Linkspartei wählt neue Führungsspitze: Alles bleibt anders

Die Linke setzt bei der Vorsitzendenwahl auf Konsens. Die Westlinke Janine Wissler und der Ostreformer Martin Schirdewan sind das neue Führungsduo.

Martin Schirdewan und Janine Wissler (beide Die Linke), stehen nach der Wahl als Parteivorsitzende auf der Bühne beim Bundesparteitag der Linken in der Messe Erfurt.

Werden sie die Partei aus der Existenskrise führen? Foto: Martin Schutt/dpa

ERFURT taz | Optisch setzen die Amtsinhaberin und ihre Herausforderin nur auf dezente Unterschiede. Janine Wissler trägt ein weißes Jackett und ein schwarzes T-Shirt, bei Heidi Reichinnek ist es genau umgekehrt. Reichinnek muss als erste von den beiden ans Redepult. „Ich bin eine leidenschaftliche Linke“, ruft die Landeschefin in Niedersachsen und Bundestagsabgeordnete. Sie habe kein Verständnis für Intrigen, sagt sie und mahnte Selbstkritik an.

Reichinnek, geboren in Sachsen-Anhalt, gilt als Kandidatin der Bundestagsfraktionsvorsitzenden Amira Mohamed Ali und Dietmar Bartsch, sie wird auch von Ex-Fraktionschefin Wagenknecht unterstützt. Aber sie passt nicht so recht in die inneren Ordnungsmuster der Partei. Sie hat in der Flüchtlingsarbeit gearbeitet. Manche, die sie aus der Fraktion kennen, loben ihre rhetorischen Fähigkeiten.

Aber die sind an diesem Samstagnachmittag eher versteckt, ihre Rede ist typisch für Linksparteitage, eine formelhafte Aneinanderreihung von Zielen. Sie findet keine eigene Tonalität. Der Beifall ist übersichtlich.

Wissler ist die Favoritin der Bewegungslinken, einer Parteiströmung, die stark auf die Verankerung der Partei in sozialen Bewegungen setzt. Am Abend vorher hat sie sich noch mit Vertrauten beraten, ob sie überhaupt noch eine Bewerbungsrede halten soll. Schließlich hatte die Parteivorsitzende ja bereit zum Auftakt am Freitag rund 40 Minuten gesprochen – und war dabei von den Delegierten gefeiert worden. Was soll sie jetzt noch sagen? Aber die 41-jährige Hessin entscheidet sich dann doch dafür, noch einmal acht Minuten in eigener Sache zu sprechen, um Reichinnek nicht alleine die Bühne zu überlassen. Dafür erscheinen die Mehrheitsverhältnisse zu unüberschaubar und volatil.

Deutlicher Wahlsieg für Wissler

Ob es um soziale Gerechtigkeit, Frieden oder um das Eintreten für eine solidarische innerparteiliche Kultur geht: Vordergründig ähnelt die Rede Wisslers der von Reichinnek. Aber ihre Akzente sind deutlich andere. „Nein, wir müssen uns nicht entscheiden, die Interessen der Beschäftigen zu vertreten oder für die Rechte von Minderheiten zu kämpfen“, ruft sie aus. „Der Kampf um soziale Rechte und um Menschenrechte gehört zusammen.“

Dass ist eine schroffe Absage an den Politikansatz, den Sahra Wagenknecht und ihr Anhang vertritt. Auch ihr Hinweis, es bräuchte mehr Teams und weniger Ich-AG ist unschwer als Spitze gegen Wagenknecht zu deuten.

Doch es sind nicht nur die inhaltlichen Akzente, die den Unterschied ausmachen, sondern auch die rhetorische Kapazitäten. Wissler trifft den Nerv vieler Delegierter. Die Wahlentscheidung ist eindeutig. Wissler gewinnt mit 319 gegen 199 Stimmen für Reichninnek. Für die frühere sächsische Landtagsabgeordnete Julia Bonk stimmen 14 Delegierte. 35,9 Prozent sind ein Achtungserfolg für Reichninnek, aber eine Niederlage für Bartsch, Mohamed Ali und vor allem für Wagenknecht, die im Vorfeld für die Abwahl von Janine Wissler geworben hatte.

Schirdewan wirkt pragmatisch und bedächtig

Der Parteitag, so das Signal, will Kontinuität, Konsens, Ruhe. Die Zeiten für die Linkspartei sind ja schwer genug. Der Wunsch nach viel Mitte und wenig Stress entscheidet auch die Wahl von Wisslers Co-Chef. Martin Schirdewan ist Chef der Linksfraktion im Europaparlament. Die gilt als schwierig, weil politisch zerklüftet. Schirdewan hat sie störungsfrei gemanagt. Keine schlechte Qualifikation für den schwierigen Job eine Linksparteichefs.

