Aktivist über Atomwaffenverbotsvertrag: „Sehr starke Botschaften“
Leo Hoffmann-Axthelm ist zufrieden: Bei der ersten Staatenkonferenz zu einem Atomwaffenverbot habe die Bundesregierung einen guten Auftritt hingelegt.
taz: Herr Hoffmann-Axthelm, als Mitglied von ICAN haben sie lange für den Atomwaffenverbotsvertrag lobbyiert. Diese Woche fand die erste Konferenz der Vertragsstaaten statt. Verlief sie in Ihren Augen erfolgreich?
Leo Hoffmann-Axthelm: Absolut. Man hat gesehen, was für ein Game Changer ein Vertrag ist, der eindeutig für nukleare Abrüstung eintritt. Er bietet den atomwaffenfreien Staaten eine Plattform, auf der sie deutliche Worte finden können, weil nicht alle Texte von Staaten verwässert wurden, die an Atomwaffen festhalten wollen. Die Abschlusserklärung enthält dadurch sehr starke Botschaften.
Im Vergleich zu dem, was im Rahmen des Nichtverbreitungsvertrags oder in der UN-Generalversammlung passiert, ist das sehr erfrischend. Dazu kommt der Aktionsplan, auf den sich die Staaten geeinigt haben und der 50 sehr konkrete und auch innovative Schritte zur Umsetzung des Vertrages vorsieht.
Leo Hoffmann-Axthelm ist für die Anti-Atomwaffen-Kampagne ICAN in Brüssel tätig. ICAN setzt sich für ein Verbot von Atomwaffen ein und bekam 2017 den Friedensnobelpreis.
Welche davon sind Ihnen am wichtigsten?
Besonders erfreulich ist, dass man sich um Strahlenopfer und Umweltschäden von nuklearen Tests kümmern will. Die betroffenen Communities wurden an allen Ecken und Enden involviert und haben selbst auf der Konferenz gesprochen. Sämtliche Atomwaffenstaaten haben ja über die ganze Welt verteilt Tests durchgeführt. Jetzt kommen langsam die ganzen Geschichten darüber zu Tage, was das mit den Menschen vor Ort gemacht hat. Die Vertragsstaaten wollen einen Fonds einrichten, um ihnen zu helfen.
Die Bundesregierung hat den Vertrag nicht unterzeichnet, aber einen Diplomaten aus dem Auswärtigen Amt als Beobachter zur Konferenz geschickt. In einem Statement hat er bekräftigt, dass Deutschland nicht beitreten wird. Enttäuscht?
Nein. Das war das konstruktivste Statement zum Vertrag, das wir bisher aus der Nato gehört haben. Dass Deutschland den Vertrag nicht unterzeichnet, weil ein Beitritt mit der nuklearen Abschreckung in der Nato nicht kompatibel ist, stimmt erstmal. Dass die Bundesregierung so eine ehrliche Haltung eingenommen und die Gründe offen beschrieben hat, finde ich gut.
Das ist ein klarer Kontrast zur Vergangenheit, bisher hat man immer irgendwelche Scheinargumente gegen den Vertrag gesucht. Darauf hat Deutschland jetzt komplett verzichtet – das hat die Debatte ungemein versachlicht und das war noch nicht der einzige positive Punkt im Statement.
Seit Januar 2021 ist der Atomwaffenverbotsvertrag in Kraft. 65 Staaten haben ihn bisher ratifiziert, darunter allerdings keine Atommacht und kein Nato-Mitglied. Er sieht ein kategorisches Verbot von Atomwaffen vor – anders als der 1970 in Kraft getretene Nichtverbreitungsvertrag, der Ausnahmen für die fünf Atommächte China, Frankreich, Großbritannien, Russland und USA beinhaltet. Sie versprachen im Vertrag zwar, auf eine atomwaffenfreie Welt hinzuarbeiten. Fortschritte gab es dabei zuletzt aber nicht.
Was noch?
Anstatt das Verbot von Atomwaffen zu kritisieren bietet die Bundesregierung an, Schulter an Schulter mit den Vertragsstaaten an konkreten Problemen zu arbeiten: nukleare Aufrüstung, die Stärkung der Rolle von Atomwaffen, Proliferationsrisiken. Sie wollen sich mit den Hilfsplänen für Strahlenopfer und Umweltschäden auseinanderzusetzen. Das ist eine gute Art und Weise, die Ziele des Vertrags voranzubringen, auch ohne selbst beizutreten.
Ob Deutschland beitritt, ist demnach gar nicht so entscheidend?
Deutschland sollte schnellstmöglich beitreten und dies innerhalb der Nato vorbereiten, daran arbeiten wir weiter. Für einen Beitritt braucht es Verhandlungen innerhalb der Nato, um eine Ausnahmeklausel von der nuklearen Abschreckung zu erreichen. In Teilbereichen gibt es derlei Einschränkungen für einzelne Staaten schon. Wenn der politische Wille da ist, wären solche Verhandlungen kein Drama.
Solange die Bedrohung durch Russland akut bleibt, wird dieser politische Wille aber kaum entstehen.
Mit Finnland und Schweden treten demnächst wohl zwei neue Staaten der Nato bei, die für ihre Sicherheitspolitik bisher gänzlich ohne Atomwaffen ausgekommen sind. Und positiv kann man anmerken, dass die Nato auf die russischen Drohungen mit Atomwaffen nicht mit einer verbalen Eskalation und Gegendrohungen reagiert hat, auch wenn die Praxis der nuklearen Abschreckung an sich natürlich ebenfalls eine permanente Drohung darstellt.
Was erhoffen Sie sich in der Frage kurzfristig von der Nato?
Sie sollte darauf verzichten, wegen der russischen Drohungen die Rolle von Atomwaffen in ihrem neuen Strategischen Konzept zu stärken, das nächste Woche in Madrid angenommen werden soll. Sie verspricht schließlich seit Jahren, und hat sich dazu auch innerhalb des Nichtverbreitungsvertrag verpflichtet, die Rolle von Atomwaffen zu reduzieren. Jetzt das Gegenteil zu tun, würde unsere Sicherheit nicht erhöhen und hätte Konsequenzen für Nicht-Atomwaffen-Staaten weltweit: Sie könnten dazu animiert werden, sich ebenfalls Massenvernichtungswaffen zuzulegen.
In der Abschlusserklärung erwähnen die Vertragsstaaten die russischen Drohungen nicht explizit. Das spricht nicht für sie.
Viele Vertragsstaaten haben Russland in ihren Statements explizit verurteilt. Gleichzeitig wäre es für ein UN-Dokument ungewöhnlich, spezifische Staaten zu erwähnen und konkret an den Pranger zu stellen. Am Ende der Verhandlungen gab es eine allgemeine, sehr starke Verurteilung von nuklearen Drohungen, die im Präsens formuliert ist. Da ist klar, worauf sich das bezieht.
Abgesehen davon: Hätte man sich explizit auf Russland konzentriert, hätte das den Anschein erweckt, dass die anderen Atomwaffen in Ordnung sind. Insofern war es schon wichtig, dass man sich nicht auf ein Land beschränkt. Das Atomwaffenverbot gilt weltweit.
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