Übers das Recht auf Teilhabe: Menschen wie Haushaltsgeräte
Auf einem Berliner Spielplatz stellt sich die Frage nach Inklusion. Denn Behinderte sind nicht krank. Sie sind behindert. Das haben sie schriftlich.
N eulich aufm Spielplatz. J. und ihr Sohn N. haben beide eine relativ frische Autismus-Diagnose. J. erzählt, dass Autismus bei Frauen viel seltener und später festgestellt werde. „Frauen sind anpassungsfähiger, sie nerven weniger als Jungs“, sagt sie. Der vierjährige N. klappt derweil die Gartenpforte zum Spielplatz auf und zu. Er schaut in die Wolken. Versunken in die Bewegung, den Rhythmus, das Geräusch. Dann dreht er sich plötzlich um und rennt los. J. springt routiniert auf, schnappt sich einen Tretroller, den sie mitgebracht hat, und saust dem Kind hinterher.
Eine Mutter aus der Kita meines Sohnes tritt zu mir. Sie schaut J. und N. nach und murmelt: „Der ist aber nicht normal, oder?“
„Spektrumsstörung“, sage ich. Sie sieht mich an. „Das Kind ist Autist“, sage ich. „Ach“, seufzt sie und stemmt sich ihren Jüngsten in die Hüfte, „ich bin ja froh, dass mit meinen drei Kindern alles in Ordnung ist.“
Normal. In Ordnung. Ob sie vergessen hat, dass sie gerade mit einer Frau mit Behinderung redet?
Als J. wieder da ist, erzählt sie, dass N. aus der Inklusionskita rausgeschmissen werden soll, weil die Erzieher*innen überfordert sind.
Schon mich wollten sie Anfang der Achtziger im Kindergarten nicht haben, weil den DDR-Erzieherinnen ein Kind, das nicht laufen konnte, aber ununterbrochen redete, zu anstrengend war. Hallo Fortschritt!
Sie sagt wirklich funktionieren
„Na ja“, sagt die Dreifachmutter, die auch Erzieherin ist, man müsse das schon verstehen, wenn ein Kind in der Gruppe sei, das alle Aufmerksamkeit fresse, dann bleibe schließlich gar nichts übrig für die Kinder, die funktionierten. Sie sagt wirklich funktionieren.
J. und ich haben zusammen Abi gemacht. Sie hatte mir eine Mail geschrieben, nachdem sie mich beim Jahresempfang von Jürgen Dusel gesehen hatte. Jürgen Dusel ist der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung. Seine Aufgabe ist die Umsetzung des Behindertengleichstellungsgesetzes, das vor läppischen 20 Jahren rechtskräftig wurde.
Herr Dusel und sein Trupp sollen quasi im Alleingang die Inklusion umsetzen, indem er zum Beispiel mich zum Jahresempfang einlädt, damit ich ein bisschen rummotze. Wie mir immer wieder empfohlen wird, meinen Körper zu optimieren, ihn zu trainieren, zu operieren, damit ich mehr dem Ideal des makellosen Ariers entspreche.
Am besten ein Mann
Denn natürlich wäre es am einfachsten für alle meine Mitmenschen, wenn ich nicht nur nicht mehr gehbehindert wäre, sondern gleich auch noch etwas kräftiger, mit robusterer Gesundheit, weniger Allergien, nicht ganz so sensibel und vor allem nicht so schrecklich anstrengend und aufbrausend, bitte sehr. Einfach ein wenig anpassungsfähiger. Am besten ein Mann. Ein Supermann. Unverwundbar, unsterblich, wahnsinnig hilfreich und die Brille lediglich ein modisches Accessoire.
Dabei sind die allermeisten Erdenbewohner*innen gar keine Supermänner. Es gibt sogar mehr Frauen als Männer in Deutschland, mehr Alte als Junge. Es ist total normal, nicht perfekt zu sein. Und zehn Prozent aller Menschen in Deutschland haben eine Behinderung. Es heißt Behinderung. Nicht „Beeinträchtigung“, nicht „besondere Fähigkeiten“, nicht Krankheit. Behinderte sind nicht krank. Sie sind behindert.
Das haben sie schriftlich. Und diese Schriftlichkeit verleiht ihnen Rechte. Zum Beispiel das Recht auf Teilhabe. Nicht ich bin verpflichtet, meinen Körper und Geist den technischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten anzupassen, sondern die Gesellschaft ist verpflichtet, Barrieren abzubauen, damit alle mitmachen können. Theoretisch. Und dieses Reden über Menschen wie über Haushaltsgeräte – normal, funktionstüchtig und die Kategorisierung in versehrt und unversehrt –, dafür gibt es auch einen Begriff. Das nennt sich Ableismus.
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