Jour­na­lis­t*in­nen aus dem Beruf gedrängt: Afghanische Medien in Trümmern

Der lebhafte Journalismus droht nach der Machtübernahme der Taliban auszusterben. Reporter ohne Grenzen bekommt fast täglich Hilferufe.

Frau mit Kopftuch im Fernsehstudio vor Bildschirmen

Banafsha Binesh arbeitet als eine von wenigen Frauen unter den Taliban weiter als Journalistin Foto: Hussein Malla/ap

Natürlich waren sie nie weg gewesen aus Afghanistan. Dennoch: Die Wucht und Schnelligkeit, mit der die Taliban das Land überrannten und am 15. August 2021 die Hauptstadt Kabul einnahmen, hat überrascht. Und veränderte die Situation für Jour­na­lis­t*in­nen dramatisch: Sie wurden zu Zielen, mehr als je zuvor.

In den Wirren Mitte August hatte das Auswärtige Amt damit begonnen, gefährdete Personen auf eine Liste schutzbedürftiger Personen setzen zu lassen. Insgesamt 147 hoch gefährdete afghanische Medienschaffende und ihre Familien haben konkrete Aufnahmezusagen durch die Bundesregierung bekommen.

Reporter ohne Grenzen (RSF) hatte diese Fälle an das Auswärtige Amt übermittelt. Doch mit dem Abzug der internationalen Streitkräfte Ende August wurde diese Liste bereits wieder geschlossen – die Bedrohung für Journalistinnen und Reporter hörte damit aber nicht auf.

Im Gegenteil: RSF hat viele Übergriffe auf Medienschaffende dokumentiert. Inzwischen sind fast alle der 147 von RSF unterstützten Jour­na­lis­t*in­nen in Deutschland angekommen – samt Familien, etwa 500 Personen. Sie werden hier weiter von RSF beraten.

Der 3. Mai wurde 1993 von der UN-Vollversammlung zum Welttag der Pressefreiheit erklärt. Die taz panter stiftung hat aus diesem Anlass gemeinsam mit Reporter ohne Grenzen eine Beilage für die taz erstellt. Wir blicken auf die Lage der Presse in Russland und Kuba, in Frankreich und Myanmar, in Afghanistan, im Irak und in der Türkei. Aber wir schauen auch auf den Journalismus in Deutschland in Zeiten von Crowdfunding und Fake News. Und wir fragen Günter Wallraff, warum er sich für den Wikileaks-Gründer Julian Assange einsetzt.

Alle Texte erscheinen online unter taz.de/pressefreiheit

Unerträgliche Situation

Längst ist die akute Lebensgefahr für Jour­na­lis­t*in­nen in Afghanistan aus hiesigen Schlagzeilen verschwunden. Für die Betroffenen bleibt die Situation jedoch unerträglich. Noch immer leben viele von ihnen trotz konkreter Bedrohung in der Schwebe und sie hoffen auf Schutz.

RSF erhält weiterhin fast täglich Hilferufe. Seit dem Fall von Kabul sind etwa 15.000 Anfragen eingegangen. Dass es weniger werden, ist unwahrscheinlich: Im Schatten des Ukrainekriegs begannen die Taliban eine landesweite Offensive gegen den Journalismus, in den ohnehin gefährdeten Provinzen wie auch in der Hauptstadt.

Sie bestellen einzelne Medienschaffende ein, drohen ihnen, erlegen Frauen wie Männern Bekleidungsvorschriften auf. Die neuen „Regeln für den Journalismus“ sind zum Teil offene Zensur.

Seit Ende 2001 hatte sich eine breitgefächerte Medienlandschaft entwickelt. Das ist vorbei. Schon bis Dezember hatten einer Erhebung von RSF und der afghanischen Partnerorganisation AIJA zufolge 43 Prozent der afghanischen Medien ihre Arbeit eingestellt.

84 Prozent der Journalistinnen gaben ihren Beruf auf

Am stärksten betroffen sind Frauen: 84 Prozent der Journalistinnen sind nicht mehr in ihrem Beruf tätig. RSF fordert deshalb ein Bundesaufnahmeprogramm für besonders gefährdete Medienschaffende und deren Familien.

Einmal in Deutschland, brauchen die afghanischen Jour­na­lis­t*in­nen eine sichere Perspektive: einen unbefristeten Abschiebestopp samt Bleiberecht. Denn die Taliban werden sich an der Macht einrichten. Sie betrachten den unabhängigen Journalismus als Feind.

Dieser Text ist Teil einer Beilage der taz Panter Stiftung und von Reporter ohne Grenzen in der taz vom 3. Mai 2022, dem Internationalen Tag der Pressefreiheit.

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