Komik als Machtfrage: Sich lustig machen

Komik hat mit Macht zu tun. Man muss sich nur mal auf deutschen Comedy-Bühnen umschauen mit der Frage: Wer lacht über wen in welchem Kontext?

Charlie Chaplin gähnt.

Komik ist allemal auch Körpersache. Hier mit einem prominenten Gesicht Foto: imago

Wir müssen über Komik reden. Neulich war ich im Quatsch Comedy Club, und Martina Brandl moderierte. Sie macht Comedy seit zirka 500 Jahren. Sie trägt ein Blumenkleid, dessen Rock sich um sie bauscht, wenn sie am Bühnenrand entlangstolziert.

„Ich werde oft gefragt“, spricht sie ins Mikrofon, „warum ich als Frau auf einer Comedy-Bühne stehe.“ Pause. Antwort: „Na, weil ich als Mann scheiße aussehe.“ Sie wartet, bis sich das Lachen im Publikum legt, dann fügt sie hinzu: „Außerdem sitzen ja 90 Prozent aller Frauen schon in den Führungspositionen der größten Unternehmen weltweit.“

Komik braucht Timing und kommt von Komödie. Das Komische als Ästhetik ist mit dem Theater verbunden, dem Zur-Schau-Stellen des eigenen Körpers, dem Nur-so-tun-als-ob. Konkret mit dem Zurschaustellen des Scheiterns eines Körpers an den Idealen des Geistes. Klingt kompliziert, ist aber einfach: Die Nudel im Gesicht von Loriot, als er seiner Angebeteten seine Liebe gestehen will. Der Körper des Komikers ist das Material, mit dem er arbeitet, den er zur Schau stellt und dem Publikum zur Verfügung stellt, um es an seinem Scheitern teilhaben zu lassen.

Die Komik Keatons und Chaplins funktioniert so, die von Monty Python und Martina Brandl. Sie habe während Corona 15 Kilo zugenommen, erzählt sie, aber das mache nichts. „Das is ja das Schöne am Frausein. Wir Frauen können alt sein, dick, hässlich, Halbglatze – scheißegal, Hauptsache, wir sind witzig.“

Im „Handbuch Komik“ ist zu lesen, dass im privaten Bereich eher Frauen dazu neigen, sich über sich selbst lustig zu machen, während Männer sich eher über andere lustig machen.

Martina Brandl kündigt den zweiten Komiker des Abends als „sexiest guy of german comedy“ an. Auf die Bühne tritt ein mittelalter, sehr langer, sehr dünner Mann in schwarzer Kleidung mit Hinterkopfglatze. Den ersten Lacher hat er schon in der Tasche. Aber statt die super Steilvorlage der Moderatorin aufzugreifen, fängt der Komiker an, dem Publikum Witze über Menschen mit Behinderung zu erzählen: Fußamputierte, die „kürzer treten“ müssten. Die Liga. Und immer mit dem Zusatz: „Hat mir ein Blinder/ ein Amputierter/ ein Typ im Rollstuhl erzählt. Wahre Geschichte.“

Sogar Kitakinder verstehen, dass es nicht cool ist, sich über Schwächere lustig zu machen

Er wolle nicht über Behinderte lachen, erklärt der Humorprofi, sondern beweisen, dass die auch lustig sind. Es ist zum Fremdschämen. Statt seinen eigenen Körper zu benutzen, sein eigenes Potential auszuschöpfen, lenkt er von sich ab und stellt sich selbst über den Gegenstand seiner Komik. Wie Mario Barth, der Witze über „seine Freundin“ macht.

Es ist nicht zu fassen. Deutsche Comedy wird offensichtlich auch im Jahr 2022 noch beherrscht von Oberlehrern und Kackbratzen. Die einen wollen dem Publikum permanent die Welt erklären. Die anderen finden es lustig, Witze über marginalisierte Gruppen zu reißen. Das nennt sich dann „rebel comedy“, wird mir erklärt. Wegen „cancel culture“. Tatsächlich ist es einfach Arschloch-Comedy. Herablassender, antiquierter, verklemmter Herrenwitz. Sogar Kitakinder verstehen, dass es nicht cool ist, sich über Schwächere lustig zu machen.

Eine Kitafreundin meines Sohnes hat mich wegen meiner orthopädischen Schuhe ausgelacht: „Hihi, deine Schuhe sind voll hässlich.“ Ich griff sie mir und sagte. „Ich trage diese Schuhe nicht freiwillig. Wenn hier eine Witze über meine Schuhe macht, dann bin ich das.“

Komik hat mit Macht zu tun. Wer lacht über wen in welchem Kontext.

Kollege, wenn du Behindertenwitze auf der Bühne haben willst, dann räum deinen Posten und lass eine Person mit Behinderung rauf! Lustig sind wir nämlich selber.

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Schriftstellerin, zuletzt "Hätt' ich ein Kind" bei Ullstein, Kolumnen montags bei Radio Eins.

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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