Schönste Autobahnstrecke Deutschlands: Straße des Führers

Ein Künstler­paar aus dem Schwäbi­schen hat in der Geschichte der Autobahn vor seiner Haustür gegraben. Sie fanden eine erschreckende Kontinuität.

Ein Stau auf der Autobahn am Albaufstieg in den 50er Jahren

Damals schon: Stau auf der Autobahn Stuttgart-München, Juli 1958 Foto: Willi Antonowitz/dpa/picture alliance

Autobahnen sind viel mehr als Straßen. Sie sind ein Freiheitsversprechen: Schau, da kannst du hinfahren! Die großen, fett gedruckten Linien im heiligen Autoatlas zeigten die Routen an, sie wucherten über die Seiten von unten nach oben, von links nach rechts. Es ging in die Berge, es ging ans Meer, es ging nach München oder auch nur die Schwäbische Alb hoch, eingeklemmt auf dem Rücksitz eines Opel Rekord, der nur sehr langsam die Steigung nahm und darum immer rechts zwischen die Lkws zu rutschen drohte. Und draußen? Zog die Landschaft vorbei mit ihren Kirchtürmen, Tälern, Burgen. Schwäbischer geht’s nicht.

Diese Eindrücke gehören zu einer Stuttgarter Kindheit, bei der ja vieles um das Auto kreist, vielleicht mehr noch als anderswo. Sie haben sich ins topografische Gedächtnis eingegraben, ins Gefühl dafür, was eine Gegend ausmacht: Autobahn A8, Albaufstieg, Drackensteiner Hang. Seit ein paar Jahren gibt es hier sogar ein Schild, es ist dieser braune Typ von Autobahnschildern, der Touristenattraktionen anzeigt (die aber oft, wenn das Schild kommt, nicht zu sehen sind): „Schönste Autobahnstrecke Deutschlands“, steht da. Wer denkt sich so was aus?

Das Schild zeigt ein Pärchen in einem Cabrio, das auf ebenjener Autobahn durch die schwäbische Landschaft fährt, an der das Schild steht. Genau genommen sind es sogar zwei Schilder. Eines steht da, wo die Autobahn die Alb hoch führt, eins da, wo es – auf einer anderen Route – die Alb runtergeht, die Autobahn teilt sich hier für ein paar Kilometer. Auf dem einen Schild ist der Mann am Steuer, auf dem anderen die Frau, und beide Male ist die Autobahn merkwürdig leer: so leer, wie sie in Wirklichkeit nie ist. Denn die zwei Spuren in jeder Richtung – ohne Randstreifen, weil es so eng ist – sind viel zu wenig für den Verkehr.

Über die Hinweisschilder an der heimischen Autobahn war auch das Künstlerduo Stef Stagel und Steffen Schlichter gestolpert, die in Kirchheim unter Teck wohnen, direkt an der A8, kurz bevor sie die Alb hoch geht. „Uns hat verwundert, wie man das so einfach hinschreiben kann“, sagt Stef Stagel: „ ‚Schönste Autobahnstrecke Deutschlands‘. Und dann auch noch dieser Retro­look. Muss das sein?“

Die Künstler Stef Stagel und Steffen Schlichter studierten an der Kunsthochschule Stuttgart. Sie leben in Kirchheim unter Teck.

Die Ausstellung Bis zum 1. Mai sind im Glastrakt des Württembergischen Kunstvereins am Stuttgarter Schlossplatz Fotocollagen, Videos und Objekte ihrer Autobahnrecherche zu sehen.

Das Buch Der Autowanderführer „Edle Strecken und Kunstbauwerke“ ist in der Edition Randgruppe, Stuttgart, erschienen.

