piwik no script img

Ausstellung in NeuköllnJeder Einfluss verändert

Wie nah oder fern ist man der Natur? Danach fragt in der Galerie im Körnerpark die Ausstellung Enter_Nature in einem nicht so einfachen Parcours.

Julia Beliaeva, „Lust human mother and baby“ in der Ausstellung Enter_Nature Foto: Galerie im Körnerpark

Berlin taz | Im Krieg, so sagt man, wird der Mensch auf seinen Urinstinkt zurückgeworfen: Der Wille des nackten Überlebens. Diesen Instinkt, der bleibt, wenn nichts anderes mehr übrig ist, thematisierte die ukrainische Künstlerin Julia Beliaeva bereits 2021 in ihrem Inkjet Druck auf Vinylfolie „The Last Human Mother and Baby“. Die Arbeit findet aktuell Platz in der Ausstellung „Enter_Nature“ in der Neuköllner Galerie im Körnerpark.

Beliaeva geht es darin um die Grundlage der menschlichen Existenz und die Macht einiger weniger darüber. Der große Digitaldruck zeigt zwei nackte Menschen, eine Mutter mit ihrem Baby im Arm, in der Umgebung eines Dschungels – Zitat eines Gemäldes von Henri Rousseau -, dessen Vegetation aber steril und anonym wirkt.

Die Ausstellung

Enter_Nature, Galerie im Körnerpark. Eintritt frei. Täglich geöffnet, 10-20 Uhr. bis 22. Februar 2023

Das Bild erscheint durch seine digitale Erarbeitung plastisch und glatt wie aus einem Animationfilm. Beliaeva erschafft hier eine Parallelwelt, die durch ihre Makellosigkeit die Illusion von Ewigkeit erweckt. Ein harscher Kontrast zu den ökologischen und sozialen Missständen der heutigen Zeit. Ein Jahr nach der Entstehung von „The Last Human Mother and Baby“ wird die Künstlerin mit ihrem eigenen Überlebensinstinkt konfrontiert: Als der Krieg gegen die Ukraine Anfang 2022 ausbricht, ist Beliaevas erster Gedanke, ihren Sohn zu nehmen und wegzurennen.

Beliaevas Thematik des nackten Menschen gliedert sich in der Ausstellung „Enter_Nature“ in eine Reihe von visuell abstrakten Arbeiten ein. Noch weitere internationale Künst­le­r:in­nen setzen sich dort sowohl mit der Sehnsucht des Menschen nach der Natur und deren Verlust auseinander als auch mit den analogen und digitalen Räumen, in denen sie sich bewegen.

Die Augen finden keinen Anfang und kein Ende

Der Blick fällt gleich beim Betreten der Galerie auf Spanngurte, blaue Gummimatten, verschlungene Kabel und geräumige Fischernetze. Sie hängen ineinander und sind miteinander verknotet. Die Augen versuchen einen Anfang und ein Ende zu definieren, verlieren sich in den musterlosen Strukturen, finden keinen Rhythmus in den fünf amorphen Konstrukten, die von der hohen Decke hinab hängen und eine Verbindung mit dem auf dem Boden platzierten Webrahmen eingehen.

Das Weben als kollektive Arbeit ist der Hintergrund der Installation „un_ravel“. Entstanden ist sie im Kontext der experimentellen Plattform „traces“, in der verschiedene Künst­le­r:in­nen zusammenkommen. „Un_ravel“ ist eine intuitive Arbeitsweise abzulesen und in ihrer scheinbaren Willkür wirkt sie wie eine große Bastelarbeit von Kindern.

Das Weben als kollektiver Prozess soll hier die Be­su­che­r:in­nen einladen mitzuwirken. Die Konstruktion ist offen für Veränderung, bereit, sich durch neue Hände formen zu lassen, Bestehendes zu lösen und andere Verbindungen zu knüpfen. Jeder Einfluss verändert, jede Veränderung beeinflusst. So hebt „un_ravel“ mit dem Verweis auf die „Anderen“ das Miteinander hervor, entgegen der Idee einer individuellen Autorschaft.

Schreiben, verwischen, zerstören

Neben analog-bildnerischen Werken gibt es auch Arbeiten in medienkünstlerisch-virtuellen Formen, wie „I am a pen“: Am Ende des Raums verbirgt sich hinter einem schwarzen Vorhang ein Video der Künstlerin Ting-Yun Kuo. Zu sehen ist in dem überschaubaren Raum eine Performance einer in schwarz gekleideten Person, die sich auf einem zwei mal zwei Meter großen Papier bewegt. Sie rollt, gleitet und dreht sich mit nackten und mit Kohle verschmierten Händen und Füßen im Liegen und Sitzen über die weiße Fläche.

Währenddessen ist durch die Lautsprecher eine mechanisch klingende Stimme zu hören, Begriffe wie „Tsunami“ oder „Collapse“ erwecken Assoziationen mit der Natur. Die Performerin sucht in ihren Bewegungen des Schreibens, Verwischens und Zerstörens der Kohlestifte einen Ausdruck für die Worte.

Der freie, geradezu tastende Parcours durch die Ausstellung, der offen gelassene Rundgang durch die Galerie, ist sinnbildlich für die Zeit, in der wir uns bewegen: suchend zwischen analogen und digitalen Sphären.

Kuratiert wurde die Ausstellung von der Künstlerin und Kulturmanagerin Can Mileva Rastovic. Die Galerie im Körnerpark will für ihre Ausstellungen diverse Interpretationsansätze wie auch Arten der Präsentation von Kunst fördern, weshalb sie jeweils unterschiedliche Ku­ra­to­r:in­nen ausrichten. Rastovics Schau mit ihren vielen abstrakten Darstellungen lässt einen jedoch zunächst im Dunkeln tappen, viele Arbeiten bedürfen eines Hintergrundwissens.

Auch die Thematik ist eigentlich nichts Neues, die Auseinandersetzung mit dem Leben auf der Erde allgegenwärtig. Dennoch stoßen die einzelnen Perspektiven und Assoziationen der ausgestellten Künst­le­r:in­nen zur Selbstreflexion an: Wie nah oder fern bin ich der Natur? In welchen sozialen Konstrukten bewege ich mich? Wo habe ich Einfluss und wo endet er?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!