Medien in Russland unter Druck: Im russischen Vakuum

Facebook, Twitter und Instagram sind gesperrt. Unabhängige Jour­na­lis­t*in­nen fliehen. Wie können sich die Menschen in Russland noch informieren?

Mann in weißem Hemd richtet seine Fliege im Spiegel

Noch im Dezember erhielt Dmitri Muratow von der „Nowaja Gaseta“ den Friedensnobelpreis Foto: ap

MOSKAU taz | Der Bildschirm bleibt weiß. Wer in Russland die Apps von Instagram, Face­book, Twitter öffnet, wer im Browser auch nur die Buchstaben von unabhängigen Medien wie Meduza, tayga.info oder Doschd (TV Rain) eingibt, sieht nichts als Leere. Seit russische Panzer auf Befehl des russischen Präsidenten Wladimir Putin unter dem beschönigenden Begriff der „militärischen Spezialoperation“ die Grenze zur Ukraine überschritten haben, lässt der Kreml sein Volk im Unklaren darüber, was im Nachbarland passiert. Stattdessen lässt er im Staatsfernsehen Siegesgeschichten über die russischen Armee verbreiten und über die angebliche Zerstörungswut der ukrainischen „Nazis“ – wie in der Sprache der Propaganda letztlich alle Ukrai­ne­r*in­nen heißen.

Jede Kritik daran, jede Nachricht, die sich nicht an der offiziellen Verlautbarung des russischen Verteidigungsministeriums orientiert, wird als Falschinformation gebrandmarkt. Ihren Ver­brei­te­r*in­nen drohen bis zu 15 Jahre Haft. So steht es im schwammig formulierten Fake-News-Gesetz, das das russische Parlament Anfang März in aller Eile durchpeitschte. Am Wochenende wurde das Gesetz noch erweitert. Nun darf auch die Tätigkeit gewisser russischer Organe (Botschaften, Nationalgarde) im Ausland nicht mehr „diskreditiert“ werden.

Das Gesetz gilt nicht nur für russische Staatsbürger*innen, sondern auch für ausländische, was die Arbeit von Aus­lands­kor­re­spon­den­t*in­nen im Land zusätzlich erschwert. Es kriminalisiert das journalistische Grundprinzip, mehrere Quellen zu benennen. Vor allem Russlands unabhängigen Jour­na­lis­t*in­nen sind dadurch in ihrer Arbeit eingeschränkt. Die Nowaja Gaseta war seit dem 24. Februar die letzte noch in Russland berichtende kremlkritische Zeitung gewesen, an diesem Montag hat sie nun ihre Arbeit vorübergehend eingestellt. Zu groß war die Sorge, nach zwei Verwarnungen durch die Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor, ganz die Lizenz zu verlieren. Seit Beginn der „Spezialoperation“ sind Russlands unabhängige Jour­na­lis­t*in­nen in Scharen ins Ausland geflohen. Ihre Arbeit lassen sie sich dennoch nicht nehmen, auch wenn sie nun vor allem aus Armenien, Georgien oder Lettland über ihr Land berichten.

„Wir brauchen doch etwas zum Atmen“, schrieben Le­se­r*in­nen der Nowaja Gaseta noch vor Kurzem. „Macht irgendwas, aber lasst uns nicht allein hier in diesem Loch, in dem Schwarz plötzlich Weiß heißen muss.“ Jekaterina Kotrikadse vom Online-Fernsehsender Doschd sagt: „Ich hätte nicht gedacht, dass der Zuspruch so groß sein würde, dass die Menschen nach Informationen lechzen.“ Zusammen mit ihrem Mann Tichon Dsjadko, Chefredakteur von „Doschd“, war sie nach Georgien geflohen. Kotrikadse ist gebürtige Georgierin.

Schlupfloch VPN

Der Sender ist nun Vergangenheit. „Vorerst“, wie sie betonen. Kotrikadse und Dsjadko senden nun unter „KiD“ in Streams bei Youtube aus Tbilissi. Ihre Doschd-Kolleg*innen wie auch die vom Radiosender Echo Moskwy, der seine Arbeit nach 30 Jahren einstellen musste, haben eigene Youtube- oder Telegram-Kanäle gegründet, machen Podcasts, schreiben Newsletter und E-Mails und informieren so über das Geschehen in Russland und auch in der Ukraine.

Auch Gesperrtes lässt sich lesen. Die einfachste Lösung: das Virtuelle Private Netzwerk oder VPN. Damit wird der gesamte Datenverkehr durch einen verschlüsselten Tunnel geleitet. Blockierungen werden umgangen. Zwar existiert in Russland ein Gesetz, das gewisse VPNs verbietet, trotzdem war nach dem Verbot von Facebook und Instagram die Nachfrage bei manchen VPN-Anbietern bis zu 11.000 Prozent gestiegen. Denn vor allem Klein­un­ter­neh­me­r*in­nen in Russland nutzen Instagram als Plattform, ihre Dienste anzubieten.

Die Kremlloyalen im Land frohlocken derweil: Dass das Fremde ziehen müsse, sei ja sogar gut. Der nächste Internet-Dienst stehe schließlich längst bereit: Rossgram, das an diesem Montag für Firmenkunden gestartet ist. Das Netzwerk sieht ähnlich aus wie Instagram und bietet letztlich dieselben Funktionen wie die US-Vorlage, doch es sei ein „vaterländisches“ Produkt, etwas „Wahres“ also. Dass Rossgram wie auch das russische Facebook-Pendant Vkontakte von russischen Geheimdiensten gelesen wird, stört die Macher dabei nicht.

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