Designausstellung in München: Die Routine und ihr Ding
Designobjekte stehen für ein Lebensgefühl. Mit 21 ausgewählten Objekten zeichnet die Pinakothek der Moderne zwei Jahrzehnte nach.
Jawoll, die letzten drei Jahre hätte man sich anders gewünscht – das bilden diese Gegenstände perfekt ab: ein Sneaker, Legofiguren und ein Luftreiniger. Den Sneaker kann man ohne Hände anziehen, wie einen Schlüpfschuh, der durch einen Klappmechanismus an der Ferse geschmeidig über den Fuß gleitet. Die Legofiguren sind eingefärbt in Regenbogenfarben und mit „Everyone is Awesome“ überschrieben. Und der Luftreiniger SteriWhite Air Q115 wirkt so sperrig wie sein Titel, hilft aber gegen Viren aller Art.
Covid und Co. mit UV-Licht killen, einer verkniffenen Gesellschaft mit zentimetergroßen Plastik-Gedächtnisstützen den Weg zu mehr Toleranz weisen, und dann dieser Schuh namens „Go FlyEase“, der perfekt sitzt, wenn der Bauch im Lockdown zu groß zum Schnürsenkelbinden geworden ist. Man schaut sie sich an, findet Querverbindungen und fragt sich verwundert, ob es wohl diese Dinge sind, die von uns einmal bleiben werden.
20 Jahre Pinakothek der Moderne – 21 Objekte, in der Pinakothek der Moderne, München, bis 15. Januar 2023
21 Designobjekte aus den vergangenen zwei Dekaden hat die Neue Sammlung der Pinakothek der Moderne auf einer Treppe drapiert. Allesamt sollen sie ikonisch für je ein Jahr aus der Geschichte der Sammlung stehen – und damit auch für ein heute schon zur Vergangenheit geronnenes Lebensgefühl.
Segway und Drohnen
Sehr verschiedene Ausstellungsstücke kommen zusammen: der ein oder andere Roboter, Objekte aus dem 3D-Drucker, ein Fairphone (2013), ein Virtual-Reality-Headset (2017), motorisierte Beförderungsmittel wie ein Segway (2018), einige Stühle unterschiedlicher Machart, so futuristische wie anatomische Krücken (2012), eine Drohne mit 360-Grad-Sicht (2016), und mehr als nur ein Gefäß.
Insgesamt zeichnen sie die Momentaufnahme einer um die eigene Gesundheit, Unterhaltung und zuletzt auch ums Überleben besorgten Gesellschaft. Wobei zwei Dekaden, so hätte es zumindest der vor mehr als zehn Jahren verstorbene Theaterregisseur Christoph Schlingensief wohl ausgedrückt, natürlich auch nur ein „Fliegenschiss auf der Windschutzscheibe des Lebens“ bleiben.
Los geht es im Jahr 2002 recht verspielt mit dem Robo-Dog AIBO ERS 210, damals zu haben für einen vierstelligen Betrag, genau wie heute die lebendigen Kollegen vom Hundezüchter. Das Hündchen aus Blech analysiert mittels einer Frühvorstufe von KI seine Umgebung. Mit Mikrofonen, Sensoren und Kamera orientiert es sich im Raum und „reagiert“ auf Stimuli wie Streicheln oder auf bestimmte Reizworte wie „Sitz!“, „Platz!“, „Bleib!“.
Der Bionische Roboter AirArm (2008, diverse) kann sehr präzise Dartpfeile werfen – aber eben auch operieren. Das Jawbone zeichnet dann ab 2011 Schlaf-, Bewegungs- und Essverhalten seines Trägers auf. Und der Social-Roboter AV1 des Snø-Designstudios (2015) unterstützt Familien beim Homeschooling.
Eine Ratte zum Tee
Im Jahr 2003 bringt der „High Tea Pot“ von Wieki Somers eine sozialkritische Komponente ein: Geformt wie ein skelettierter Schweineschädel und mit dem Fell einer Wasserratte überzogen, setzt er dem distinguierten Akt des Fünf-Uhr-Tees die buchstäbliche Schweinerei des Tieretötens in allerbesten Jagdkreisen entgegen.
Eine Amphore (2006, Designer unbekannt) ist – ähnlich widersprüchlich und hintersinnig – aus alten Lkw-Reifen zusammengenagelt. Einige Jahre darauf (2010) schafft das Designstudio Formafantasma dann einige Gefäße, ohne dass dabei Müll entstünde.
Eine dritte Achse – neben Bionik und Gesellschaftskritik – bilden Möbelstücke mit digitalem Twist: Patrick Jouin druckte 2004 den „Solid C2“, einen aus Kunststoffbändern gewobenen Stuhl, einfach in 3D aus. Und der Cinderella Table von Jeroen Verhoeven kombiniert zwei Tischmodelle des 18. Jahrhunderts mittels Software.
Interessant ist eine solche Rückschau auf unsere Routinen, die mittlerweile wieder vergangen sind. Wenn man den Segway aber nicht ausprobieren, den Roboterhund nicht bellen hören und nicht einmal das Jawbone testen darf, bleibt sie leider recht museal. Denn gutes Design ist vor allem ein haptisches Erlebnis. Es gibt Antworten auf Alltagsprobleme, bevor jemand eine Frage gestellt hat. Hier wandert man jedoch mit einem Programmheft in der Hand von Vitrine zu Vitrine – und blättert in der Zukunft von gestern nach.
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