Alltags-Reaktionen auf russischen Akzent: „Bei euch in Sibirien“

Wie ist das Russisch­sein in Deutschland in Kriegs- und Friedenszeiten? Unser Gastautor über den ungewollten Repräsentantenstatus und Putin-Fans.

Eine Straße in Sibirien, dreckig, im Hintergrund Häuser im Schnee auf einem Hügel

Sibirien = Russland = Russen = Putin? So einfach ist es nicht Foto: Christian Thiele/dpa

BREMERHAVEN taz | Zu den Nebeneffekten der Pandemie gehört, dass wesentlich mehr Menschen als sonst deinen Namen und Nachnamen erfahren. So auch der Security-Mann an der Uni-Bibliothek, der nur wenige Tage vor dem Kriegsbeginn meinen Impfpass und meinen Ausweis kontrollierte. „Russe oder Ukrainer?“, fragte er, nachdem er meinen Vor- und Nachnamen mühevoll vorgelesen hatte.

Normalerweise würde ich dieser Frage keine Bedeutung zumessen. Ich habe kein Problem damit, wenn Menschen mich fragen, woher ich komme. Mein Akzent macht deutlich, dass ich die ersten Jahre meines Lebens eine andere Sprache als Deutsch gesprochen habe, und ich beantworte die Frage auch gern – zugegeben wesentlich freundlicher, wenn sie nicht als erste kommt.

Aber als ich vor der Bibliothek schon zur wahrheitsgemäßen Antwort ansetzte, fiel mir ein, dass sie im aktuellen Kontext ganz andere Konnotationen hervorrufen könnte. Vermutlich erklang „Russe“ diesmal etwa bemühter als sonst. „Ah, genau wie mein früherer Kollege“, antwortete der Mann freundlich. Wir lächelten uns zu, und ich ging erleichtert weiter.

Dass das Russendasein in dem Land, wo man Wodka mit Cola und ohne Essen dazu konsumiert, kein Zuckerschlecken ist, war mir auch zu Friedenszeiten klar. Als mich vor zehn Jahren der hippieske Buchhändler vor der Humboldt-Universität unvermittelt fragte, ob „bei euch da in Sibirien keine Menschenrechte bekannt“ seien, antwortete ich noch höflich, ich stammte aus Moskau und sei nie in meinem Leben in Sibirien gewesen. Woraufhin der Anbieter vergilbter Werke von Erich Fromm und Erich Fried mich als „Oligarchensohn“ beschimpfte.

Repräsentanten der Regierung

Vermutlich steht der Buchhändler immer noch vor den Gebäuden, in denen die woken Nachwuchskräfte der Sozialwissenschaften darüber diskutieren, ob es so etwas wie antislawischen Rassismus überhaupt geben kann. Schräg über die Straße ist auch das Humboldt-Forum, in dem geneigtes Publikum die Flugblätter aus der 1848er-Revolution gegen Russen und Kroaten bestaunen darf. Ohne jeglichen einordnenden Kommentar – in einem Museum, das ansonsten mit Triggerwarnungen nicht gerade sparsam umgeht.

Auch wenn ich mit dem aktuellen Krieg nicht ernsthaft gerechnet habe, war ich darauf schon seit 2014 vorbereitet. Auf Fragen wie „Weißt du als Russe, wann/wo/womit Putin angreifen wird?“ mit „Weißt du als Deutscher, welche Sanktionen Baer­bock durchsetzen wird?“ zu entgegnen, ist also nur die einfachste Übung.

Generell ist die Vorstellung weit verbreitet, Menschen seien aufgrund ihrer Herkunft oder ihres Passes so etwas wie Repräsentanten der jeweiligen Regierung, an die man offizielle Noten abgeben und von denen man jederzeit Stellungnahmen verlangen kann. Die derzeit allgegenwärtigen Absagen an russische Künstler erinnern mich an den Bekenntniszwang, den die Kampagne „Boycott, Divestment and Sanctions“ auf israelische Kulturschaffende und Wissenschaftler auszuüben versucht: die Bekenntnis gegen den israelischen Staat.