Die Führungen Am 23. und 30. April jeweils um 14 Uhr bieten die ­Künstler geführte Autowanderungen an. Anmeldung unter bozzetti@wkv-stuttgart.de. (wie)

Die beiden begannen in der Geschichte der Autobahn vor ihrer Haustür zu graben. Die Schilder waren 2018 aufgestellt worden, und zur Einweihung hatte der baden-württembergische Verkehrsminister von den Grünen, Winfried Hermann, gesprochen. Unter anderem sagte er: „Diese Autobahn ist, historisch betrachtet, ein Kunstwerk, ein aufwendig und schön gemachtes Bauwerk.“

Das kann man so sehen, aber in welcher Tradition steht so eine Aussage? Stef Stagel und Steffen Schlichter fühlten sich an die Diskurse aus der Frühzeit der Autobahn erinnert, in denen deren Schönheit und die Verschmelzung mit der Landschaft gepriesen wurden. Für Hitler waren Autobahnen ein Renommierstück, hier konnte er die arbeitslosen „Volksgenossen“ in die „Arbeitsschlacht“ schicken, damit sie etwas Großes, Gewaltiges bauten, dessen Bedeutung für das Deutsche Reich sich erst in der Zukunft erschließen sollte.

„Straßen machen Freude“ heißt ein Propagandafilm von 1939, worin gezeigt wird, wie die neuen Straßen die Natur, in die sie hineingebaut sind, regelrecht in Szene setzen. Man solle, heißt es da, die Autobahnen „nicht nur befahren, sondern auch genießen“. „Autowandern“ ist das Wort, das in diesem Zusammenhang erfunden wurde, und es ließ sich ja auch gut fahren auf diesen Straßen, die unglaubliche zwei Fahrbahnen in jeder Richtung hatten. In dem Propagandastreifen „Bahn frei“ von 1933 gibt es diesen Dialog: „Schau, das ist eine Reichsautobahn! Jede Fahrbahn hat zwei Fahrstreifen, auf dem äußeren wird gefahren, auf dem inneren überholt“, sagt er. Daraufhin sie: „Na großartig, da kann ja beim besten Willen keiner dem anderen mehr in die Quere kommen.“

Um ihre Aufarbeitung des Komplexes zu dokumentieren, haben Stagel und Schlichter in kleiner Auflage einen „Autowanderführer“ herausgebracht, Titel: „Edle Strecken und Kunstbauwerke“. Vorne drauf ist das historische Foto einer Reichsautobahn zu sehen, die gut einen Abschnitt der jetzigen A8 zeigen könnte, und im Inneren sind die Stationen einer Wanderung beschrieben, die gleichzeitig eine Wanderung durch die Geschichte ist.

Die erste Station liegt nahe: Die Autobahnmeisterei Kirchheim unter Teck, vormals Straßenmeisterei der Reichsautobahn, wurde von der Bevölkerung vor Ort „Organisation Todt“ genannt – nach Fritz Todt, dem strammen Gefolgsmann Adolf Hitlers und Generalinspekteur für das Straßenwesen des Deutschen Reichs. In Propagandafilmen tritt Todt markig vor eine überdimensionale Deutschlandkarte, auf der die Linien der Reichsautobahn entstehen, von Osten nach Westen, von Norden nach Süden. „Die Bauarbeiten bringen Arbeit größten Ausmaßes auf lange Sicht“, verkündet Todt. Deutschland bekomme nun „endlich Straßen, die der technischen Entwicklung des Kraftwagens entsprechen“.

In Wirklichkeit lagen die Pläne für die Autobahnen seit Jahren in der Schublade, als die Nazis sie hervorholten. Und wegen des Kriegs stockte der Ausbau 1942 bei der Marke von 4.000 Kilometern. Menschen und Material wurden jetzt für die Rüstungsproduktion gebraucht.

Ganz am Ende des Albaufstiegs, bevor die Autobahn die Hochfläche der Schwäbischen Alb erreicht, führt sie durch den Lämmerbuckeltunnel. Heute deutet im Tunnel nichts mehr auf die Rüstungsfabrik hin, die hier unter anderem von Daimler-Benz betrieben wurde. „Die Lage ist ideal dafür, da diese Fabrik aus der Luft nahezu unsichtbar und bombensicher ist“, zitiert das schwäbische Weltunternehmen auf seiner Homepage zur Konzerngeschichte.

