Denkmalschützer schlägt Alarm: Weltkulturerbe verrottet

Goslar lässt seine wertvolle Altstadt verfallen. Diesen Vorwurf erhebt ein Bericht der Denkmalorganisation World Heritage Watch. Die Stadt wehrt sich.

Außengastronomie vor Fachwerkhäusern

Nicht immer in so gutem Zustand wie hier: alte Fachwerkhäuser in Goslar Foto: Martin Wagner/Imago

GÖTTINGEN taz | Die hübsche Altstadt der 50.000-Einwohner-Kommune Goslar am Nordrand des Harzes gehört seit 1992 zum Weltkulturerbe der Unesco. Mehr als 1.500 Fachwerkbauten auf fast 120 Hektar umfasst der Stadtkern, die ältesten davon stammen aus dem 15. Jahrhundert. Der Wohlstand vieler Bürger war damals dem Bergbau im Harz zu verdanken, der im Mittelalter seine erste Blütezeit erlebte.

Im elften Jahrhundert war Goslar Sitz von Kaisern des Heiligen Römischen Reichs. In diesem Jahr feiert Goslar seit 1.100stes Bestehen – und ausgerechnet jetzt fällt ein Schatten auf die Stadt und ihr schmuckes Fachwerk.

In einem in dieser Woche veröffentlichten Bericht kritisiert World Heritage Watch den Umgang von Politik und Verwaltung mit der Altstadt. Sie sei über Jahrzehnte vernachlässigt und „größtenteils sich selbst überlassen“ worden, sagt der Berliner Architekt Henning Frase, der den Report im Auftrag der Denkmalschutzorganisation verfasst hat.

Es gibt davon eine Kurz- und eine Langfassung: Die Kurzfassung des „Berichts über ein institutionelles Versagen“ umfasst 32 Seiten und ist mit „1100 Jahre Goslar: Ein Welterbe zerfällt“ überschrieben. Die 116 Seiten starke Originalstudie benennt ­Goslar als ehemalige kaiserliche freie Reichs- und Hansestadt und schmückt sie mit den Attributen „geliebt, missachtet und verfallen“.

Kaum investiert

Bis auf das kürzlich wiedereröffnete Alte Rathaus, dessen Bau bereits im 15. Jahrhundert begann und einige wenige weitere Gebäude hätten die Verantwortlichen kaum in den Erhalt des historischen Stadtkerns investiert, lautet die Kritik. In dem Gebiet seien geschätzt etwa 180 Gebäude in einem baulich schlechten Zustand. Hinzu kämen rund 200 bis 300 Gebäude mit einem größeren Sanierungsstau. In der sogenannten Unterstadt gebe es sogar bei mehr als 80 Prozent der alten Häuser Sanierungsbedarf.

Henning Frase, World Heritage Watch

„In vielen Fällen kann nur noch Schlimmeres verhindert werden“

Die Eigentümer würden die Fördermittel dafür nicht abrufen, bemängelt Frase. Rettungsprogramme für historisch wertvolle Gebäude oder die Vermittlung von Gebäuden an geeignete Kaufinteressenten gebe es ebenfalls nicht. Wo noch Sanierungen möglich seien, führe dies im Nachgang zu immens hohen Folgekosten, um den Sanierungsstau aufzuarbeiten: „In vielen Fällen kann nur noch Schlimmeres verhindert, aber der ursprüngliche Zustand in Gänze nicht mehr gerettet werden.“

Besonders auffallend sei der schlechte Zustand von Kleindenkmälern, deren Erhaltung unterblieb und zum teilweisen Abriss führte, schreibt der Architekt weiter. „Das seit zirka 1840 vor dem Rathaus liegende strahlenförmige Granitpflaster fehlt in Teilen vor dem Gebäude seit zwölf Jahren.“ Für die Feier zum 1.100-jährigen Bestehen der Stadt seien keine Anstrengungen unternommen worden, es wieder herzustellen.

Etliche Wege und Hauseingänge seien zudem nicht einheitlich und zum Stadtbild passend gestaltet. Auch Grünflächen und alte Baumbestände würden nicht ausreichend geschützt und gepflegt. Durch das jahrelange Unterlassen notwendiger Reparaturen gebe es bereits teilweise irreparable Verluste von historischer Bausubstanz, konstatiert Frase.

Die World Heritage Watch fordert in dem Bericht „unverzüglich einen umfassenden und durchfinanzierten Sanierungsplan für die Altstadt“, der den hohen Anforderungen an eine Welterbestätte gerecht werde. Die Finanzierung und personelle Ausstattung der zuständigen Stellen müsse gesichert, die Sanierung der Altstadt „Chefsache“ werden. Zu prüfen sei insbesondere, ob die Ausstattung an finanziellen Mitteln, Fachkompetenz und Anzahl der Mitarbeiter der zuständigen Abteilungen ausreichend sei.

Die Stadt Goslar verwahrt sich gegen die Kritik. Die Verwaltung habe erst nach Veröffentlichung des Reports von den Vorwürfen erfahren, schrieb Stadtsprecherin Vanessa Nöhr der taz. „Die Motivation für diesen in Teilen unsachlichen Bericht erschließt sich uns nicht.“ Dass es Gebäude mit Sanierungsbedarf gebe, lasse sich zwar nicht bestreiten. Allerdings würden in dem Bericht private und öffentliche Gebäude vermischt und Maßnahmen angemahnt, die bereits abgeschlossen, in Arbeit oder öffentlich angekündigt seien.

Dass Goslar in den vergangenen Jahren mithilfe von Fördermitteln etliche Sanierungsmaßnahmen vorgenommen habe, bleibe unerwähnt. Der Verfasser des Berichts sei hier „leider nicht auf dem aktuellen Stand“ und nenne entsprechend falsche Fakten. „Wir werden den Bericht Herrn Frases jetzt erst einmal ausführlich prüfen, um im Detail auf die Vorwürfe eingehen zu können“, kündigte Nöhr an.

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