Ich frage mich, ob die kritischen Intellektuellen, die so etwas mittragen, sich auch bei jedem Döner- oder Falafelkauf nach der Haltung des Imbisspersonals zu Erdoğan und Assad erkundigen. Okay, es gibt auch schlichtere Gemüter, die alle Muslime recht unvermittelt nach ihrer Haltung zur Terrorgruppe Islamischer Staat befragen.

Ein mündiger Bürger sagt nun mal gern seine Meinung, wenn sich die Gelegenheit bietet. Wenn eine engagierte Stimme auf die Auskunft darüber, wo ich Anfang der 1990er zur Grundschule gegangen bin, munter poltert: „Ich habe den Eindruck, in Russland werden die Menschenrechte mit den Füßen getreten“, kann ich immer noch „Aber nicht mit meinen“ antworten.

Deutsche Putin-Fans als Herausforderung

„Ich würde nie nach Russland reisen, solange dort …“, setzt ein jovialer älterer Herr an, der sich um Pussy Riot und LGBT-Rechte besorgt zeigt. Okay, das werde ich der Föderalen Agentur für Tourismus (ja, so heißt die Behörde wirklich) so weiterleiten.

Eine besondere Herausforderung stellen die deutschen Putin-Fans dar. Die projizieren in den russischen Präsidenten all das, was ihnen beim westlichen Staatspersonal fehlt. Teils sind es auch frustrierte Linke, die froh sind, dass jemand ihrer Regierung Paroli bietet. Das ist übrigens ein Grund, warum so etwas wie eine „Internationale der regierungskritischen Menschen“ es so schwer hätte, zustande zu kommen. Kritik an der eigenen Regierung treibt viele direkt in die Arme der Hardliner auf der anderen Seite.

Wie auch immer – ohne dass ich nach meinen eigenen politischen Ansichten gefragt wurde, werde ich von manchen mit Liebesbekundungen an den Staatschef überhäuft, den ich möglicherweise nie gewählt habe.

Eine weitere Challenge: historische Parallelen, speziell die Faschismus-Vergleiche. Die sind omnipräsent – russische Propaganda greift beherzt dazu, weil Faschist sei, wer Russland und Russen nicht mag. Das lässt die Gegenseite nicht auf sich sitzen – Faschist sei, wer in fremde Länder einfällt. Nichts geht über eine ordentliche Diskussion über den antifaschistischen Charakter der Nato-Politik, die wiederum auf den antifaschistischen Widerstand russischer Rechtsradikaler stößt, die auf Seiten der „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk kämpfen.

Putin ist ja wie Stalin und Stalin wie Hitler. Oder Iwan der Schreckliche. ­Attila, der Hunne, würde auch noch gehen. Wie schon mein Geografie­lehrer an einem deutschen Gymnasium zum Untergang des U-Boots „Kursk“ zu sagen pflegte: „In Russland war ein Menschenleben nie viel wert.“ Der Kontrast zu Deutschland liegt auf der Hand.

Ich dachte, ich wäre schon durch die Erfahrung der vorherigen Jahre, vor allem seit 2014, auf alles vorbereitet. Treffe ich nun auf Menschen, deren Familien im Kriegsgebiet sind, frage ich, ob niemand zu Schaden kam und drücke die Hoffnung aus, dass der Krieg bald endet. Wer mich als Repräsentanten meines Herkunftslandes anspricht und auf der Stelle Lösungen für politische Probleme verlangt, dem erläutere ich gern, dass ich nicht im Besitz von Vollmachten bin, Verträge abzuschließen.

Schwieriger wird es bei denjenigen, die für einen Kampf bis zum Sieg für die eine oder andere Seite eintreten. Solchen Zeitgenossen stelle ich irgendwann die höfliche Frage, warum sie, statt an der Front zu kämpfen, im sicheren Hinterland stehen und mich volltexten.

Neuerdings höre ich Geschichten, die zeigen, dass sich etwas ändert. Als eine Bekannte von einer langjährigen deutschen Freundin eine Sprachnachricht mit der Empfehlung bekam, Deutschland schnell zu verlassen, denn „die Menschen mit einem starken russischen Akzent werden hier nicht mehr geduldet“, wollte ich es zunächst nicht glauben. Die Adressatin dieser Botschaft, die mit langen Exkursen über die russische „Liebe zur Unfreiheit“ und den historisch gewachsenen „Größenwahn“ der Moskowiter gespickt war, kommt übrigens aus Belarus.

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