sehr gut meinende Lehrerin, die sich dennoch zunehmend verrennt. Von allen Seiten scheint Carla Nowak unter Druck gesetzt zu werden, von alteingesessenen Kollegen, die gerade manche Schüler mit Migrationshintergrund eher als störend empfinden, und von der Direktorin, die möglichst unter dem Radar der Schulbehörde fliegen will.
Druck machen auch die sogenannten Helikoptereltern, die nicht zu erfüllende Ansprüche an die Schule haben, aber auch die Schüler selbst, die sich nicht nur in der Schülerzeitung sehr pointiert äußern und gegen tatsächliche oder eingebildete Ungerechtigkeiten zur Wehr setzen.
Ein moralisch integres Leben führen, ethisch handeln, diese Werte an Kinder weitergeben: Leichter gesagt als getan, wie nicht nur Carla Nowak erfahren muss, sondern auch İlker Çatak. Denn seine Studie einer mit sich und ihren Werten hadernden Frau endet im Unbestimmten, endet mit einer Szene, die sich einer klaren Antwort entzieht. Wie eine Ausflucht wirkt dieses Ende, mag andererseits aber gerade wegen seiner Unbestimmtheit, seines bewussten Ablehnens einer klaren Haltung, so gut passen. Denn wie so viele moralische Fragen lässt sich auch die in „Das Lehrerzimmer“ thematisierte nicht auf eine einfache Ja/Nein-Formel reduzieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin