Investitionen in Berliner Kliniken: Diagnose akute Unterversorgung

350 Millionen Euro seien nötig, sagen Kritiker: Im Haushalt sind aber nur 150 Millionen für Investitionen in die Krankenhäuser vorgesehen.

Eine Assistenzärztin betreut auf einer Berliner der Intensivstation einen Covid-19-Patienten

Kliniken ein Krankenhausfall? Blick in Berliner Intensivstation Foto: Christoph Soeder/dpa/picture alliance

BERLIN taz | Es muss schon etwas gewaltig schieflaufen, damit Ar­beit­ge­be­r:in­nen und Ar­beit­neh­me­r:in­nen gemeinsam demonstrieren. Genau das passiert am Montag. Unter dem Motto „Klinikoffensive jetzt!“ zieht ein breites Bündnis für höhere Investitionen in die Krankenhäuser um 10 Uhr vor das Abgeordnetenhaus. Mit dabei: die Berliner Krankenhausgesellschaft – der Lobbyverband der Berliner Krankenhausträger, Ver­tre­te­r:in­nen zahlreicher Krankenkassen sowie gewerkschaftliche Gruppierungen wie der Marburger Bund und der arbeitnehmernahe Landespflegerat.

Schon im März hatte das Bündnis in einem offenen Brief an das Abgeordnetenhaus kritisiert, es sei „schlichtweg nicht mehr zu erklären“, dass im derzeitigen Haushaltsentwurf nur rund 150 Millionen Euro für Investitionen in die Krankenhäuser vorgesehen sind. Die Krankenhausgesellschaft rechnet mit einem jährlichen Investitionsbedarf von 350 Millionen Euro – demnach würde der Senat nicht einmal die Hälfte der benötigten Gelder bereitstellen.

Selbst die zur Bestandserhaltung nötige Summe von 256 Millionen Euro würde nicht erreicht. „Wir verbrauchen schlicht die Substanz“, sagte Marc Schreiner, Geschäftsführer der Krankenhausgesellschaft, zur taz.

Dabei rühmen sich SPD, Grüne und Linke seit zwei Legislaturperioden damit, sich für höhere Investitionen in die Krankenhäuser einsetzen zu wollen. Im rot-grün-roten Koalitionsvertrag von 2021 wird ein „Zukunftsprogramm Krankenhäuser“ versprochen, die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) hatte das Thema während der letzten Koalitionsverhandlungen gar als „Flaggschiff“ der neuen Koalition bezeichnet. Laut der Krankenhausgesellschaft sei die Investitionssumme aber – im völligen Gegensatz zu diesen großen Worten – tatsächlich um etwas mehr als ein Drittel eingebrochen. Noch 2021 seien 235 Millionen Euro bereitgestellt worden.

Andere Zahlen

Mit völlig anderen Zahlen rechnet dagegen Alexis Demos, Sprecher der Senatsfinanzverwaltung. Auf taz-Nachfrage schreibt er, tatsächlich seien die Investitionen von 136 Millionen (2021) auf 147,8 Millionen (2022) Euro erhöht worden – wenn auch äußerst moderat.

Der Knackpunkt: In Demos’ Rechnung fehlt ein fast 96 Millionen Euro umfassendes Programm, mit dem sich der Senat verpflichtete, Zins- und Tilgungsraten von durch die Krankenhäuser neu aufgenommenen Krediten abzusichern. Das Programm sei nicht genutzt worden, so Demos, weshalb es eingestellt worden sei. Auch Schreiner nennt das Angebot „unattraktiv“, beklagt aber, dass den Krankenhäusern durch den Wegfall eine „zusätzliche Finanzierungsmöglichkeit vorenthalten“ würde.

Tatsächlich haben die Krankenhäuser einen Rechtsanspruch auf Investitionsgelder. So sieht es die duale Krankenhausfinanzierung vor, eine der zentralen Säulen des deutschen durchökonomisierten Gesundheitssystems. Demnach sollen die Krankenkassen über ein Preissystem die Personal- und Behandlungskosten finanzieren, während die Bundesländer für Investitionen wie etwa technische Geräte oder Renovierungen zuständig sind.

Das Problem: Weil Berlin (wie viele weitere Bundesländer) dieser Verantwortung seit Jahren nicht nachkommt, sei inzwischen eine Investitionslücke von 2,1 Milliarden Euro aufgelaufen, sagt Schreiner. Jedes Jahr zweckentfremden die Krankenhäuser deshalb Kassengelder, eigentlich gedacht für Personal und Patient:innen, um die nötigsten Investitionen doch noch zu tätigen.

Die Sache mit den Eigenmitteln

Das ist kein Geheimnis: Der kommunale Klinikkonzern Vivantes etwa gibt alljährlich an, wie viele Investitionsgelder aus sogenannten „Eigenmitteln“ stammen: 2020 waren es 116,8 Millionen Euro.

Diese Eigenmittel sparen die Krankenhäuser zum Beispiel ein, indem sie Arbeitsbereiche auf formal unabhänge Tochtergesellschaften auslagern, wodurch Tariflöhne umgangen werden können. Unter anderem, um gegen diese Praxis vorzugehen, stellten die Beschäftigten der kommunalen Krankenhäuser im vergangenen Jahr den wohl bisher längsten Krankenhausstreik in Berlin auf die Beine – und waren erfolgreich. In den Vivantes-Tochterunternehmen sollen die Löhne nun zumindest näherungsweise an den Tarifvertrag angeglichen werden, obwohl Vivantes unterm Strich immer noch Geld einspart.

Nicht auf der Demo vertreten sein wird übrigens die Gewerkschaft Verdi. Man teile die Forderung nach Schließung der Investitionslücke, sagte Gewerkschafterin Gisela Neunhöffer der taz. Das Finanzierungssystem sei grundsätzlich reformbedürftig. Zu denken gibt der Gewerkschaft etwa die öffentliche Finanzierung von privatwirtschaftlichen Kliniken. Kürzlich hatte etwa der Klinikkonzern Fresenius angekündigt, 20 Prozent seiner Tochter Helios verkaufen zu wollen. Weil Helios aber vorher durch das Land Berlin finanziert wurde, würde so „aus öffentlichen Geldern privates Vermögen aufgebaut“, sagt Neunhöffer. Ein öffentliches Gesundheitswesen gehöre in öffentliche Hand.

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