Dieses Zitat ist ebenso wie die anderen Informationen zur Rüstungsproduktion im Tunnel mittlerweile von der Daimler-Homepage verschwunden. Stagel und Schlichter haben im Kreisarchiv Göppingen Bauanträge ausge­graben, worin Daimler im Tunnel „Schlaf- und Waschräume“ für „ausländische Arbeiter“ und in den darüber­liegenden oberirdischen Baracken Räume für „24 Russen“ sowie „24 Russenfrauen“ vorsieht, die in Doppel­stockbetten schlafen sollten.

„Schönste Autobahnstrecke Deutschlands“, steht auf dem Schild. Wer denkt sich so was aus?

Daimler leugnet nicht, Zwangsarbeiter beschäftigt zu haben. „1944 ist fast jeder zweite der 63.610 Daimler-Benz-Mitarbeiter ein ziviler Zwangsarbeiter, Kriegsgefangener oder KZ-Häftling“, schreibt der Konzern. Doch fährt man heute auf stillen Nebenstraßen durch blühende Wiesen auf den Lämmerbuckel, steht dort ein Hochsicherheitstrakt der Firma namens Haus Lämmerbuckel, ein Schulungszentrum von Daimler. Es steht genau an der Stelle, wo die Baracken der Zwangsarbeiter standen.

„Eine unglaubliche Kontinuität“, nennt das Stefan Schlichter, und es ist ja wirklich so, dass die in der Nazizeit begonnene Geschichte sich immer weiter fortgeschrieben hat. Die Autobahnen wurden weitergebaut, die Zahl der Autos – in den 1930er Jahren noch eine Schwachstelle, weil das Projekt eines für jedermann erschwinglichen „Kraft-durch-Freude-Wagens“ nur sehr schleppend Fahrt aufnahm – explodierten; auch weil VW mit seinem Volkswagen dort weitermachte, wo die Nazis angefangen hatten.

Inzwischen hat die Verkehrsdichte auch auf der „schönsten Autobahnstrecke Deutschlands“ derart zugenommen, dass die Fah­re­r*in­nen oft nur noch im Stau stehen. Und weil sich die alte Strecke nicht verbreitern lässt, haben längst die Bauarbeiten für eine neue Autobahn begonnen – dreispurig in jeder Richtung und mit neuen Brücken und neuen Tunneln.

Die alte Strecke könnte damit bereits in wenigen Jahren stillgelegt werden. Abgerissen werden wird sie wohl nicht, denn das Bauwerk Albaufstieg/Drackensteiner Hang steht unter Denkmalschutz, was nicht zuletzt an der vorletzten und vielleicht berühmtesten Station von Stagls und Schlichters Autowanderführer liegt: der Drachenlochbrücke, erbaut vom Stuttgarter Architekten Paul Bonatz.

Im Vordergrund das Dorf Drackenstein, im Hintergrund die Drachlenlochbrücke

Drackensteiner Hang, Drachenlochbrücke der A8 Foto: Horst Rudel/imago

Die hohe, filigrane Bogenkon­struk­tion ist aus Beton, ihre Oberfläche wurde von Bonatz aber so bearbeitet, dass sie aussah, als wäre sie aus Naturstein. Am Ende des Kriegs wurde die Brücke teilweise gesprengt, um den Vormarsch der Alliierten aufzuhalten. Die bemoosten Trümmer liegen immer noch unten im Tal. 1949/50 wurde die Drachenlochbrücke wiederaufgebaut – diesmal allerdings ohne die Fake-Steinfassade.

Paul Bonatz hatte sich gegen Ende des Kriegs in die Türkei abgesetzt, kam aber später wieder zurück. Im ­Zentrum der Landeshauptstadt steht noch sein wohl berühmtestes Bauwerk, der Stuttgarter Hauptbahnhof. Auf ­dessen Turm rotierte immer der Mercedes-Stern. Wegen der Bauarbeiten am Bahnhof ist der Stern derzeit verschwunden, er soll aber 2025 wiederkommen.

Auch Hitler ließ sich übrigens im Mercedes fahren. Für die Marke war das von Vorteil.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.