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Beziehungen aller Art

Martin Eberles Fotobuch „Hi Schatz!“ beleuchtet Aufbruch und Abbruch einer bestimmten kulturellen Szene in Berlin um 2000. Auch die Galerie Laura Mars zeigt Eberles Blick auf Berlin

Martin Eberle: „Ich glaub, …„ Rosenthaler Straße /Alte Schönhauser Straße, Dezember 1998 Foto: Martin Eberle

Von Martin Conrads

Eine rostige Metalltür ist zu sehen, der dahinterliegende Eingang scheint in ein bunkerähnliches Fabrikgebäude zu führen, lange nicht mehr genutzt, eine Station ohne Funktion. Irgendjemand hat „Club“ auf die Tür gesprayt, aber die Tür ist klinkenlos und offen, und es ist zu bezweifeln, dass hier jemals wieder jemand hineingeht oder herauskommt, bevor die Bauzäune kommen und alles niedergerissen wird.

Der Berliner Fotograf und Stadtforscher Martin Eberle hat diese Aufnahme auf der letzten Bildseite seines Buches „Hi Schatz!“ platziert, das knapp 200 von ihm zwischen 1997 und 2006 im Berliner öffentlichen Raum aufgenommene Fotos enthält. Es ist das einzige Bild im Buch, das nicht im Index verzeichnet ist. Keine Jahres- und keine Ortsangabe, wie zu allen anderen Aufnahmen, und es wird klar, dass mit diesem Bild die Berliner Nachwendezeit im Buch symbolisch an ihr Ende gekommen ist. Die Arbeiter hatten die Fabrik verlassen, nun auch die Tänzer den Club.

Denn am anderen Ende – zu Beginn des Buches – zeigt sich das ganz andere Berlin der Zeit um die Jahrtausendwende: In einer nächtlichen Aufnahme, schräg von unten angeschnitten, sind die scharfen Konturen von drei Häusern am Potsdamer Platz zu sehen – das damalige „debis-Haus“, der „Kollhoff-Tower“ und der „Bahn-Tower“, aufgenommen im Jahr 2000; auf der Fassade des „Bahn-Tower“ verkündet eine Leuchtschrift: „See you tomorrow“.

Es sind diese beiden Bildbehauptungen, der rostigen und der glatten Stadtoberfläche des vor allem innerstädtischen Berlins dieser Jahre, die Eberles Aufnahmen in „Hi Schatz!“ rahmen. Aufnahmen, die eher Abbruch (das ehemalige Paketpostamt, dann „Maria am Ostbahnhof“) als Aufbruch (die ehemalige Bauruine an der Landsberger Allee) zeigen, Bilder von Improvisiertem (Osman Kalins Hütte am Bethaniendamm) und Exponiertem (eine seinerzeit prägnante Baulücke in der Rosenthaler Straße), aber auch Bilder von Intimem (Außenansicht der pseudolegendären Gaststätte „Die neue Mitte“ in der Kurfürstenstraße) und noch Intimerem (Außenansicht Swingerclub „Villa Mondän“ in Biesdorf).

Eberle ist seit gut 20 Jahren u. a. für Fotobände wie „galerie berlintokyo“ bekannt, in dem er das von ihm fotografisch festgehaltene Nachtleben im gleichnamigen 90er-Jahre-Mitte-Club zeigte, oder für den Band „Temporary Spaces“, für das er Berliner Clubräumlichkeiten jener Zeit mit klinischem Blick, ohne Publikum, aufnahm. Zeigte ersteres Menschen in gut gelaunter Interaktion und zweiteres die räumlichen Bedingungen für solche Interaktionen, dokumentiert „Hi Schatz!“ Szenen bildlicher oder zumeist schriftlicher, flüchtiger Kommunikation (gesprayte Botschaften, bearbeitete Werbeplakate, Verpackungsreste, rätselhafte Flyer), die in jener Zeit den öffentlichen Raum für entsprechend Blickgeübte dominierten. Um eine bestimmte Art der Gestaltung von Umwelt habe es sich bei diesen Texten gehandelt, so Eberle, in der Beziehungen aller Art vorherrschendes Motiv waren – eine Art der Kommunikation im, über und mit dem Stadtraum, die sich in einer mittlerweile weitestgehend normierten Stadt nur noch in Nischen wiederfände.

Die Arbeiter hatten die Fabrik verlassen, nun auch die Tänzer den Club

„Hi Schatz!“ versteht sich dabei nicht als objektive Untersuchung, sondern zeichnet den subjektiven Blick Eberles nach, den dieser auch als Teil einer bestimmten kulturellen Szene um 2000 auf die Dinge warf: Zu sehen sind – immer ohne Menschen – auch die Galerie Montparnasse, das Atelier des Bildhauers Karsten Konrad oder die Bar Finks. Zwischen den Bildern finden sich im Buch immer wieder kleine Textpassagen – Sätze, die der ehemalige „Sniper Bar“-Betreiber Heinrich Dubel bei Gesprächen im öffentlichen Raum aufschnappte und um 2000 in einer Mailingliste versandte.

Der nun erschienenen zweiten Auflage von „Hi Schatz!“ (die erste von 2019 war innerhalb eines Abends vergriffen) liegt eine Flexidisk bei, auf der Dubel den titelgebenden Text (einen gefundenen, im Buch abgedruckten anonymen Liebesbrief von 1997, der mit den Worten „Hi Schatz!“ beginnt) vorliest, während – ebenso exklusiv in der neuen Ausgabe – auf 16 Seiten erstmalig alle Songtexte der mittlerweile aufgelösten Band Jeans Team abgedruckt sind, die ebenfalls zu Eberles Umfeld gehörte.

Und so wundert es nicht, dass ausgerechnet DJ San Reimo vom Jeans Team Teil des Rahmenprogramms einer am Freitag eröffnenden „Hi Schatz!“-Ausstellung in der Galerie Laura Mars ist. Metergroß bis nahezu winzig formatiert sind bei Laura Mars etwa brennende Gebäude (Philharmonie!) oder gecrashte Fahrzeuge als Subgenres von Eberles Sammlung dann jeweils noch besser oder schlechter erkennbar.

Martin Eberle: „Hi Schatz!“. Fantôme Verlag, 2021 (zweite Auflage). Martin Eberle: „Hi Schatz!“ – Die Show zum Buch, 11.–18. Juni, Galerie Laura Mars, Bülowstraße 52, 10783 Berlin. Mi.–Fr. 13-19 Uhr, Sa. 13–18 Uhr. Eröffnung Freitag, 10. Juni um 19 Uhr.

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