SPD weggepustet

Die SPD erlebt eine herbe Niederlage bei der Wahl in Schleswig-Holstein. Ihr Spitzenkandidat Thomas Losse-Müller verwechselte Regierungserfahrung mit Verankerung im Land – und war Amtsinhaber Günther zu ähnlich, um ihm gefährlich zu werden

Mann mit Weitblick, aber weit weg von den Menschen: SPD-Spitzenkandidat Thomas Losse-Müller Foto: Marcus Brandt/dpa

Aus Kiel und Berlin Jan Kahlcke
und Anna Lehmann

Ralf Stegners Mundwinkel hingen am Sonntagabend noch ein bisschen tiefer als sonst. „Das ist ein Debakel für die SPD Schleswig-Holstein. Das erste Mal seit 40 Jahren unter dem Bundestrend“, erklärte der frühere SPD-Landeschef. Mit nur noch rund 16 Prozent hat sich der Absturz seit der vorherigen Wahl dramatisch beschleunigt, als die SPD mit 27 Prozent wenigstens noch in Schlagdistanz zur CDU lag. Nun lagen sie laut Hochrechnungen sogar deutlich hinter den Grünen, mit denen sie eigentlich regieren wollten.

Dass der SPD für weitere fünf Jahre nur die Oppositionsbank bleibt, hat auch mit dem Mann zu tun, der angetreten war, um Daniel Günther als Ministerpräsident abzulösen: Thomas Losse-Müller, langjähriger Grüner und erst vor anderthalb Jahren zur SPD übergelaufen. Dabei schien alles auf eine andere Kandidatin zuzulaufen: Serpil Midyatlı hatte sich über Jahre zur Spitzengenossin aufgebaut. 2019 wurde sie Landeschefin, vor einem Jahr beerbte sie ihren Mentor Stegner als Fraktionsvorsitzende. Doch dann verzichtete sie überraschend auf die Spitzenkandidatur und hob stattdessen Losse-Müller auf den Schild.

Der gab sich am Abend zerknirscht, räumte ein, dass die SPD mit ihren Themen nicht durchdrang, Ministerpräsident Günther seine öffentliche Sympathie voll ausgespielt habe. Dies sei von Anfang an eine „große Herausforderung“ gewesen.

In Berlin versuchte SPD-Chefin Saskia Esken Zuversicht zu verbreiten. Ja, das Ergebnis sei bitter. Aber ihre Partei lasse sich 2022 durch solche Rückschläge nicht mehr verunsichern. Bei der Wahl nächste Woche in NRW sehe es anders aus: Sie sei sicher, dass dort SPD-Kandidat Thomas Kutschaty der nächste Ministerpräsident werde. Die Chancen stehen tatsächlich nicht so schlecht.

In Schleswig-Holstein war es von Beginn anders: Ohne Amt und Mandat sollte der 1973 geborene Losse-Müller mit wohltemperiertem Auftreten den extrem beliebten Ministerpräsidenten mit exakt denselben Attributen herausfordern, mit dessen Amtsführung sogar 70 Prozent der SPD-Wäh­le­r:in­nen zufrieden waren? Es sei die „Kombination aus Inhalt und Person“, die Losse-Müller zum idealen Kandidaten gemacht habe, behauptete Midyatlı im taz Salon. Der Kandidat selbst tönte: „Klimawandel, Demografie, Digitalisierung – das sind Themen, für die ich im Land bekannt bin.“ In Bezug auf den Politikbetrieb mag der frühere Staatskanzleichef damit richtig liegen. Doch im Land hat sich das nicht herumgesprochen. Auch kurz vor der Wahl rang er noch darum, auf der Straße erkannt zu werden. Zuletzt wünschten ihn sich gerade mal elf Prozent der Befragten als Ministerpräsident.

Der Klimawandel ist zwar auch nach Umfragen das Topthema im Land – aber vor Ort wird der Ausbau von Windkraft- und Solaranlagen häufig abgelehnt. Und das von Losse-Müller ebenfalls ausgerufene Großthema „sozialer Zusammenhalt“ mit dem SPD-Wahlkampfschlager kostenfreie Kita hätte die langjährige Sozialpolitikerin Midyatlı glaubwürdiger ausbuchstabieren können.

Fast trotzig bekräftigte sie am Sonntag dennoch, Losse-Müller sei „der absolut richtige Kandidat“ gewesen. „Es ist schwierig, mit landespolitischen Themen einen Wandel anzustoßen, wenn Corona und Krieg alles überlagern“, glaubt Stegner. Dass die Nord-SPD hinterm Bundestrend zurückblieb, habe nicht an Losse-Müller gelegen: „Wir hatten bestimmt nicht den falschen Kandidaten.“ Losse-Müller solle nun die Gelegenheit erhalten, dem Ministerpräsidenten im Landtag Paroli zu bieten. „Er kann das.“