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Mikrokredite in Kambodscha„Das schafft Armut“

Mikrokredite sollen Menschen unterstützen, die keine Chance auf ein Darlehen haben. In Kambodscha bewirken sie oft nur Verschuldung.

Kambodschanische Banknoten in der Hand einer Mikro-Kreditnehmerin Foto: Godong/UIG/imago

Berlin taz | „In meiner Gemeinde sind Schulden das größte Problem. Sie wachsen und wachsen bis manche ihr Land verkaufen müssen“, sagt Community Organizer Om Somoul in einem Video auf der Webseite von Equitable Cambodia.

Die kambodschanische Nicht­re­gie­rungs­organisation setzt sich für Landrechte und gegen Landraub ein. Seit einigen Jahren kritisiert sie die hohe Überschuldung von Einwohnern durch Mikrokredite. Dabei handelt es sich am Anfang meist um kleine Darlehen von umgerechnet ein paar Hundert bis Tausend Euro an Privatpersonen.

Die hohe Anzahl an ver­schuldeten Kredit­nehmer:innen, die die Rückzahlungen nicht leisten können, führe „in einer nicht akzeptablen Zahl von Fällen zu der Notwendigkeit für die Schuldner:innen, Land verkaufen zu müssen“, bestätigt nun eine aktuelle Studie der Universität Duisburg-Essen mit Förderung durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ).

Neben Land verkaufen die Schuld­ne­r:in­nen auch andere Güter, die sie zum Erwerb benötigen, wie Fahrzeuge. Einige reduzieren ihre Nahrungsmittel, „in seltenen Fällen“ komme es zu Kinderarbeit oder forcierter Arbeitsmigration, so die Studie.

„50.000 Landtitel wurden in 5 Jahren privatisiert“

Somoul beschreibt im Video, wie das passiert: Viele verschulden sich, um ihre Rückzahlungen anderer Kredite zu begleichen. Pandemie, Wirtschaftskrise und Arbeitsverlust haben Probleme verschärft, sagt die Aktivistin aus der Provinz Pailin im Westen Kambodschas. „In den letzten 5 Jahren wurden 50.000 Landtitel privatisiert. Die Situation war schon vor Covid schlimm, aber die Pandemie hat es noch schwieriger gemacht“, sagt der Geschäftsführer von Equitable Cambodia, Eang Vuthy, der taz.

Eigentlich sollten Mikrokredite Armut verringern. Sie sind Teil der deutschen entwicklungspolitischen Strategie. Ziel ist es, Menschen, die sonst keinen Zugang zu Krediten hätten, Mittel zur Verfügung zu stellen, um Investitionen zu ermöglichen, etwa in ihren Landwirtschaftsbetrieb.

Heute sind viele Mikrofinanzinstitute jedoch eng mit ausländischen Banken, Investmentfirmen und westlichen Entwicklungsagenturen verbunden, die erhebliche Gewinne mit ihnen machen, schreibt die Menschenrechtsorganisation FIAN in einer Untersuchung zur Problematik im Februar. Demnach beliefen sich die Gewinne im Jahr 2017 auf 130 Millionen US-Dollar. Und auch im Jahr 2020, als die Covid-19-Pandemie ausbrach, waren es „nach Angaben der Nationalbank von Kambodscha sogar 453 Millionen US-Dollar“. Die Berechnung umfasste 81 Kreditinstitute. Banken, die ebenfalls im Mikrofinanzsektor tätig sind, werden nicht berücksichtigt.

Bundesregierung kennt das Problem

Aus Deutschland kommt das Geld für den Finanzsektor unter anderem von der staatlichen Deutschen Entwicklungs- und Investitionsgesellschaft (DEG) in Höhe von rund 60 Millionen Euro. Es geht an zwei Geschäftsbanken, die Kredite an kleine und mittlere Unternehmen vergeben. Zusätzlich gibt es regionale Mikrofinanzprogramme der KfW Entwicklungsbank. „Die Entwicklungsbanken und Mikrofinanzfonds haben ihre menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten in Kambodscha zweifelsohne missachtet“, sagt Mathias Pfeifer, Referent bei FIAN. „Die Bundesregierung und andere Geber wissen seit mindestens 2017 um die gravierende Überschuldung in Kambodscha. Sie haben aber so gut wie nichts unternommen, um das Problem anzugehen, und pumpen bis heute Millionen von Euro in den Sektor“.

Bereits 2017 hatte das BMZ eine Studie in Auftrag gegeben, die eine ernsthafte Gefährdung für einkommensschwache Kreditnehmer durch Überschuldung und damit einhergehenden Verlust von Landtiteln feststellte. In der Konsequenz deckelte die kambodschanische Nationalbank 2017 die Zinsobergrenze auf 18 Prozent.

Das BMZ habe seit 2018 keine Neuzusagen im Mikrofinanzsektor in Kambodscha mehr vorgenommen und unterstütze keine neuen multilateralen Engagements in diesem Bereich, sagte ein Sprecher gegenüber der taz. Die aktuelle Studie werde als Grundlage für den weiteren Dialog mit dem kambodschanischen Partner dienen. „Im Oktober werden in Phnom Penh Regierungskonsultationen zur bilateralen Entwicklungszusammenarbeit durchgeführt. Die Situation des Mikrofinanzsektors im Land wird dabei auf der Tagesordnung stehen“ und „Reformansätze“ sollen besprochen werden.

