Der Kanzler geht in die Offensive

Im Bundestag liefern sich Scholz und Oppositionsführer Merz einen munteren Schlagabtausch. Der Kanzler kündigt neue Waffenlieferungen an die Ukraine an

2.000 Kilometer östlich vom Bundestag: Eine Anwohnerin in Slowjansk sucht am 1. Juni in ihrem zerstörten Haus nach Wert­gegenständen Foto: Aris Messinis/Afp

Aus Berlin Sabine am Orde

Kalt gelassen hat Olaf Scholz die Rede offensichtlich nicht. 20 Minuten lang hat Unionsfraktionschef Friedrich Merz den Bundeskanzler mit Fragen bestürmt. Warum er nicht endlich sage, dass die Ukraine den Krieg gewinnen müsse, fragt Merz. Welche Waffen er wirklich liefern wolle. Und wie der Kanzler abstimmen werde, wenn es im Europäischen Rat um einen EU-Kandidatenstatus für die Ukraine geht. Für den CDU-Mann ist klar: Der Kanzler wird dem Begriff der Zeitenwende, den dieser in seiner Regierungserklärung zu Beginn des Krieges verwendet hatte, nicht gerecht.

„Sie reden in letzter Zeit etwas mehr als sonst, aber Sie sagen unverändert nichts“, sagt Merz. Damit greift er Vorwürfe auf, die derzeit häufig gegen Scholz erhoben werden: Dass dieser mit Blick auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine zu zögerlich sei – und seine Politik zu wenig erkläre.

Im Bundestag ist Haushaltswoche, an diesem Vormittag steht der Etat des Kanzleramts auf der Tagesordnung und damit eine Generaldebatte zur Regierungspolitik. Seit die Union stärkste Oppositionsfraktion ist und Merz ihr Chef, darf er diese Debatte eröffnen. Während der CDU-Mann spricht und Vorwurf auf Vorwurf und Frage auf Frage türmt, schaut Scholz meist stoisch geradeaus, manchmal auch kurz auf sein Handy.

Dann steht Scholz am Redepult. Gewöhnlich liest er seine Reden vom Blatt ab, oft ist es ermüdend, ihm zuzuhören. Doch jetzt lässt der Kanzler sein Manuskript liegen. „Sie sind hier durch die Sache durchgetänzelt und haben nichts Konkretes gesagt“, greift Scholz Merz an. Er wirft diesem vor, nur Fragen zu stellen und sich selbst nicht zu positionieren. „Damit werden Sie nicht durchkommen.“ Auch erinnert der Kanzler daran, dass es die Union war, die zuletzt im Kanzleramt und auch im Verteidigungsministerium das Sagen hatte. Die schlechte Zeit der Bundeswehr habe ja mit CSU-Mann Karl-Theodor zu Guttenberg begonnen, ein „presseaffiner, viel kommunizierender, sich selten in seinem Amt aufhaltender Verteidigungsminister“. Ob er Guttenberg damit als das genaue Gegenteil seiner selbst beschreiben will? Das lässt Scholz offen. Nur so viel: „Manchmal ist Sacharbeit wirklich eine nützliche Sache.“ Es geht munter zu im Bundestag.

Später, da ist Scholz längst wieder bei seinem Redetext angekommen und hat ein paar zähe Passagen hinter sich gebracht, sagt er: „Wenige Tage nach Kriegsausbruch haben wir Flugabwehrraketen und Panzerabwehrwaffen geliefert.“ Und listet dann unter anderem auf: mehr als 15 Millionen Schuss Munition, 100.000 Handgranaten, über 5.000 Panzerabwehrminen, umfangreiches Sprengmaterial, Maschinengewehre. „Und schwere Waffen?“, ruft einer dazwischen. Auch das hatte Merz der Bundesregierung vorgeworfen: Dass diese – anders als vom Bundestag beschlossen – bislang noch keine schweren Waffen in die Ukraine geliefert habe. Zugesagt waren bislang 7 Panzerhaubitzen und 50 Panzer vom Typ Gepard.

Scholz verspricht „konzertierte Aktion“ gegen steigende Preise

Auch da geht Scholz in die Offensive. Er erinnert nicht nur an den Ringtausch, sondern betont, dass die Verträge zwischen der Ukraine und der Industrie für die Gepards inzwischen unterzeichnet seien. Und dann hat er noch Neuigkeiten dabei: Die Ukraine soll das Luftverteidigungssystem Iris-T erhalten. Dies sei, so Scholz, das modernste Flugabwehrsystem, über das Deutschland verfüge. „Damit versetzen wir die Ukrai­ne in die Lage, eine ganze Großstadt vor russischen Luftangriffen zu schützen.“ Zudem werde Deutschland „ein hochmodernes Ortungsradar liefern“, das zur Aufklärung feindlicher Artilleriestellungen genutzt werden könne. Das klingt auch ein bisschen nach Befreiungsschlag.

Und Scholz hat noch einen anderen Vorschlag mitgebracht. „Ich möchte die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, ihre Gewerkschaften und die Arbeitgeber zu einer konzertierten Aktion zusammenrufen“, kündigt der Kanzler mit Blick auf die dramatisch steigenden Preise in Deutschland an. Der Begriff „konzertierte Aktion“ geht auf den ehemaligen SPD-Wirtschaftsminister Karl Schiller zurück, der angesichts der Wirtschaftskrise 1967 zu einer solchen geladen hatte, damit Staat, Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften gemeinsame Lösungen finden.

Scharfe Kritik an der Bundesregierung formuliert Amira Mohamed Ali, die Vorsitzende der Linksfraktion. Der Bundeshaushalt für das Jahr 2022 sei „nicht sozial“ und „zutiefst ungerecht“. „Diese Bundesregierung gibt keine Antworten auf die sozialen Krisen unserer Zeit.“ Studierende und Rent­ne­r:in­nen würden bei der Energiepauschale in Höhe von 300 Euro leer ausgehen. Sie fordert sofortige Maßnahmen zur Abfederung der massiven Preissteigerungen sowie eine Vermögensteuer und betont, dass ihre Fraktion das Sondervermögen für die Bundeswehr ablehne.