Coronapandemie in Nordkorea: Raketen statt Vakzine

Offiziell haben sich bereits 1,7 Millionen Nord­koreaner mit Corona infiziert. Die Staatsführung will von internationaler Hilfe dennoch nichts wissen.

Auf einem Bildschirm sieht man Kim Jong Un mit einer Mundschutzmaske

Schlechte Nachrichten: Nordkoreas Staatschef Kim Jong Un am 12. Mai im Staatsfernsehen Foto: Anthony Wallace/afp

PEKING taz | Kim Jong Un hat dieser Tage einen wahrlich vollen Terminkalender. Erst zu Beginn der Woche tourte Nordkoreas Machthaber, gekleidet in schwarzer Lederjacke und mit zwei OP-Masken im Gesicht, zu nächtlicher Stunde durch die Apotheken der Hauptstadt, um die medizinischen Vorräte zu inspizieren.

Am nächsten Morgen trommelte der 38-Jährige schließlich das Politbüro für ein Krisentreffen zusammen. Darin sprach der Diktator in seiner gewohnt blumigen Sprache, er werde „die gesamte Partei wie einen aktiven Vulkan erwecken“.

Nur wenige Tage, nachdem erstmals Corona-Infektionen im Land zugegeben wurden, sind die offiziellen Zahlen rasant in die Höhe geschossen: Allein am Mittwoch sprachen die Behörden von weiteren 230.000 Fällen, insgesamt sollen sich bereits 1,7 Millionen Nordkoreaner angesteckt haben. Davon sind über 60 an dem Virus gestorben, knapp 700.000 Menschen befinden sich noch in Quarantäne. Aus Mangel an PCR-Tests sind sämtliche Angaben allerdings eher als Richtwert zu betrachten.

Die Weltgesundheitsorganisation zeigt sich dennoch besorgt, ist jedoch in ihrem Handlungsspielraum stark eingeschränkt: Nordkorea hat bislang auf keines der vielfachen Hilfsangebote reagiert. Seit letztem Jahr bereits versucht die Covax-Initiative, Vakzine ins Land zu entsenden. Damals hieß es von nordkoreanischer Seite, andere Länder würden die Impfstoffe dringender benötigen.

Hilfe vom „Hund der US-Imperialisten?“ Eher nicht.

Dass das Land nun täglich in seinen Propagandamedien über die Corona-Situation berichtet, wird von vielen Experten als taktisch gewertet. Dem Regime gehe es darum, internationale Hilfslieferungen abzugreifen. Dabei stehen viele Länder bereits Schlange, um mit medizinischem Gerät und Impfstoffen auszuhelfen – darunter auch Südkorea, das seit Kurzem vom konservativen Hardliner Yoon Seok-yeol regiert wird. „Ich habe wiederholt gesagt, dass ich immer offen für humanitäre Hilfe bin, ganz ungeachtet der militärischen Probleme, die zwischen Nord- und Südkorea liegen“, sagte Yoon vor der Nationalversammlung in Seoul.

Doch Kim ist bislang auch darauf nicht eingegangen. Laut Südkoreas Vereinigungsministerium habe man über den einzig betriebsfähigen Gesprächskanal ein Fax gen Norden geschickt, allerdings keine Antwort erhalten. Das hat auch mit dem propagandistischen Gründungsmythos der Kim-Dynastie zu tun: Die Diktatorenfamilie behauptet von sich, ihre Bevölkerung vor einer feindlich gesinnten Welt zu schützen. Sich von Südkorea aushelfen zu lassen, dem „Hund der US-Imperialisten“, würde da nicht recht ins Bild passen.

„Die Hilfen, die Nordkorea am Ende akzeptiert, sind möglicherweise nicht unbedingt die Impfstoffe“, analysiert Go Myong-hyun von der Asan-Denkfabrik in Seoul. Laut dem Experten geht es dem Regime in Pjöngjang an allererster Stelle um Kontrolle und Selbsterhalt. mRNA-Vakzine könnten diese indirekt untermauern, da man einerseits ausländische NGO-Arbeiter ins Land lassen müsste und andererseits auch externe Abhängigkeiten erzeugen würde. Und logistisch könnte Nordkorea die Tiefkühlkette auch gar nicht gewährleisten.

Trotz allem hoben am Montag drei nordkoreanische Cargo-Flieger ab, um in der nordostchinesischen Stadt Shenyang Fracht aufzuladen. Ob darunter Impfstoffe waren, ist bislang nicht bekannt. Noch am selben Tag flogen die Maschinen wieder retour, wie die südkoreanische Kyunghyang Sinmun meldete.

Paracetamol in Nordkorea, Einsperren in China

Peking selbst hat starkes Interesse, seinem Nachbarn zu helfen – allein schon aus Selbstschutz: Beide Länder teilen eine 1.400 Kilometer lange, poröse Grenze. Auch wenn die Volksrepublik China in den letzten Jahren flächendeckend Zäune errichtet hat, besteht weiterhin die Gefahr, dass nordkoreanische Flüchtlinge das Virus über die Grenze schleppen könnten.

Überhaupt scheint Staatschef Xi Jinping derzeit weitaus angespannter als sein Amtskollege Kim Jong Un. In China ließen die Zensoren gar Berichte über die Covid-Situation in Nordkorea löschen. Der Grund ist an Ironie nicht zu überbieten: Online-Nutzer haben Chinas rigide „Null Covid“-Maßnahmen in Frage gestellt, nachdem sie das scheinbar pragmatische und verhältnismäßige Vorgehen in Pjöngjang gesehen haben.

„Ich habe meiner Tochter alle fünf Stunden Paracetamol, allgemeine Fiebermedizin und Antibiotika gegeben“, sagt eine Mutter in den Nachrichten des Staatsfernsehens: „Ihr Fieber ist bereits nach drei Tagen verschwunden.“ Was trivial klingt, dürfte viele Chinesen, die wegen Covid teils monatelang in ihren Wohnungen eingesperrt sind, ihre eigene Regierung in Frage stellen lassen.

Dabei sind die nordkoreanischen Berichte vor allem auch Schönfärberei. Wer sich mit NGO-Mitarbeitern unterhält, die vormals in Nordkorea gearbeitet haben, bekommt horrende Anekdoten zu hören: In ländlichen Gebieten haben die Spitäler oftmals weder Antibiotika noch Zugang zu sauberem Trinkwasser. Und selbst in der relativ wohlhabenden Hauptstadt Pjöngjang kommt es alle paar Tage zu stundenlangen Stromausfällen. Nicht zuletzt trifft das Virus auf eine ungeimpfte Bevölkerung, die zu großen Teilen durch Tuberkulose und Mangelernährung geschwächt ist.

Doch an diesen elementaren Problemen wird sich mittelfristig wenig ändern. Denn weiterhin steckt das Regime seine spärlichen Ressourcen vor allem in sein Militär. Derzeit deuten Satellitenbilder darauf hin, dass Kim Jong Un unmittelbar den Test einer Interkontinentalrakete plant – möglicherweise gar eine Atomrakete. Am Wochenende wäre dafür aus Sicht Pjöngjangs der perfekte Zeitpunkt: Dann wird nämlich US-Präsident Joe Biden auf Staatsbesuch in Seoul erwartet.

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