Landtitel sollten nicht an Kreditvergabe gekoppelt sein

Die aktuelle Studie empfiehlt unter anderem einen Schuldenerlass für arme Kre­dit­neh­me­r:in­nen und die Entkoppelung von Landtiteln von der Kreditvergabe sowie sorgfältigere Vergabeverfahren.

Die Regierung in Kambodscha wies die Kritik der NGOs in einer Pressemitteilung vom Dienstag zurück. Vuthy überrascht das nicht. „Unsere Regierung ignoriert das Problem. Wir werden nicht zu Gesprächen mit den Kreditinstituten geladen und wurden sogar unter Druck gesetzt, unsere Befunde zu ändern“, empört er sich.

Zu den Privatinvestoren gehören ethische Banken wie Oikocredit, Triodos Bank, Invest in Visions, Vision Microfinance, die Bank im Bistum Essen und die GLS Bank. Viele von ihnen haben Gespräche zur Problematik mit kambodschanischen Mikrofinanzinstituten gesucht und sind laut Sprecher der Banken auch im Austausch untereinander. Sie beteuern die Problematik zu sehen, aber konnten sie in Bezug auf ihre Partner nicht bestätigen.

Somul bringt die Stimmung der überschuldeten Kre­dit­neh­me­r:i­nnen in Kambodscha auf den Punkt: „Die Politik der Banken ist es, die Armut zu verringern, aber wenn wir sie um Hilfe bitten und sie nicht einverstanden sind, verringert das nicht die Armut, sondern schafft Armut.“

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6 Kommentare

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  • Lustig. Als vor vielen Jahren diese "Mikrokredite" als Weg aus der Armut angepriesen wurden, dachte ich so präzise wie selten voraus was passieren würde. Banken enteignen den Ärmsten auch noch ihr kleines Stückchen Land, sobald irgendwas gravierenden passiert. Ich als ökonomischer Totallaie konnte das Konzept durchschauen...

    Entwicklungshilfe und Ausbeutung, offenbar gibt es da eine Grauzone.

  • Mikrokredite werden verbrieft und an der Börse gehandelt - angeblich um Armut zu bekämpfen - hahaha. Wieder mal ein Beispiel dafür, dass es im real existierenden Kapitalismus nur eine Art der Umverteilung gibt: von unten nach oben. Sich bei diesem Geschäftmodell noch als Wohltäter fühlen zu können, dafür gibt es glatt einen Nobelpreis.

    • 6G
      650906 (Profil gelöscht)
      @Bernardo Januar:

      Mikrokredite werden verbrieft und an der Börse gehandelt - Nachweise?

      • @650906 (Profil gelöscht):

        Google: mikrokredit + aktien. Google ist eine sog. Suchmaschine.

  • Mikrokredit, der giftig schöne Schein neuen Weltarbeitsmarktes? Strom der Arbeitsmigranten*nnen lt Medienberichten 2021 sind es inzwischen 280 Millionen ohne gesicherten Statusin Aufnahmeländern nocht Sitz und Stimme in UNO Vollversammlung ihre versetzug in vorherigen Stand zu betreiben.



    Entfaltet das global aufgestellte Mikrokreditwesen, dank seiner vierzig spendablen Milliardäre aus den USA mit dem befeuernden Einsatz der Finanzkraft von nahezu sechshundert Milliarden US-$, den giftig strahlend schönen Schein eines fundamental deregulierten Weltarbeitsmarktes?

    Vermögende in den USA, wie die vierzig Milliardäre, die jetzt angeblich mit 50 % ihres Vermögens stiften gehen, tun dies aus vielerlei klaren wie dunklen Gründen, die von einem einzigen Motiv genährt werden, der Erbschaftssteuer in den USA durch die Einlagen in oder Gründung von Stiftungen zu entgehen.

    Was so vollkommen wie in den USA in Deutschland in Sachen Erbschaftssteuer nicht möglich wäre, auch wenn die Vermögenssteuer aus verfassungsrechtlich vorgeschobenen Gründen der Ungleichbehandlung von eigenschaftslosem Kapital- hier, ganz eigenem Grund und Boden- , Immobilienvermögen da, auf Eis gelegt ist.

    Die Idee, mit dem Instrument der Mikrokredite die Armut in der Welt zu bekämpfen, errang im Jahre 2006 ihre Krönung durch die Verleihung des Friedens- Nobelpreises an den Ökonomen Muhammad Yunus und die von ihm gegründete Grameen Bank aus Bangladesch. Nobelpreis Mikrokreditidee geht davon aus, dass neben Vermögenden, die Sicherheiten vorweisen, Kredite erhalten, unternehmerisch zu agieren, sondern auch Arme, denen es an kapitaler Sicherheiten fehlt, als kreditwürdig gelten.



    Die Anschubfinanzierung der Mikrokredit Institute geschieht global über Stiftungen, NGOs, säkularer, klerikaler Herkunft, die durch Spendengelder vorgeben, Risiken Mikrogeschäftsmodells ausbalancieren zu können?

    www.freitag.de/aut...e-weltarbeitsmarkt

  • Mikrokredite sind in Ordnung, so lange die Kreditgeber keinen Zinsen dafür nehmen und das Geld als Entwicklungshilfe abschreiben. Vor Ort sollte die Kreditvergabe an ein Kollektiv erfolgen welches eine gewisses Eigenkapital aufweist. Der Erhalt des Eigenkapitals ist dann Anreiz genug, das Geld nicht zu verschwenden. Das Prinzip muss grundsätzlich lauten: An den Ärmsten der Armen hat man sich nicht zu bereichern!