„Frauen werden fertig­gemacht“

Die Amadeu Antonio Stiftung startet die erste bundesweite Meldestelle zu antifeministischen Vorfällen. Vor allem Frauen in der Öffentlichkeit sind betroffen

Angriffe auf Frauen in Queer-Demonstrationen sind nicht nur queerfeindlich, sondern auch antifeministisch Foto: Michael Schick/imago

Von Nicole Opitz

taz: Ans Hartmann, wie sieht es bei Ihnen aus, wenn ich einen antifeministischen Vorfall melden will?

Ans Hartmann: Wenn dir selber was passiert ist, was du als antifeministisch einordnest, gehst du auf unsere Seite und auf der Startseite steht überall prominent „Vorfall melden“. Dafür gibt es eine simple Meldemaske. Mit wenigen anzugebenden Eckdaten, wann und wo es passiertist, und ein großes Freifeld, wo der Vorfall geschildert werden kann. Das wird direkt an uns übermittelt. Und was man noch angeben kann zusätzlich, ist: „Ich wünsche weitergehende Beratung“, das kriegen wir dann mitgeteilt. Meldungen können sich genauso auf öffentliche Ereignisse oder Berichte beziehen.

Das heißt, Sie beraten auch?

In der Fachstelle Gender, Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Rechtsextremismus haben wir langjährige Erfahrungen in der Unterstützung zum Umgang mit antifeministischen Angriffen und Strukturen. Aber wir schauen natürlich, um welche Bedarfe es sich handelt und was wir leisten können. Ansonsten sind wir gut genug vernetzt, um fachadäquat weiterverweisen zu können – zum Beispiel an Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt, mobile Beratungsteams vor Ort oder Frauenberatungsstellen.

Warum gibt es die Meldestelle?

Bisher gibt es keine systematische Erfassung von antifeministischen Vorfällen. Wir wollen dokumentieren, wie alltäglich Antifeminismus ist, wie differenziert er sich äußert und vor allen Dingen auch, in welchen Bereichen er eine Rolle spielt. Es wird eine Art Evaluation und Kategorisierungen geben, um zu gucken, welche Ebenen von Antifeminismus wir sehen. Wir wollen aber nicht nur sammeln, wir wollen Antifeminismus als Problem benennen und das sichtbar machen und nach außen tragen. Das heißt, wir werden jährlich ein Lagebild zu Antifeminismus veröffentlichen, in dem wir die verschiedenen Problemfelder aufzeigen wollen. Wir wollen es in den Fachaustausch und die Bildungsarbeit tragen, aber damit auch an die Politik herantreten.

Mit welcher Art von Vorfällen rechnen Sie bei der neuen Meldestelle? Gibt es da ein Muster?

Da sich Antifeminismus vielschichtig äußert, hoffen wir, dass auch viele verschiedene Meldungen bei uns ankommen. Dazu gehören Vorfälle wie die sogenannte Gehsteigbelästigung vor Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen oder vor Arztpraxen, die Abtreibungen vornehmen. Das kann, wenn man jetzt in bestimmten Botschaften denkt, auch ganz simpel ein Plakat mit einer Schmiererei sein. Ich sehe aktuell viele beschmierte Wahlplakate mit Begriffen wie „Massenmörder (Paragraf 218) und „Homosexverbrecher“. Was sicherlich auch eine Rolle spielen wird, sind Angriffe auf queere Veranstaltungen, zum Beispiel am Rande von einem Christopher Street Day.

Arbeiten Sie mit der Polizei zusammen?

Die Daten werden nicht an Behörden oder an Dritte weitergegeben. Was wir dazu veröffentlichen, ist anonymisiert. Wir werden nicht über Fälle berichten, sodass sie nachverfolgbar sind.

Was ist das eigentlich, Antifemiminismus?

Antifeminismus wendet sich gegen Emanzipationsbestrebungen und äußert sich häufig als organisiertes Vorgehen gegen Geschlechtergerechtigkeit und körperliche sowie geschlechtliche Selbstbestimmung. Man kann sagen, dass Antifeminismus eine Ideologie ist, die eine als natürliche angenommene Geschlechterordnung und die Aufrechterhaltung heteronormativer Geschlechterverhältnisse verteidigt. Das antifeministische Weltbild baut auf Sexismus, Frauen- und Queerfeindlichkeit auf.

Welche Rolle spielt dabei Rassismus?

Wir wissen, dass antifeministisch motivierte Gewalt Menschen, die von Rassismus betroffen sind, noch einmal in einer besonderen Qualität und Quantität trifft. Thematisch sieht man das stark in der rassistischen Instrumentalisierung von Frauenrechts- und Gewaltschutzthemen. Es wird gesagt, „wir“ müssen Frauen vor Gewalt schützen. Aber Gewalt gegen Frauen wird gegen alle Fakten als alleiniges Problem nichtweißer Täter dargestellt, um die rassistische Stimmung anzuheizen, um Einfluss auf Migrations- und Asylpolitik zu nehmen.

Wo geht Antifeminismus in andere gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit über?

