Science-Fiction-Oper in Hannover: Das Wollen der Androidin

Wo künstliche Menschen geplant werden, geht die Geschichte oft schief. Sachte futuristisch erzählt davon die Oper „Humanoid“ in Hannover.

Im Profil sieht man einen jungen Mann und eine junge Frau, bei knien und lachen

Szene aus „Humanoid“ mit Tobias Hechler als Kind und Petra Radulovic als Alma Foto: Clemens Heidrich

Dieses Stück passt ganz offensichtlich in unsere Zeit. Es ist ja nicht zuletzt eine Film-Trope, der sich der Komponist Leonard Evers und die Librettistin Pamela Dürr bedienen für ihre „Science-Fiction-Oper“, die jetzt in der Inszenierung von Tobias Mertke in Hannover zur deutschen Erstaufführung kam. Da sucht der Roboterkonstrukteur Jonah (Peter O’Reilly) eine künstliche Frau zu erschaffen, aus ganz eigennützigen Motiven.

Denn auch wenn er im schluffigen Kapuzenpullover wirkt wie einer dieser genialischen tech bros bei der letzten Produktpräsentation: Keinem Fortschrittsgedanken an sich ist Jonahs Projekt geschuldet. Der „Humanoid“ namens Alma (Petra Radulović) soll vielmehr einen ganz persönlichen Verlust heilen, den ein nicht näher ausgeleuchteter „Unfall“ bewirkte. Seine geliebte Vivienne hat Jonah dabei verloren – die ihm jetzt noch immer wieder erscheint (gespielt und gesungen von Weronika Rabek).

Dabei kommt etwas Ambivalentes ins Spiel: Bedrängt, verfolgt fühlt der Kreative sich von der verlorenen Freundin; es liegt nahe, dabei an die Männern gerne attestierte Angst vor echter Nähe zu denken. Zumal der Trauernde sich in eine Art Techno-Höhle zurückgezogen hat, einen dunklen Raum mit blau leuchtenden Leiterbahnen in den Wänden, in dem merkwürdige kubische Apparaturen herumstehen (Bühne und Kostüme: Julia Burkhardt). Be­su­che­r*in­nen kündigt dieser Raum mit eigener Stimme an – es ist die einer Frau –, während der silberköpfige Android Juri (Frank Schneiders) umherläuft, immer gleiche Satzfetzen ausstoßend.

„Humanoid“. Weitere Vorstellungen: 14., 15., 17., 18., 21. und 22. 6., Hannover, Ballhof Eins

Um wie viel besser gelungen wirkt dagegen Alma, zunächst „ein weißes Blatt Papier, das von Jonah beschrieben wird“ (Evers im Programmfaltblatt) – und das vielleicht Beste: Ihren Erinnerungsspeicher kann der Konstrukteur allabendlich löschen. Sich einerseits also aller vielleicht belastenden Geschichte entledigen, scheinbar wenigstens. Aber genauso beugt es jedem Heranreifen vor. Wie sehr aus dem Geschöpf ein Subjekt werde, darüber entscheidet immer noch der Konstrukteur!

Almas Sprache emanzipiert sich

Scheinbar wenigstens. Verweisen die Zutaten von „Humanoid“ auf eine gut dokumentierte Ideen- und Bildergeschichte, so gehört dazu seit der güld’nen Roboterfrau Maria in Fritz Langs „Metropolis“ (1927) das Scheitern der allerbesten Pläne. Das galt auch schon bei Mary Shelley-Wollstonecrafts üppig 100 Jahre älterem künstlichen Menschen Frankenstein. Auch bei Evers und Dürr kommt ein nicht kalkulierbarer Faktor ins Spiel: Das Kind (Tobias Hechler), das sich mit Alma anfreundet. Sein Einfluss – oder soll man Hacking dazu sagen? – weckt in der Projektionsfläche den Wunsch, mehr zu werden als bloßes Mittel zu Jonahs Zweck.

Von zunehmend reicher und vielgestaltiger werdender Musik gespiegelt, emanzipiert sich Almas Sprache, wird vom Wiederholen hin zum echten Sagen. Zugleich entwickelt die Androidin Wollen und Handeln – auch drastisches: Die Geschichte eskaliert, als sie Angst haben muss, Jonah könnte ihr eben erst errungenes Innenleben wieder löschen wollen. Da darf man sich an den mörderischen Bordcomputer aus Stanley Kubricks „2001“ erinnert fühlen.

Evers hat immer wieder alte, kanonische Stoffe verarbeitet, Grimm’sche Märchen etwa oder Homers Nicht-Weltraum-Odyssee: Daraus macht der Niederländer, Jahrgang 1985, Opern gerade auch für junge Zu­schaue­r*in­nen. So richtet sich auch „Humanoid“ an Menschen ab 12. Was erklären mag, dass geschulterem Publikum ein wenig Tiefe fehlen könnte bei dieser Erörterung der selbst längst klassischen Fragen: Was macht den Menschen aus, wo verläuft die Grenze zu seiner Simulation? Bin ich am Ende auch nur humanoid? Das ist hier vielleicht mitunter etwas zu wortwörtlich in den Blick genommen.

Ängsten entkommen

Im vorab veröffentlichten kurzen Video-Interview weitet Jonah-Darsteller O’Reilly den thematischen Fokus: „Als ich selbst ein junger Mann war, haben wir immer Sprüche gehört, wie ‚Jungen weinen nicht‘.“ In „Humanoid“ erkennt er denn auch „weniger einen Kommentar, dass es zu viel Technologie in unserem Leben gibt. Ich denke, es hat mehr damit zu tun, wie wir Technik nutzen, um Dingen zu entkommen, vor denen wir vielleicht Angst haben.“

Allemal überzeugend ist Evers’ Komposition: Erneut bedient er sich jenseits des Klassisch-Romantischen, lässt die überschaubare Besetzung mit viel Schlagwerk Jazziges und nach Videospiel Klingendes spielen, aber moderat Neutönendes, Berg-Beeinflusstes, Musik, die sich „an festgelegten Zahlen- und Intervallabfolgen orientiert“. Er bleibt dabei aber erfreulich kohärent und sucht nicht etwa zu klingen wie die unterstellten Playlists des jungen Zielpublikums: kein Techno für diese sachte futuristische Oper.

Am Tag nach der Premiere macht die Nachricht vom Google-Mitarbeiter die Runde, der beurlaubt wurde, nachdem er einem Chatbot „Gedanken und Gefühle wie die eines menschlichen Kindes“ bescheinigt hat. Waren ihm die eigenen, die biologischen Schaltkreise allzu heiß gelaufen, aus Sicht seines Arbeitgebers? Oder hat er einfach zu früh die übernächste Produktinnovation ausgeplaudert?

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