Arbeitsbedingungen für Hebammen: „Es muss immer zack, zack gehen“

Die Berliner Hebamme Denise Klein-Allermann kennt den Arbeitsalltag in kleinen und großen Kliniken. Sie wünscht sich mehr Zeit für die Frauen.

Bett für eine Gebärende in einer Geburtsklinik

In großen Kliniken betreuen Hebammen meist mehrere Geburten gleichzeitig Foto: Bertram Solcher/laif

taz: Frau Klein-Allermann, arbeiten Sie gern als Hebamme?

Denise Klein-Allermann: Ja, sehr gern.

Es heißt oft, dass Hebammen in ihrer Ausbildung geschockt sind von den Arbeitsbedingungen in Kreißsälen.

Da treffen Ideale und Wirklichkeit aufeinander. Und das kann schon schockieren.

Was ist so schockierend?

In der Ausbildung lernt man: Eins-zu-eins-Betreuung ist wichtig, und Frauen sollen gestärkt werden in ihrer indivi­duellen Art und Weise, ihr Kind zu bekommen. Aber dafür müssten die Rahmenbedingungen in den Kliniken stimmen – und das tun sie überhaupt nicht.

Was meinen Sie damit?

Ich gebe mal ein Beispiel: Wenn das Kind kurz nach der Geburt das erste Mal die Lippen und die Zunge bewegt und schmatzt, möchte ich gern bei der Frau sein, um mit ihr das Kind anzulegen. Gerade bei einer Frau, die verunsichert ist und nicht richtig weiß, wie das Kind an die Brust kommen soll.

Dafür haben Sie keine Zeit?

Nein, ich muss sofort zur nächsten Frau. Im Idealfall bin ich nach 20 Minuten wieder da. Dabei ist es total wichtig, dass das Kind innerhalb der ersten Stunde nach der Geburt an die Brust kommt, weil da das Saugbedürfnis am stärksten ist. Aber es muss halt alles zack, zack gehen. Unter der Geburt gibt es auch Latenzphasen, in denen die Frau vielleicht sogar noch mal einschläft. Diese Ruhephasen sind ganz normal. Aber in der Klinik heißt es: Wir brauchen den Kreißsaal, die Nächsten warten schon, und dann geben wir ein Medikament, damit die Wehen wieder einsetzen.

38, angestellte Hebamme seit 2016, war 2021 Mitglied der Tarifkommission im Rahmen der Berliner Krankenhausbewegung.

In Kliniken betreuen Hebammen zum Teil mehrere Geburten gleichzeitig. Wie funktioniert das überhaupt?

Wir sind in der Regel drei Hebammen pro Dienst für sechs Geburtsräume und mehrere Aufnahmezimmer. Die Hebammen koordinieren dann, wer welche Frau übernimmt. Wenn ich beispielsweise eine Zweitgebärende habe, deren Muttermund sich bereits auf acht Zentimeter geöffnet hat, dann sollte ich bei ihr bleiben. Wichtig ist, dass eine Hebamme nicht zwei Frauen gleichzeitig in der letzten Geburtsphase hat.

Und das klappt?

Nein, selten, weil wir grundsätzlich einfach zu wenig Hebammen sind. Wären wir mehr, müssten wir uns weniger koordinieren und könnten auch wirklich bei einer Frau bleiben.

Wie unterscheidet sich die Arbeit in der großen Klinik von der in der kleineren?

Die ersten vier Jahre nach meiner Ausbildung habe ich in einer kleineren Klinik mit etwa 900 Geburten im Jahr gearbeitet. Wir haben dort weniger invasiv eingegriffen, weil wir mehr Zeit hatten, aber auch, weil wir mehr normal verlaufende Geburten hatten. Jetzt arbeite ich in einem Zentrum mit Maximalversorgung. Da haben wir erstens weniger Zeit, ich muss schnell erkennen, was eine Frau braucht, und zweitens mehr Risikoklientel. Für mich gehört die Arbeit in einer großen Klinik auch zum Erfahrungsspektrum einer Hebamme. Ich finde es wichtig, auch pathologische Geburtsverläufe zu betreuen. Langfristig sehe mich aber eher in einem kleineren Haus.

Warum?

Große Kliniken mit Maximalversorgung betreuen auch Risikogeburten. Zugleich aber ist der Personalschlüssel meist schlechter als in kleineren Häusern. Das bedeutet: weniger Zeit für risikoreichere Geburten. Das macht das Arbeiten in einem großen Zentrum herausfordernder. Ich würde es auch eher Geburtsmedizin nennen. Auch die Ärztinnen und Ärzte in solchen großen Zentren sehen vieles nur noch durch die pathologische Brille.

Einmal im Jahr wird an Gewalt in der Geburtshilfe erinnert. Was ist damit gemeint?

Das ist nicht fest definiert, und Empfindungen von Frauen, die Gewalt unter der Geburt erfahren haben, können ganz unterschiedlich sein. Manche Frauen beispielsweise empfinden es zu recht als Gewalt, wenn unter der Geburt etwas getan wurde, ohne dass sie dabei einbezogen wurden, etwa das Öffnen der Fruchtblase oder das Anhängen eines Medikaments. Ich ermutige Frauen immer, sich vor der Geburt Gedanken darüber zu machen und diese klar zu kommunizieren.

Welche Bedingungen würden gute Geburten befördern?

Im Rahmen der Berliner Krankenhausbewegung haben letztes Jahr auch die Hebammen gestreikt. Wir konnten einen sehr guten verbindlichen Personalschlüssel erkämpfen, der für große Häuser fast die doppelte Schichtbesetzung bedeutet. Damit können wir Frauen kontinuierlicher betreuen, uns mehr auf ihre Bedürfnisse einlassen. Das macht für mich eine gute und sichere Geburtshilfe aus.

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Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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