Kriegsverbrechen in Bosnien: Ineffektive Justiz
Im Jugoslawienkrieg wurden 20.000 Menschen Opfer sexualisierter Gewalt. Doch Gutachten zeigen: Die bosnische Justiz arbeitet das nur langsam auf.
20.000 Menschen wurden während der Jugoslawienkriege Opfer sexualisierter Gewalt. Nur wenige konnten ihre Peiniger vor Gericht stellen oder Entschädigungszahlungen erhalten. Ein von der Bundestagsvizepräsidentin Aydan Özoguz (SPD) in Auftrag gegebenes Gutachten, das der taz exklusiv vorliegt, kommt nun zu dem Schluss, dass Verbrechen dieser Art in Bosnien und Herzegowina nur unzureichend aufgearbeitet werden.
Demnach beklagen verschiedene Akteur:innen, dass die bosnische Justiz Kriegsverbrechen seit 2004 nur ineffektiv und langsam vor Gericht bringt. Vor allem komplexe Verfahren stehen auch 27 Jahre nach Ende des Krieges noch aus. Sie werden oft aufgeschoben, um Erledigungsquoten zu erfüllen.
In einem Bericht von 2020 kommt das UN Committee on the Elimination of Discrimination against Women zu dem Schluss, dass „Ermittlungen zu konfliktbedingter sexueller Gewalt in Bosnien und Herzegowina ineffektiv und langsam waren und dass die Entschädigung und Unterstützung für die Opfer unzureichend war.“
Schwere Zusammenarbeit mit bosnischer Justiz
„Das Gutachten unterstreicht, dass es gerade bei Opfern sexualisierter Gewalt an Unterstützung und Entschädigung mangelt“, sagt auch Özoguz gegenüber der taz. „Ihnen Zugang zu effektiven Verfahren und Kompensation zu verschaffen, ist unabdingbar.“
Dabei setzte Bosnien 2008 eine nationale Strategie im Umgang mit Kriegsverbrechen fest und ein eigens dafür eingerichtetes Organ sollte deren Einhaltung überwachen. Doch die komplizierte Zusammenarbeit zwischen der oberen bosnischen Justiz und den Bezirks- und Kantonsgerichten bereitet Probleme: Auf beiden Ebenen herrscht Bearbeitungsstau.
Laut einem OSZE-Bericht waren 2020 immer noch mindestens 571 Fälle mit 4.498 Verdächtigen unbearbeitet. Und das sind nur die Fälle, bei denen die Täter schon feststehen.
Laut OSZE-Bericht nimmt die Erledigungsquote seit 2017 stetig ab. 2020 schloss die Justiz insgesamt 18 Verfahren ab, mit einer letztinstanzlichen Verurteilung von 52 Prozent. 2016 brachte die Justiz noch 67 Verfahren zu einem Ende, 63 Prozent mit Verurteilung.
Bis 2017 konzentrierte sich der in Den Haag ansässige Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) auf die strafrechtliche Verfolgung der politischen und militärischen Führungsebene der ehemaligen Kriegsparteien. Die bosnischen Gerichte sollten hingegen vor allem Verfahren gegen untere Befehlsebenen bearbeiten. Dafür wurde eigens eine Kammer eingerichtet. 2017 änderte sich das. Seitdem überwacht und unterstützt ein von den Vereinten Nationen mandatiertes Tribunal die Aufarbeitung durch die bosnische Justiz.
Die Zusammenarbeit mit der bosnischen Justiz sei aber von Beginn an schleppend gewesen, sagte Carla Del Ponte, Chefanklägerin des ICTY, schon 2003. Insbesondere die Republika Srpska, eine der Teilrepubliken in Bosnien und Herzegowina, und die Partei der bosnischen Kroaten hätten sich gesträubt.
Lauter Nationalismus im Balkanstaat
Noch heute lassen sich regionale Unterschiede erkennen. Während in der Föderation Bosnien und Herzegowina sowie dem Brčko-Distrikt die Verurteilungsquote bei Fällen von sexualisierter Gewalt im Zeitraum 2004 bis 2016 bei 90 Prozent lag, lag sie in der Republik Srpska bei nur 50 Prozent.
Währenddessen sind 27 Jahre nach Ende des Krieges viele Angeklagte zu alt oder krank, um noch vor Gericht gestellt zu werden. Andere sind in der Zwischenzeit gestorben. „Die Verfahren müssen schneller und effektiver werden“, sagt Özoğuz. „Nur so kann die wichtige Versöhnung zwischen den Ethnien in Bosnien und Herzegowina vorankommen.“
Doch aktuell sind die nationalistischen Töne in dem Balkanland so laut wie seit dem Ende des Krieges nicht mehr. Der serbische Nationalistenführer Milorad Dodik fordert immer wieder die Abspaltung der Republika Srpska und auch die Wahlen im Oktober gingen nicht ohne Zwischenfälle über die Bühne.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Sicherheitsleck in der JVA Burg
Sensibler Lageplan kursierte unter Gefangenen