Schirdewan gilt als Ostreformer. Sein Großvater war in den 1950er Jahren ein hoher SED-Funktionär, der später als Renegat in Ungnade fiel. In Erfurt wirbt der 46-Jährige, ganz in schwarz, für sich mit einer für seine Verhältnisse schwungvollen Catch-all-Rede.

Man müsse Politik für Rent­ne­r:in­nen und die Alleineinziehende machen, die Angst hat, die Stromrechnung aufzumachen. Es gelte Gewerkschaften und Klimabewegung zu verbinden, soziale Kämpfe mit denen von Minderheiten. Russland müsse seine Truppen aus der Ukraine abziehen, aber Waffenlieferungen bedeuteten Eskalation. Zudem gelte es, Konsequenzen aus #Metoo zu ziehen, die Partei müsse ein „sicherer Ort für alle sein“. Für alle ist etwas dabei – für die „woke“ Jugendorganisation Solid und Friedenfans, Ge­werk­schaf­te­r:in­nen und FFF-Anhänger:innen.

Schirdewan wirkt pragmatisch und bedächtig – und ist damit erfolgreich. Er bekommt 341 Stimmen – ein deutlicher Sieg. Im Duo mit Janine Wissler wird er eher der sein, der nach innen wirkt. Sein Sieg ist Sören Pellmanns Niederlage.

Herbe Niederlage für Pellmanns

Im vergangenen September hat der 45-jährige Leipziger die Linkspartei gerettet – sein Direktmandat in Leipzig war das überlebenswichtige dritte bei der Bundestagswahl, damit sie wieder als Fraktion in das Parlament einziehen konnte. Doch auch das nutzt ihm an diesem Samstag nicht viel.

Pellmann tritt mit weißem Hemd ans Mikrofon. Ihm gefielen die Lagerzuschreibungen nicht und er wolle alle zusammenführen, sagt er: von Katja Kipping, Bodo Ramelow und Gregor Gysi über Amira Mohamed Ali und Dietmar Bartsch bis Sahra Wagenknecht. Es ist das Angebot einer großen Gemeinsamkeit, die so nicht mehr existiert. „Die Linke war und ist Kümmerer-Partei“, sagt er und bemüht ein altes Image aus PDS-Zeiten. Doch so richtig kommt er damit nicht mehr an, was auch an seinen begrenzen rhetorischen Fähigkeiten liegt. 176 Stimmen sind eine herbe Niederlage für ihn, der von Wagenknecht unterstützt wurde. Auf fünf weitere Kan­di­da­t:in­nen entfielen zusammen 33 Stimmen.

Mit dem Votum für Wissler und Schirdewan, wie der Wiederwahl von Schatzmeister Harald Wolf bestätigen die rund 570 Delegierten den bisherigen zentristischen Kurs der Parteiführung. Ein Großteil von ihnen gibt sich alle Mühe, nicht das Bild eines zerstrittenen Haufens abzugeben. Sie folgen damit den eindringlichen Appellen der wenigen Aushängeschilder, die die Partei noch hat.

Gysi will in Solidarität streiten und kämpfen

Am Freitag hatte Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow der Partei mit deutlichen Worten die Leviten gelesen. „Diese Linke hat nicht das Recht, sich mit sich selber zu beschäftigen und nur den ganzen Tag zu schauen, wie kann man dem anderen unter den Linken ein Bein stellen“, sagte Ramelow. Die Partei müsse vielmehr dem politischen Gegner „in den Arsch treten“. Am Samstagvormittag redet Gregor Gysi seinen Ge­nos­s:in­nen eindringlich ins Gewissen. „Hört auf mit dem ganzen kleinkarierten Mist in unserer Partei“, forderte der 74-jährige Ex-Bundestagsfraktionsvorsitzende. In der Partei herrsche „ein Klima der Denunziation“, das sie überwinden müsse.

„Wir müssen entschlossen, entschieden, leidenschaftlich und in Solidarität miteinander ab heute streiten und kämpfen“, forderte Gysi. „Entweder wir retten unsere Partei oder wir versinken in Bedeutungslosigkeit.“ In Erfurt ist das Bedürfnis, die Partei zu retten, bei der übergroßen Mehrzahl der Anwesenden augenscheinlich groß. Das alleine wird nicht reichen, um sie aus ihrer Existenzkrise zu führen.

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