Studie zu Berlinale-Leiter Alfred Bauer: Da hat jemand gepennt

Die Berlinale hat eine weitere Studie zur NS-Vergangenheit ihres ersten Leiters Alfred Bauer vorgestellt. Warum erst jetzt?

Alfred Bauer mit Shirley MacLaine im Jahr 1971

Ein Mann, der von 1951 bis zu seiner Verrentung 1976 ein Vierteljahrhundert lang die Berlinale geleitet hat, verschleiert systematisch seine Vergangenheit im NS-Regime. Eigentlich nichts Besonderes im Nachkriegsdeutschland – so könnte man den Fall Alfred Bauer (1911 – 1986) mit einem Schulterzucken abtun.

Deutschland war total kaputt, Wiederaufbau die Maxime der Stunde. Wenn man da alle außen vor gelassen hätte, die unter Hitler irgendwelche Funktionen hatten, wäre in Deutschland gar nichts mehr gegangen. Alles bekannt. Das ist das Eine.

Das Andere aber ist, dass Geschichten wie die von Alfred Bauer, die bereits durch einen Text in der Zeit 2020 ans Licht kam, offenbar erst jetzt so richtig ins Bewusstsein großer Teile des Kulturbetriebs dringen. Zwar hatte die Berlinale super reagiert, ihren Alfred-Bauer-Preis ausgesetzt, das Institut für Zeitgeschichte beauftragt, zu Bauer zu forschen, den Preis später ganz abgeschafft.

Der erste Teil der Forschung wurde bereits vor zwei Jahren vorgestellt – und es war erwartbar schlimm. Bauer war nicht nur ein eifriger SA-Mann, Referent in der Reichsfilmkammer und 1942 in der Reichsfilmintendanz, die direkt dem Propagandaminister Joseph Goebbels unterstand; auch seine Meinung zum Film als Waffe ist bekannt. Bauers Hauptaufgabe bestand in der „Film- und Produktionsplanung“. Er war dabei laut Studie „über die gesamten Abläufe und Vorgänge in der deutschen Filmindustrie bestens informiert.“ Etwa darüber, dass oft Zwangsarbeiter, sogenannte Ostarbeiter, für schwerste Arbeiten eingesetzt wurden.

War die Berlinale braun?

Nun ist die Berlinale aber noch weiter gegangen und hat eine zweite Studie in Auftrag gegeben, die am Donnerstag im Theater Hebbel am Ufer vorgestellt wurde. Diesmal ging es darum, inwieweit Bauers Vergangenheit die Programmauswahl ab 1951 beeinflusst haben könnte. Die Ergebnisse waren wenig spektakulär, die Auswahl war so unpolitisch wie der deutsche Film in weiten Teilen zu dieser Zeit. Als Bauer in den Anfangstagen der Berlinale einen Film des Naziregisseurs Karl Ritter ohne Nennung des Namens vorschlug, lehnt das der Berliner Senat glücklicherweise strikt ab. Die Berlinale war nicht braun.

Trotzdem steht am Ende der Diskussion am Hebbel am Ufer die Erkenntnis, dass der Fall noch lange nicht abgeschlossen ist. „Der deutsche Film war in der Nachkriegszeit überhaupt nicht so unpolitisch, wie alle annehmen“, sagte etwa Stefanie Mathilde Frank von der Humboldt Universität, die über Remakes von NS-Filmen in der Adenauer-Zeit promoviert hat.

Sie warf die Frage auf, wie sich die Programmgestaltung der Berlinale gestaltet hätte, wenn sie von einer Person aus dem NS-Widerstand geleitet worden wäre. Das Institut für Zeitgeschichte betreibt keine Filmwissenschaft, da müsste sich in der Zukunft dringend mal jemand mit den Absagen der Berlinale an nicht genehme Filme in Bauers Zeit befassen.

Aber es ja nicht nur um Bauer. Vielmehr schlummert hier ein weiterer Skandal, der weit über die Berlinale hinausgeht. Warum, fragte Andreas Wirsching vom Institut für Zeitgeschichte, der die Diskussion im HAU moderierte, ist die Kultur eigentlich so ein „Latecomer“, was die Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit ihrer Akteure angeht, auch ihrer Kontinuitäten nach 1945? Dabei verwies er um die jüngste Diskussion um „Stern“-Gründer und Kunsthallen-Stifter Henri Nannen, der ebenfalls eine Nazi-Vergangenheit hatte.

Ähnlich wie bei Henri Nannen

Da lag der Hund nämlich ganz ähnlich – und besonders tief – begraben wie bei Bauer. Bereits 2010 gab es einen Artikel in der Süddeutschen Zeitung über sexistische, rassistische und antisemitische Flugblätter, für die Nannen verantwortlich war. Erst viele Jahre später ist mal jemand auf die Idee gekommen, sich diese Flugblätter in der Berliner Staatsbibliothek wirklich anzusehen. Und bei der Causa Bauer hat schon 1973 hat ein Filmhistoriker darauf hingewiesen, dass dieser in der Reichsfilmintendanz angestellt war. Das hat weder bei der Berlinale noch irgendwen sonst besonders aufgeregt.

Dies erinnert fast an die Ethnologischen Museen in Deutschland. Die haben auch über Jahrzehnte mit aller Kraft die Augen zusammen gekniffen, was ihre koloniale Raubkunst angeht. Nur, dass es da nicht um die Nachwirkungen, sondern um die Vorgeschichte des Nationalsozialismus geht.

Wie war das noch gleich? War es nicht der deutsche Kultur- und Denkbetrieb, der so besonders stolz darauf ist, immer die unbequemsten Fragen zu stellen und den Finger als erster in die Wunden der Gesellschaft zu legen? Es ist Zeit, dass hier eine ganze Branche aus dem Dornröschenschlaf erwacht.

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Jahrgang 1971, schrieb 1995 ihren ersten Kulturtext für die taz und arbeitet seit 2001 immer wieder als Redakteurin für die taz. Sie machte einen Dokumentarfilm („Beijing Bubbles“) und schrieb zwei Bücher über China („Peking" und "Chinageschichten“).

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