Moritz Martin spürt per App den längst verschwundenen Clubs der Neunzigerjahre nach
: „Nirgends ließ sich schmutziger feiern“

Berliner Clubs und ihre unbeschreibliche Anziehung: Berghain, Kater Blau oder Sisyphos sind für feierwütige Ber­li­ne­r:in­nen und Tou­ris­t:in­nen geradezu mystische Orte. Dennoch drängt sich manchmal das Gefühl auf, die Partys der Neunzigerjahre waren weitaus spannender als heutige Clubnächte. An diese magische Zeit in einem noch chaotischeren Berlin scheint wenig heranzukommen. War es wirklich so? Oder glorifiziert hier die ältere Feiergeneration ihre Jugend?

In der Zeit zurückreisen können die jüngeren Lieb­ha­be­r:in­nen elektronischer Musik nicht. Doch jetzt lässt sich Berliner Clubgeschichte mit dem Club-History-Tool in der Berlin-History-App nachvollziehen. Entwickelt vom Digitalen Museum gemeinsam mit der Clubcommission weist die App den Weg zum Planet oder dem WMF – beides mal Wirkungsstätten von DJs wie Dr. Motte oder Marusha.

Per interaktiver Karte zeigt sie mehr als 80 Berliner Spielstätten, die in den vergangenen sechs Jahrzehnte schließen mussten. Etwa das ehemalige Ostgut, das von 1998 bis 2003 in der Mühlenstraße zu Hause war. Heute ist dort die Mercedes-Benz Arena, ein Zalando-Büro und viel Systemgastronomie. Bilder in der App zeigen das verlassene Fabrikgelände und den rostigen Clubeingang von damals. In den englischsprachigen Texten zu den Locations kommen Zeitzeugen zu Wort: „Nowhere you can party dirtier than here“, sagt etwa ein Besucher des Ostgut. So lässt sich Gentrifizierung und Stadtwandel kurz ausblenden und den Freiräumen von damals nachspüren.

Nur ein paar Meter weiter in der Holzmarktstraße war von 2004 bis 2010 die BAR 25. Laut den Verantwortlichen war dieses Projekt immer mehr Spielwiese denn Club: eine sehr bunte, glitzernde Welt. Vor ein paar Jahren haben die Verantwortlichen am Ufer der Spree noch Clubbühnen aus Holz gebaut. Heute findet sich hier nur noch eine Baulücke.

Die Clubcommission will mit Club History die Zeiten von damals nicht glorifizieren. Sie weist auf die verschwundenen Orte hin und auf aktuelle Probleme wie das Clubsterben. Außerdem arbeitet die Berliner Clubcommission gesellschaftliche Verdrängungsprozesse von Randgruppen wie beispielsweise der queeren Szene geschichtlich auf. So vermittelt die App, dass Clubkultur immer auch politisch ist.

Neidisch auf die Partys vergangener Tage muss die jetzige Feiergeneration nicht sein – aber sie sollte um ihre Orte kämpfen. Denn noch haben das Ostgut und die BAR25 mit dem Berghain und der Kater Blau Orte gefunden, um ihre Projekte fortzuführen. Clubs wie das WMF oder die Rummels Bucht sind dagegen ganz von der Bildfläche verschwunden.