Die Wahrheit: Wer sie nicht mag, hat zero Taste

Verfemt, geliebt, gegrillt: Die Zucchini ist schon wieder zum Gemüse des Jahres gewählt worden. Und das zu Recht!

Zwei Leute mit Zucchini.

Restlos glückliche Zucchini-Verkochende Foto: dpa

Es ist ein Thema, das immer wieder hochkocht, und es ist ein Triumph sondergleichen: Zum dritten Mal innerhalb eines Jahrzehnts ist die Zucchini zum Gemüse des Jahres gewählt worden. Die prominente Jury aus Sterneköchen, Gastronomiekritikern und Rezept-Influencern würdigte nicht nur „das unerreicht fein-delikate Aroma“ des noblen kleinen Kürbisgewächses, sondern auch die „breit gefächerten Einsatzmöglichkeiten“ sowie die eben erst entdeckte „sagenhafte Eigenschaft als unbestechlicher Geschmacksdetektor“.

Biochemiker der Universität im spanischen Almería konnten nämlich im vergangenen Jahr nachweisen, dass Menschen, die Zucchini nicht schätzen, weitreichende Defizite in ihrer gustatorischen Wahrnehmung aufweisen und „Schwachkopf“ genannt zu werden verdienen. Da solche Leute lediglich über winzigkleine, verkümmerte Geschmacksknospen im Zusammenhang mit einer weit unterdurchschnittlichen Fantasie und Intelligenz verfügen, können sie die köstlichen, reichhaltigen Geschmacksnuancen der Zucchini schlicht nicht herausschmecken.

„Wer findet, dass Zucchinis ‚nach nichts‘ schmecken, ist selber sterbensöde und innerlich tot“, erklärt Kulinarikpapst Dirk Jollase, Juryvorsitzender, auf Nachfrage gerne. „Kein anderes Gemüse besitzt einen derart subtilen Geschmack und eine derart inspirierende Textur – das sorgt in der Hochküche für immer neue Akkorde: mal in Dur, mal in Moll und oft so schräg verrückt wie im Jazz!“ Er fasst zusammen: „Zu­cchini knallt halt direkt und in aller Milde auf die Geschmacksnerven. Schon mal Blauflossen-Thunfisch mit Blaubeeren und Zucchini gegessen? Schmeckt völlig anders als geschmorte Kalbsbäckchen mit Zucchini, Zichorie und Zaziki!“

Die Erfolgsnachricht reiht sich ein in eine Kette von ähnlichen Ereignissen, die das delikate Grünzeug an die Spitze der weltweit begehrtesten Köstlichkeiten katapultiert haben. So gilt Zucchini mittlerweile als das teuerste Gemüse der Welt, nachdem ein Kilo davon Anfang des Jahres auf dem Wochenmarkt in Dubai für unglaubliche 25.000 Dollar über den Tresen ging. Beim Zucchini-Wettessen im südfranzösischen Nizza verdrückte der 38-jährige Bodybuilder Jean Dupont tatsächlich viereinhalb Kilo der dort „courgette“ genannten Feldfrucht, und zwar mit Knoblauchöl bestrichen und gegrillt zu Baguette. Gerüchte aus der Gerüchteküche, die in diesem Jahr fast ausschließlich Gerichte mit Zucchini kocht, wollen wissen, dass das legendäre Noma in Kopenhagen Ende kommenden Jahres nur deshalb schließt, damit es als exklusives Zucchini­restaurant im zukunftsweisenden Geist des 22. Jahrhunderts wiedergeboren werden kann.

Schäbige Kochgurke

Umso erstaunlicher, dass die Zucchini noch vor 300 Jahren unter den Namen „schäbige Kochgurke“ als Gemüse der Armen galt und auf den südeuropäischen Wochenmärkten kurz vor 14 Uhr pfundweise verschenkt wurde. Im viktorianischen England galt der unaufdringliche Zucchinigeruch – im Unterschied zum stechenden Odeur von Hummer und Kaviar – als Kennzeichen der Arbeiterviertel und elenden Mietskasernen der frühen Industrialisierung. Sozialhistoriker sind sich sicher, dass es ohne die grundlose Empörung über Zucchini 1811 nicht zu den Arbeiteraufständen in Nottingham gekommen wäre und auch nicht zur Gründung der Sex Pistols in London 1975.

In den wilden Siebzigern gelangte die Zucchini verspätet ebenfalls nach Deutschland. Dort schlug sie nach und nach die meisten anderen Gemüsesorten aus dem Feld, weil sie einen coolen italienischen Namen trug statt eines spießigen deutschen wie „Möhre“ oder „Kohl“. Dass die Zucchini mittlerweile selbst einheimisches Edelgemüse wie Spargel oder Mangold in der Publikumsgunst überflügelt hat, liegt nicht nur am typisch deutschen Hang zum Italiener und Selbsthass, sondern auch daran, dass sie reichlich gesunde Nährstoffe liefert, wenn man sie großzügig mit Omega-3-Fettsäuren übergießt.

In den ersten Jahren dieses Jahrtausends erlebte die fabulöse Frucht allerdings das Phänomen, dass Menschen mit kog­nitiven und emotionalen Defiziten sich auf Kosten der meist länglichen Gartenkürbisse zu profilieren versuchten. Sie behaupteten frech, Zucchinis schmeckten fade, und man könne daran sogar sterben – vor Langeweile!

Deutscher Einheitsbrei

Rechtsnationale Stimmungsmacher hetzten in der Folge gegen „verkochten Einheitsbrei“ und „importierten Matschfraß“, während Lifestyle-Opportunisten dem Gemüse das biedere Image des Kleinbürgerkantinen-Magenfüllers aufzuschminken versuchten. Da niemand von Verstand und Geschmack mit solchen Menschen etwas zu tun haben wollte, starben diese Ansichten im Laufe der 10-er Jahre allerdings aus.

In der Zwischenzeit hatten freilich auch Spitzenköche wie René Redzepi und Yotam Ottolenghi die Renaissance der Zu­cchini eingeläutet und sie zur Königin der modernen Frischgemüseküche geadelt, was sie bis heute geblieben ist. Frank Birnbaum, Lebensmitteltechnologe aus Leidenschaft in einem Dorf im Saarland, streicht neben dem einzigartigen Geschmack und der immensen Zubereitungsvielfalt noch einen weiteren Knallervorteil heraus: „Zucchini halten sich einfach ewig. Du kaufst eine, legst sie ins Gemüsefach, und wenn du sie nicht aus lauter Schmackofatz und Leckergier sofort weggenascht hast, ist sie nach zwei Wochen immer noch formstabil und gut für italienische Nudelsoße oder mediterranes Mischgemüse zu gebrauchen.“

Feinschmecker sind sich jedenfalls einig: Wer Zucchini nicht schätzt, kann sich gehackt legen. Apropos: Gehacktes, gleich ob vom Rind, Schwein, Lamm, Hummer oder vegan, passt besonders gut zur deliziösen Frucht. Als Beilage passen wiederum „Zoodles“, kalorienarme Low-Carb-Nudeln aus – natürlich – Zucchini!

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