Linksradikale Hauswirtschaftler: Die fetten Jahre sind vorbei

In der Krise heißt es, Gürtel enger zu stellen, oder wenigstens das Geld gelegentlich mal zu zählen. Das bringt mitunter ungeahnte Erkenntnisse hervor.

Getränkekühlschrank im Späti

Praktisch sind Spätis bestimmt – aber schon auch etwas teurer als der Discounter Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Es gibt ja nur wenig Gutes zu berichten gerade – so zeitenwendenmäßig – aber über Tobi am Bremer Hauptbahnhof hab ich mich dann doch ein bisschen gefreut. Der war gerade martialisch demonstrieren wegen der Lebensmittelpreise, wegen Heizkosten und sogar Benzin, obwohl er gar kein Auto besitzt, von dem ich wüsste. Was er hingegen schon hat, ist recht. In diesem Fall jedenfalls. Dass die Krise planmäßig jene Menschen am heftigsten treffe, denen es eh schon am beschissensten gehe, hat er zum Beispiel gesagt. Lustig ist daran wenig, eines aber eben doch: Tobi gehört nämlich zu jenen Menschen, die bis vor Kurzem noch so ununterbrochen wie lautstark damit kokettiert haben, von Hauswirtschaft nicht den Hauch einer Ahnung zu haben.

Ich wundere mich tatsächlich darüber, dass Tobi inzwischen weiß, was ein Liter Milch im Discounter kostet und wo der Preis vor einem Jahr noch stand. Sogar über die Dämmwerte seiner Wohnung kann er referieren – und er weiß auch zu berichten, wie viel Geld man so grob an die Seite schaffen müsse, um „sein Zeug in Schuss zu halten“.

Dass wir uns genau darüber mal heftig gestritten haben, hat er wiederum vergessen. Da hatte er seinen von Papa bezahlten Laptop durch den Raum geworfen, weil’s ja nur ein „Gebrauchsgegenstand“ sei. Um Geld ging’s damals nur am Rande, eher um Fetischismus und dass man die ganze „Warenscheiße“ ja nun auch nicht vergöttern dürfe. Sein Essen hat Tobi damals übrigens zu einem beachtlichen Teil aus dem Späti bezogen, wo’s 2010 schon so teuer war, als hätten Krieg, Inflation und Ernteausfälle schon mal ausgetestet, was in 2022 preistechnisch so drin sein könnte.

Pseudolinke Pseudokritik

Warum ich das nun aber erzähle: Tobi war einer der schärfsten Kritiker (oder eher: einer der gröbsten Nervenärsche), als mein Umzug aus der Großstadt aufs Land anstand. „Hyggescheiße“ hat er gesagt und „Heimatquatsch“ und „Selbstversorgerideologie“ und solche Sachen.

Ich glaube gar nicht, dass es ihm wahnsinnig ernst damit war, aber ich habe trotzdem häufiger mal dran gedacht in den letzten Jahren. Vielleicht auch ein bisschen im Angedenken an meine inzwischen verblichenen Eltern, die diesen innerlinken Kulturkampf knapp 30 Jahre vorher schon durchgespielt hatten, als sie sich unter anderem meinetwegen aus ihrer Kommune zurückzogen. Zur Einweihung der dörflichen Kleinfamilienbehausung gab’s einen Christiania-Bildband als Abschiedsgeschenk mit der vergifteten Widmung „Trautes Heim, Glück allein“ vorne drin.

Gesagt haben sie das nie, aber ich glaube, meinen Eltern tat das schon weh. Mir hingegen hat es eher geholfen, mich im späteren Leben von vorzeigelinken Arschlöchern nicht stressen zu lassen – und meinen Umgang auf sporadische Konzertbesuche und konkrete Revolutionsfragen zu beschränken.

Ganz geklappt hat das natürlich nicht, und eigentlich ist Tobi auch kein richtiges Arschloch. Trotzdem konnte ich’s mir dann doch nicht verkneifen, mich betont plötzlich aus dem Gespräch zu verabschieden, weil ich zum Zug müsse – und zu Hause Quitten ernten, bevor die Sonne untergeht.

Das war übrigens eiskalt gelogen, weil die in Wirklichkeit noch ein paar Tage brauchen. Aber es klang so gut, viel besser als die gerade ehrlich gesagt eher traurige Wegfresserei geplatzter Tomaten und verspäteter Gurken. Die Äpfel hingegen sind super, aber eben auch zu banal für eine gute Geschichte.

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Jahrgang 1982, schreibt aus dem Bremer Hinterland über Kultur und Gesellschaft mit Schwerpunkten auf Theater, Pop & schlechter Laune.

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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