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Faeser gibt nach

Das Kabinett beschließt den Gesetzentwurf zur Reform der Ersatzfreiheitsstrafe von Justizminister Buschmann, die Innenministerin Faeser lang blockierte

Von Christian Rath

Die Bundesregierung hat an diesem Mittwoch einen Gesetzentwurf von Justizminister Marco Buschmann (FDP) beschlossen, der Erleichterungen bei der Ersatzfreiheitsstrafe vorsieht. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte vorige Woche ihren Widerstand gegen den Entwurf aufgegeben. Buschmann sprach von einer „historischen Reform“.

Ersatzfreiheitsstrafe wird vollstreckt, wenn Geldstrafen nicht bezahlt werden (können). Künftig soll der Umrechnungsschlüssel halbiert werden. Während bisher ein Tagessatz nicht bezahlter Geldstrafe zu einem Tag Ersatzfreiheitsstrafe führt, soll dies künftig nur noch ein halber Tag sein. Zur Begründung sagte Buschmann: „Seit vielen Jahren haben Fachleute kritisiert, dass der Gegenwert von sechs bis acht Stunden ­Erwerbsarbeit, die etwa einem Tagessatz Geldstrafe entsprechen, und 24 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe nicht zusammenpassen.“

Die große Mehrheit der Bundesländer befürwortet die Reform, nicht zuletzt, weil sie zu Einsparungen im Strafvollzug führen wird. Die Gesamtkosten für die Ersatzfreiheitsstrafe von 200 Millionen Euro pro Jahr, könnten nach der Änderung um 30 bis 50 Millionen Euro sinken, heißt es im Gesetzentwurf.

Auch sozialpolitisch gab es zuletzt harte Kritik an der Ersatzfreiheitsstrafe, die vor allem Menschen treffe, die verelendet sind und/oder ihr Leben überhaupt nicht im Griff haben, aber eigentlich nicht ins Gefängnis gehören. Im Schnitt waren in den Jahren 2011 bis 2020 (vor Corona) täglich rund 4.326 Personen in Ersatzfreiheitsstrafe. Die Zahl nahm von 2003 bis 2020 um 27 Prozent zu. Die durchschnittliche Verbüßungszeit beträgt 38 Tage.

Buschmann will grundsätzlich aber an der Ersatzfreiheitsstrafe als Druckmittel festhalten. Erfahrungen aus Schweden zeigten, dass ohne drohende Ersatzfreiheitsstrafe nur noch 41,4 Prozent der Geldstrafen bezahlt werden, während in Deutschland derzeit 74,3 Prozent der Geldstrafen beglichen werden.

Seinen Referentenentwurf hatte Buschmann schon im Juli vorgestellt. Doch überraschend blockierte dann Innenministerin Faeser monatelang den Fortgang des Verfahrens. Sie befürchtete unter anderem, dass auch Männer, die wegen Gewalt in der Partnerschaft bestraft wurden, von der Reform profitieren könnten. Das Justizministerium hielt die Einwände jedoch für wenig überzeugend. Wer seine Frau schlage, werde in der Regel nicht zu Geldstrafen verurteilt, sondern gleich zu einer Freiheitsstrafe. Außerdem hätten über 90 Prozent der Personen in Ersatzfreiheitsstrafe gar keine Beziehung. Typischerweise komme die Ersatzfreiheitsstrafe bei Delikten wie Schwarzfahren, Diebstählen und Betrügereien zum Einsatz.

Viele meinen, Faeser nutzte ihre Einwände, um Druck auf Buschmann aufzubauen

Viele Be­ob­ach­te­r:in­nen gingen davon aus, dass Faeser ihre Einwände auch nutzte, um Druck auf Buschmann aufzubauen. Faeser und Buschmann liegen im Clinch, weil der Justizminister den Wunsch der Innenministerin blockiert, eine Vorratsdatenspeicherung für IP-Adressen einzuführen. Vorige Woche hat Faeser sich dann überraschend doch mit Buschmann geeinigt. Als Gegenleistung erreichte Faeser, dass die ohnehin geplante Evaluation der Reform schon nach drei Jahren (statt nach fünf Jahren) stattfinden soll. Außerdem soll dabei auch ausdrücklich untersucht werden, ob der halbierte Umrechnungsschlüssel die Zahlungsbereitschaft bei Geldstrafen reduziert.

Eine weitere Änderung am Gesetzentwurf haben die Bundesländer erreicht. Künftig soll die Übermittlung der Daten von Personen, die ihre Geldstrafe nicht bezahlt haben, an freie Träger der Straffälligenhilfe erleichtert werden. Ziel ist, dass So­zi­al­ar­bei­te­r:in­nen den Betroffenen beim Abschluss einer Ratenzahlungsvereinbarung oder der Vermittlung gemeinnütziger Arbeit helfen und so die Ersatzfreiheitssrafe abwenden. Die Zahl der Fälle, in denen Ersatzfreiheitsstrafe im Modell „Schwitzen statt Sitzen“ vermieden werden konnte, hatte sich von 2006 bis 2019 auf nur noch 3,6 Prozent aller Geld­stra­fen­schuld­ne­r:in­nen halbiert.

Der Gesetzentwurf ist Teil eines größeren Pakets zur Überarbeitung des Sanktionenrechts, das der Bundestag beschließen will. Nächstes Jahr wird die Bundesregierung auch über eine etwaige Entkriminalisierung des Schwarzfahrens diskutieren.

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