Karlsruhe zu Drogentests in Haft: Pinkelaufsicht muss nicht sein

Das Bundesverfassungsgericht gibt der Klage eines Häftlings gegen Urintests auf Drogen statt. Die Begründung: Es gebe Alternativen.

Ein Plastikbecher mit rotem Deckel und Urin

Auch bei der Urinprobe gelten Persönlichkeitsrechte Foto: imago

FREIBURG taz | Gefängnisinsassen können verhindern, dass sie bei der Drogenkontrolle nackt vor einem Aufseher pinkeln müssen. Das entschied jetzt das Bundesverfassungsgericht in einem Fall aus Bochum. Der Bochumer Häftling verbüßte seit 2014 eine Haftstrafe wegen räuberischer Erpressung. Im November und Dezember 2020 musste er binnen eines Monats viermal zur Drogenkontrolle. Zwar gab es keinen konkreten Verdacht gegen den Häftling, doch die Anstaltsleitung begründete die anlasslosen Kontrollen mit der Aufrechterhaltung der Ordnung in der Haftanstalt.

Um zu verhindern, dass der Häftling die Urinproben manipuliert, etwa indem er fremden Urin abgibt, fand die Probe unter Aufsicht statt. Ein Vollzugsbeamter musste dabei freien Blick auf den pinkelnden Penis des Häftlings haben.

Gegen diese gängige Prozedur protestierte der Bochumer Häftling. Er schäme sich, insbesondere weil für die „entwürdigende Maßnahme“ sein regelmäßiger Betreuer eingeteilt wurde.

Doch weder die Anstaltsleitung noch die nordrhein-westfälischen Gerichte nahmen seinen Protest ernst. Die Pinkelaufsicht diene nicht dazu, ihn zu erniedrigen oder zu bestrafen, er werde auch nicht zu einem „Schauobjekt“ herabgewürdigt. Auch Gefangene, die bisher nicht als Drogenkonsumenten aufgefallen sind, müssten kontrolliert werden, weil viele Gefangene erst im Vollzugsalltag mit Drogen in Berührung kommen. Die Urinkontrolle unter Aufsicht sei daher rechtmäßig gewesen.

Schwerer Eingriff in das Persönlichkeitsrecht

Das sah eine mit drei Rich­te­rn besetzte Kammer des Bundesverfassungsgerichts nun aber anders. Die Anstaltsleitung habe die Persönlichkeitsrechte des Häftlings verletzt. Staatliche Maßnahmen, die mit einer Entkleidung verbunden sind, stellten stets einen schweren Eingriff in das Persönlichkeitsrecht dar, so die Richter:innen. Zwar ließen sich im Strafvollzug Eingriffe, die den Intimbereich und das Schamgefühl des Inhaftierten berühren, nicht immer vermeiden. Bei solchen Maßnahmen habe der Gefangene aber „Anspruch auf besondere Rücksichtnahme“, die ihm die Bochumer Anstaltsleitung jedoch verwehrt habe.

Dabei hätte die Anstaltsleitung nicht einmal auf ein Drogenscreening verzichten müssen, so die Richter. Denn seit 2017 sieht das NRW-Strafvollzugsgesetz als Alternative zur Urinkontrolle die Blutabnahme an der Fingerkuppe vor, wenn der Gefangene einverstanden ist. Der Bochumer Häftling hatte dies sogar ausdrücklich angeboten. Indem die Anstaltsleitung diese naheliegende Alternative verweigerte, habe sie die Rechte des Häftlings verletzt.

In anderen Bundesländern, wie in Baden-Württemberg, ist ein körperlicher Eingriff zur Drogenuntersuchung, also auch die Blutabnahme, noch generell verboten. Doch auch hier zeigte das Verfassungsgericht eine Alternative auf: Wenn sich der Häftling vor der Urinkontrolle gründlich durchsuchen lässt, um sicherzustellen, dass er keinen Fremdurin mit sich führt, könne er anschließend auch ohne Beobachtung pinkeln.

Die Richter stellen sogar generell infrage, ob anlasslose Drogenkontrollen im Gefängnis zulässig sein können. Sie lassen dies offen, weil die Verfassungsbeschwerde bereits erfolgreich war. Manche Länder erlauben Drogenkontrollen bei Häftlingen bereits heute nur dann, wenn „der Verdacht besteht, dass sie Suchtmittel besitzen oder konsumieren“.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.