Ein aktuelles Thema ist Transfeindlichkeit. Auf dieses Thema hat man sich übergreifend quasi geeinigt, darin sieht man großes Mobilisierungspotenzial. Die Themen, die im Antifeminismus drin sind, wir sprechen häufig von antifeministischen Narrativen, die verbinden ganz viele verschiedene antifeministische Akteur_innen. Transfeindlichkeit ist eines der größten aktuellen Mobilisierungselemente rechter und religiös fundamentalistischer Bewegung. Dazu muss man sagen, dass die Narrative und Einstellungen auch in der sogenannten gesellschaftlichen Mitte zu finden sind.

Ist der Politik das bewusst?

Ich glaube, was massiv unterschätzt wir­d:­ An­ti­fe­mi­nis­mus und antifeministische Ideen sind so was wie eine Einstiegsdroge in rechte und extrem rechte Bewegungen und rechtes Gedankengut. Das sieht man auch bei verschiedenen rechtsterroristischen Attentaten in den letzten Jahren.

So wie in Halle?

Genau. Wenn man sich die Manifeste der Täter durchliest, spielen Hass auf Frauen, Incel-Ideologie und ein manifestes antifeministisches Weltbild immer eine Rolle in der Begründung und Radikalisierung.

Welche Rolle spielt allgemein das Internet?

Das Internet ist grundlegend für die Verbreitung und Aufbereitung antifeministischer Erzählungen. Antifeminismus ist immer auch eine Diskursstrategie. Gleichzeitig äußert sich Antifeminismus im Netz als organisierte Angriffe auf Bewegungen, Menschen und Stimmen, die für Geschlechtergerechtigkeit und Gleichberechtigung stehen. Das ist letztendlich das Ziel von antifeministischen Akteur_innen – dass diese Menschen sich nicht mehr äußern, nicht mehr sichtbar sind und zurückgedrängt werden. Da wo die Räume für zivilgesellschaftliches Handeln immer kleiner werden, spricht man auch von Shrinking Spaces.

Es gibt auch strukturellen Antifeminismus, der in den Institutionen verankert ist – beispielsweise vor Gericht, wenn es um das Umgangsrecht von Kindern geht. Wie gehen Sie damit bei der Meldestelle um?

Das wäre auf jeden Fall ein Thema. Das kann ja ein Urteilsspruch sein oder eine bestimmte schlimme Urteilsbegründung, an denen man sieht, dass zum Beispiel die Väterrechtslobby ein paar Talking Points gesetzt hat, die wir dann auch gut sichtbar machen wollen, in der Art und Weise, wie wir es auswerten.

Sie haben gerade die Väterrechtslobby angesprochen. Inwieweit ist die antifeministisch?

Das, was die Väterrechtslobby macht, und die Aussagen oder Narrative, die sie bedient, sind grundlegend antifeministisch. Es sind sehr frauenfeindliche Konzepte, die sie in die Gerichte einbringen. Beim Parental Elimination Syndrom (Eltern-Kind-Entfremdung durch manipulatives Verhalten eines Elternteils, Anm. d. Red.) ist schon lange bewiesen, dass es nicht in der Form, wie sie es verwenden, existiert. Wenn man sieht, welche Netzwerke und Lobbyarbeit dahinterstecken und wie lange das schon betrieben wird, ist es ein klassisches antifeministisches Betätigungsfeld.

Was sind die Themen, die im Moment relevant sind im Bereich Antifeminismus?

Ein großes Thema, was ja quasi der Dauerbrenner ist, sind Angriffe und Einschüchterungen auf Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen. Ich denke da zum Beispiel an den Shitstorm gegen Sarah-Lee Heinrich von den Grünen. Oder Gleichstellungsbeauftragte und Lokalpolitikerinnen im ländlichen Raum. Frauen werden fertiggemacht und haben gar keine Lust oder sichere Möglichkeit mehr, tätig zu sein. Das betrifft ja genauso gut Frauen, die im Netz sichtbar sind.

Sarah-Lee Heinrich wurde ja auf Twitter angegriffen…

leitet die Meldestelle Antifeminismus der Amadeu Antonio Stiftung. Hartmann arbeitete zuvor beim Bundesverband für Frauenberatungsstellen am Projekt „Aktiv gegen digitale Gewalt“.

Genau. Das ist ein große Thema, Verunmöglichung von Repräsentanz, von Sichtbarkeit.

Und weitere wichtige Themen?

Ein sehr großes Thema ist Trans- beziehungsweise Queerfeindlichkeit, wo sehr viel Mobilisierung und sehr viel Hass gerade verbreitet wird, auch rund um das geplante Selbstbestimmungsgesetz. Man konnte quasi zusehen in den letzten Jahren, wie relevant das geworden ist und etwa an die Diskurse aus den USA oder aus Großbritannien angeknüpft wird. An der Lebensrealität von trans Personen sieht man, wie wirkmächtig so was ist.

Inwiefern?

Es gibt Meldungen, die zeigen, dass Gewalt gegen trans Personen im öffentlichen Raum massiv zugenommen hat. Aber das passiert ja nicht einfach so. Es ist eine strategische Entscheidung, so ein Thema stark zu bedienen.

Welche Rolle spielen christliche Gruppierungen?

Wir merken, dass die christlich-fundamentalistischen Akteur_innen sich immer weiter radikalisieren und weltweit vernetzen, zum Beispiel in Bezug auf Schwangerschaftsabbrüche und in Deutschland gegen die Streichung von Paragraf 218.