Internationales Frau­en*­Film Fest: Symbole von abwesendem Glück

Auf dem Internationalen Frauen* Film Fest Dortmund+Köln wucherten die Verbindungen. Es ging um Gesellschaft, Vergangenheit, Pilze und Zukunft.

Mädchen und Jungen in Badekleidung sitzen zusammen

Jung sein in Italien, „Futura“ (IT 2021) von Alice Rohrwacher, Pietro Marcello und Francesco Munzi Foto: The Match Factory

„Wenn meine Welt zusammenbricht, gehe ich spazieren. Und falls ich Glück habe, finde ich Pilze“, heißt es in Marion Neumanns Dokumentarfilm „The Mushroom Speaks“ (CH 2021). Schönheit offenbart sich hier oft im Verborgenen, etwa anhand einer zunächst unansehnlich wirkenden, dunklen Knolle. Schneidet man sie jedoch auf, gibt sie ein schillerndes, schuppenartiges Muster preis, ein nahezu psychedelisches Innenleben.

Die Pilze gedeihen in nährstoffarmen, sandigen Böden und vollbringen ein ökologisches Kunststück: Ihr Myzel verbindet sich mit den Wurzeln von Bäumen, deren Wachstum so überhaupt erst möglich wird. Eine Symbiose, unsichtbar und doch essenziell, wie man sie in Neumanns Film, der selbst zartgliedrig und verschlungen ist, immer wieder antrifft.

„The Mushroom Speaks“ ist Ausdruck des üppigen Programms, das sich in diesem Jahr beim Internationalen Frauen* Film Fest Dortmund+Köln (29. 3. –3. 4.) präsentierte. Und der Film gibt eine Denkbewegung vor, die das Film Fest zusammenhält, denn seiner Regisseurin ist eine Art „myzelischer Blick“ zu eigen, der es vermag, scheinbar Unzusammenhängendes aufeinander zu beziehen.

So setzt Neumann eine Schwarzwaldhexe und US-amerikanische Citizen-Science-Laboranten auf sehr interessante Weise in Dialog, sucht mit japanischen Pilz-Aficionados aber auch nach dem begehrten und selten gewordenen Matsutake. Und so treffen beim Schauen weiterer Filme G. B. Jones’ ausgerissene Teenager („The Lollipop Generation“, CA 2008) auf zwei koreanischen Schwestern, die nicht nur über rassistische Erfahrungen in einer nicht weiter benannten niedersächsischen Stadt berichten, sondern genauso vom Zuviel an Buttercreme in Karottenkuchen („Vlog #8998 / Korean Karottenkuchen & Our Makeup Routine“, Ji Su Kang-Gatto).

Hoffnung essen

Dabei sind es gerade die Speisen, die bei Kang-Gatto eine größere Aufmerksamkeit erfahren: Behände wechselt deutsche Kantinenkost (Kartoffelpüree und Erbsen) mit Tteokbokki (koreanische Reisnudeln).

Auch der Matsutake in „The Mushroom Speaks“ landet über einem Minigrill für verzückte Gourmets, steht darüber hinaus aber noch für viel mehr: Hoffnung. Denn nicht nur für Neumann und viele ihrer Protagonisten – allen voran vielleicht Anna Tsing, deren Buch „Der Pilz am Ende der Welt. Über das Leben in den Ruinen des Kapitalismus“ mehr als nur Inspirationsquelle für den Film gewesen sein dürfte – könnten die Pilze möglicherweise diejenigen sein, die den weiteren Fortbestand der Gattung Mensch auf diesem Planeten gewährleisten.

Das Urteil der Jugendlichen über die italienische Gesellschaft fällt mehrheitlich düster aus

Etwas weniger aufgeladen sind da schon die aus Kernen herangezogen Melonen, an denen in Anne Charlotte Robertsons kurzem Super-8-Dokument „Melon Patches, or Reasons to Go on Living“ (USA 1994) nicht nur Erwachsene, sondern auch Babys genüsslich knabbern und lutschen. „Ich hatte nie Kinder, alles was ich hatte, war ein Garten“, sagte Robertson einmal. Und eine Kamera, möchte man ergänzen, mit der sie das 38-stündige „Five Year Diary“ (1981–1997) aufnahm, dem „Melon Patches“ entnommen ist.

Symbole eines abwesenden Glücks sind in „Futura“ (IT 2021) von Alice Rohrwacher, Pietro Marcello und Francesco Munzi indes Fußballfelder. Jedenfalls theoretisch – zu wenige von ihnen existierten in diesem Italien des Jahres 2020, welches das Filmteam mit dem Ziel durchquert, mit Jugendlichen des Landes zu sprechen.

Zukunftsangst in Italien

Deren Urteil fällt mehrheitlich düster aus: Um die italienische Gesellschaft irgendwie zu retten, müsse man sie am besten verlassen – und mit neuen Erfahrungen zurückkehren. Rohrwacher, Marcello und Munzi spannen ihr Myzel dabei nicht nur von Neapel bis Mailand, sondern reisen auch in die Vergangenheit, zeigen Kinder und Jugendliche in Schwarz-Weiß, die Gedichte rezitieren. Ein warmer, nahbarer Film, der zumindest für die jungen Italiener und ihre Träume hoffen lässt.

Einer der markantesten Programmpunkte aber war die Doppelvorführung zweier Filme Ula Stöckls, „Rede nur niemand von Schicksal“ (D 1991) und „Das alte Lied“ (D 1992), kuratiert von Borjana Gaković in der Reihe „IFFF packt aus“. Angereist war hierfür nicht nur die Filmemacherin selbst, sondern auch Jeanne Richter, die in „Das alte Lied“ eine der Hauptrollen übernimmt. Handlungsort ist das Dresden der Nachwendezeit, das bei Stöckl mit seinen schwarz gewordenen Sandsteinen und einer gefühlt ständigen Dämmer- oder Nebelstimmung einen unheimlichen, fantastischen Charakter erhält.

Eine Geisterstadt, in der sich Nationalsozialismus und Gegenwart verhaken. In der noch vieles nicht aufgearbeitet ist. Und in der, wie Gaković bemerkt, auch jüngst wieder gefährliche Geschichtsleugner mit ihren Parolen aufmarschierten. Das anschließende Filmgespräch bewegt sich schnell zum Krieg gegen die Ukraine. Und jemand, vielleicht ein Pilz, flüstert den Satz: Wenn meine Welt zusammenbricht, gehe ich ins Kino.

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