Verhältnis von Aktivismus und Politik: Kennen, duzen, kritisieren

Plötzlich sitzen in der Regierung die alten Mit­strei­te­r*in­nen der Umweltbewegung. Hilft das NGOs, Gehör für ihre Anliegen zu finden?

Blick in den Plenarsaal des Deutschen Bundestages

Direkter Draht zur Bundesregierung? Nicht wirklich und kritisiert wird, wenn nötig, weiterhin Foto: Kay Nietfeld/dpa

BERLIN taz | Hat Greenpeace jetzt einen direkten Draht in die Bundesregierung? Nein, sagt Martin Kaiser, Geschäftsführer von Greenpeace Deutschland, „auch wenn es interessant ist zu sehen, dass Leute, die du gut kennst, vor der Bundesfahne stehen und plötzlich das Land repräsentieren“. Aber mit seiner ehemaligen Chefin Jennifer Morgan „hatte ich seit ihrem Amtsantritt noch keinen Kontakt“, sagt Kaiser. „Für alle Seiten ist klar, dass sie einen Rollenwechsel vollzogen hat und nicht mehr NGO-Vertreterin ist.“ Eine solche klare Trennung gehe immer schnell bei ihnen, wenn jemand bei der Umweltschutzorganisation kündigt, um woanders zu arbeiten.

Vor allem mit der Regierungsbeteiligung der Grünen sind Menschen in Staatsämter gekommen, die ihre Wurzeln in der Umweltbewegung haben. Man kennt sich, man duzt sich, man hat die privaten Handynummern und ist teilweise befreundet. Aber einen direkten Zugang in die Regierung sehen die meisten Umweltverbände deshalb noch lange nicht – oder sagen es zumindest nicht offen.

„Natürlich sind unsere Themen anschlussfähiger und die andere Seite weiß, worüber wir reden, wenn um Klimaschutz, Naturschut oder Nachhaltigkeit geht“, sagt Martin Kaiser. Er gesteht auch zu, dass der Ausbau der Erneuerbaren dem entspricht, was Greenpeace fordert. Aber schon beim Energiesparen und beim Naturschutz etwa bei Offshore-Windkraft gibt es Kritik. Und die Regierung sollte viel schneller aus russischem Öl und Gas aussteigen als geplant, fordern die Umweltschützer. Wenig getan habe sich auch beim Zugang zum Kanzleramt, „das ja in vielen Dingen entscheidend ist“, sagt Kaiser. „Da hat sich gegenüber Merkel bisher nicht viel verändert.“

Auch Sascha Müller-Kraenner weist die Idee zurück, dass in der Regierung nun „lauter NGO-Leute“ seien. „Im Gegenteil: Jennifer Morgan ist die große Ausnahme“, sagt der Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Vor allem in den von den Grünen geführten Minsterien für Wirtschaft, Umwelt, Landwirtschaft und Außenpolitik seien die vielen neuen Stellen mit Leuten aus der Partei oder aus den bisherigen Ministerien vergeben worden, sagt Müller-Kraenner. „Ich bedauere, dass die Grünen für ihre Ministerien nicht mehr auf den Sachverstand der Zivilgesellschaft zurückgreifen.“ Zwar habe die grüne Parteizentrale im Herbst Listen erstellt, welche Personen auch aus Umweltgruppen für Posten in Frage kämen – aber kaum jemand sei dann zum Zuge gekommen.

Beißhemmung gegenüber den Grünen?

„Teilweise sind unsere Zugänge in die Minsterien besser geworden“, gesteht der DUH-Manager zu. Bei Landwirtschaft und Verkehr etwa habe es vorher praktisch kaum Kontakte gegeben, „da wird jetzt eher eine normale Gesprächsebene hergestellt“. Mit dem Umweltministerium seien die Kontakte gut, mit Wirtschaft gemischt: Ernsthafte Gespräche etwa beim Ausbau der Erneuerbaren, wenig Rückhall bei Gebäudeeffizienz oder umstrittenen Gas-Terminals. „Es gibt eher den Eindruck, das muss alles schnell entschieden werden und Verbände seien da hinderlich.“

Auch Kai Niebert, Präsident des Dachverbands Deutscher Naturschutzring, hat die Erfahrung gemacht, dass die Zugänge der Umweltverbände sich seit dem Regierungswechsel verbessert haben. Während Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) kein einziges Gespräch mit Umweltverbänden führte, habe es mit Nachfolger Volker Wissing (FDP) bereits ein Treffen gegeben, das mit über drei Stunden zudem deutlich länger dauerte als geplant.

„Und mit dem Wirtschaftsministerium hatte ich jetzt schon mehr Kontakte als während der gesamten Kohlekomission“, berichtet Niebert. Allerdings schränkt er ein: „Dass mehr kommuniziert wird, bedeutet nicht in allen Fällen, dass wir auch mehr Einfluss haben.“ Oft stelle die Regierung auch nur ihr Pläne vor und ziehe diese dann durch, ohne dabei auf Einwände einzugehen.

Zweischneidig fällt auch die Bilanz der Klimaktivistin Lusia Neubauer aus. „Die Regierung ist einerseits offener für unsere Forderungen, verbreitet aber andererseits auch regelmäßig den Eindruck beleidigt zu sein, wenn man sie kritisiert“, sagt die bekannteste Vertreterin der deutschen Fridays-for-Future-Bewegung. Gerade bei den Grünen frage sie sich, ob diese die veränderte Rollenverteilung verstanden haben, sagt Neubauer. „Vielleicht sehen sie sich selbst weiterhin als Teil der Bewegung und erwarten, dass wir ihnen auf den Rücken klopfen, weil sie doch alles tun, was in ihren Augen möglich ist.“ Das sei aber nicht die Aufgabe der Klimabewegung. Diese müsse darauf drängen, „dass möglich gemacht wird, was nötig ist“, sagt die FFF-Aktivistin – und fordert: „Bei bestimmten Fragen können keine Kompromisse gemacht werden.“

Auch die Umweltverbände wollen von einer Beißhemmung gegenüber den Grünen nicht wissen: „Wir benennen klar, wer in der Regierung wofür verantwortlich ist“, sagt Müller-Kraenner, etwa die FDP für die Verhinderung des Tempolimits. Aber insgesamt trügen auch die Grünen die Ampel-Entscheidungen eben mit. Er vermisst eine „Zeitenwende“ durch den Ukraine-Krieg auch in diesen Fragen. Wenn gegen den Koalitionsvertrag Waffen geliefert werden, dürfe auch ein Tempolimit nicht mehr sakrosankt sein. „Solche Ideen könnten sicher Leute besser in die Regierung einbringen, die nicht 20 Jahre lang Pateikarriere gemacht haben.“

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