Aus der Not Profit schlagen

Der Schlachtbetrieb Tönnies rekrutiert in Polen ukrainische Geflüchtete als Arbeitskräfte. Nur gegen Arbeitsvertrag gibt es Transport und Unterkunft

Angehörige oder Kinder sind in den mietbaren Unterkünften von Tönnies nicht erlaubt Foto: imago

Von Eiken Bruhn

Einen Shitstorm in so­zia­len Medien erfährt gerade die Tönnies Holding, Deutschlands größter Schweine­schlachtbetrieb. Diesmal geht es weder um ausbeuterische Arbeitsverhältnisse noch um mangelnden Coronaschutz für Mit­ar­bei­te­r:in­nen, noch um die Massentierhaltung in Zulieferbetrieben, sondern um etwas, das der Konzern als großzügiges Hilfsangebot für ukrainische Geflüchtete auffasst – und andere als Ar­beits­pros­ti­tu­tion.

Worum geht’s? Seit zwölf Tagen, bestätigt am Mittwoch Konzernsprecher Fabian Reinkemeier der taz, sind drei Mit­ar­bei­te­r:in­nen des Konzerns im polnischen Przemyśl, einer Stadt an der ukrainischen Grenze nahe Lwiw. Dort befinden sich zwei Aufnahmezentren für Geflüchtete, sie können sich dort registrieren und weiterreisen. Die Tönnies-Mit­ar­bei­ter:in­nen, so Reinkemeier, wollten von dort Menschen mitnehmen, die bereit sind, für das Unternehmen in Deutschland zu arbeiten. Konkret geht es um Arbeit als Pro­duk­tions­hel­fer:in­nen in der sogenannten Convenienceherstellung, also der Weiterverarbeitung von Fleisch am Standort Rheda-Wiedenbrück in Nordrhein-Westfalen. So steht es in dem Tönnies-Schreiben, das auf Twitter kursiert und der taz als Foto vorliegt.

Dort sind auf Deutsch auch die ­Arbeitsbedingungen erklärt: 11 Euro brutto pro Stunde plus steuerfreie Zuschläge, Weihnachts- und Urlaubsgeld, 24 Tage Urlaub. Und: Eine Unterkunft wird gestellt, die Miete von 254 Euro pro Person wird vom Gehalt abgezogen. Es seien Dienstwohnungen, Angehörige wie Kinder könnten dort nicht wohnen, sagt Reinkemeier. In der Regel würden vier bis sechs Personen auf rund 100 Quadratmetern leben. „Wir streben an, dass sich höchstens zwei Personen ein Schlafzimmer teilen.“

Die Aufregung in den sozialen Medien entzündet sich nun daran, dass Tönnies den Transport von Geflüchteten nach Deutschland an die Bedingung knüpft, dass sie dort einen ­Arbeitsvertrag unterschreiben. 72 Leute sollten zunächst mitgenommen werden – so erzählt es Patrick ­Walkowiak, ein Student. Er hat mit Freun­d:in­nen zu Beginn des Krieges eine Hilfs­organisation gegründet, um Geflüchtete nach Deutschland zu bringen.

Seit Samstag ist er im Aufnahmezentrum in Przemyśl und versucht dort zu helfen, was angesichts der Vielzahl von Helfenden nicht so einfach sei, wie er sagt. Immerhin spreche er als einer der wenigen Hel­fe­r:in­nen Polnisch. Dabei ist der Transport nach Deutschland das geringere Problem – diese Erfahrung haben schon andere gemacht, die spontan an der Grenze helfen wollten.

Das größte Problem sei, sagt Walkowiak, in Deutschland eine Unterkunft zu finden. „Deshalb dachte ich auch erst, ich habe den Jackpot geknackt, als ich von dem Angebot einer Arbeit und Unterkunft für so viele Menschen hörte.“ Erfahren hatte er von dem Wohnangebot durch Mit­ar­bei­te­r:in­nen des Aufnahmelagers. Diese seien skeptisch gewesen und hätten ihn zu einem Gespräch mit zwei Frauen, die ebenfalls Polnisch sprachen, und einem Mann gebeten. Dabei habe es sich herausgestellt, dass die zwei Frauen und der Mann für Tönnies arbeiteten und sie keine Alten und Kinder mitnehmen würden, nur potenzielle Arbeitskräfte ohne Familie.

„Mich hat das so wütend gemacht“, sagt Walkowiak, „die nutzen die Not der Leute aus.“ Es sei bekannt, dass Tönnies ausländische Mit­ar­bei­te­r:in­nen nicht gut behandle. Etwa 80 Prozent der Ar­beit­neh­me­r:in­nen in der Produktion haben nach Einschätzung des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) keine deutsche Staatsangehörigkeit, die Fluktuation sei hoch. Das Schreiben von Tönnies hatte Walkowiak fotografiert und Freun­d:in­nen aus der linken Szene geschickt, die es dann auf Twitter teilten. Unter anderem verbreitet es das Bündnis „Gemeinsam gegen die Tierindustrie“.

Wütend ist auch der Tönnies-Sprecher Fabian Reinkemeier. „Ich bin schockiert“, sagt er, „dass ein paar Schwachmaten mit dem Leid der Menschen gegen uns Politik machen“, sagt er. Schließlich würde Tönnies „eine Zukunftsperspektive“ bieten. Etwa ein Dutzend Personen aus der Ukraine hätten sie bereits an zwei Standorten angestellt, allerdings seien diese auf anderen Wegen nach Deutschland gekommen. Dabei müssten „nicht alle am Band stehen“, wie er sagt, sie suchten auch ITler und BWLer, eine Lebensmitteltechnologin hätten sie bereits angestellt. Und dass die Geflüchteten „sehr dankbar“ seien. „Wir hatten mehrere Interes­sentinnen, die gerne für uns gearbeitet hätten“, sagt ­Reinkemeier. Dann aber seien die drei ­Mitarbeiter:nnen von ­einer Gruppe deutscher Freiwilliger angegriffen und verjagt worden. „Wir wissen jetzt nicht, ob wir dort weitermachen können.“

Kurz nach dem Gespräch mit Fabian Reinkemeier meldet sich der Ge­schäftsführer der Tönnies-Tochter Zur Mühle, Axel Knau. Auch er ist ­wütend. „Das sind mündige Menschen, die für sich selbst entscheiden können und nicht bevormundet werden wollen“, sagt er. Manche wollten jetzt einfach arbeiten, um unabhängig zu bleiben und vielleicht die Familie zu unterstützen. „Die wissen,was sie tun.“

Das bezweifelt allerdings Dominique John, Leiter des DGB-Beratungsnetzwerks Faire Mobilität. „Für die ­Geflüchteten geht es zuerst darum, sich und ihre Angehörigen in Sicherheit zu bringen.“ Die Unternehmen sähen „die Not als Gelegenheit“ und nutzten „die schwache Situation der Menschen“ aus.